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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Rheins mit den rauschenden Flüßchen, den malerischen Burgruinen und den
alterthümlichen Städtchen, da wird ihm die Brust zu eng für all die Selig¬
keit und wär's ihm auch seit Jahren nicht mehr passirt, er muß ein lustig
Liedchen trällern. Und doch, wie rasch sind alle diese Eindrücke vergessen, so¬
bald du den Jura im Rücken hast! Wie oft du auch die Wunderwelt des
Hochgebirges geschaut habest, wenn du zum ersten Mal wieder in Luzern auf
der großen Brücke oder in Bern auf der Terrasse des Bundespalastes stehst,
da überwältigt dich ein unbeschreibliches Gefühl des Entzückens zugleich und
der Ehrfurcht ob dieser Mischung von lieblicher Schönheit und schauriger Er¬
habenheit. Die engen Formen dieser gewohnten Vorstellungsweise sind mit
einem Schlage zertrümmert, nur langsam und mit Mühe findest du Maßstab
und Bezeichnung für diese ganz andere Welt. Und eine solche ist die Schweiz
nicht nur in geographischer, sie ist es ebenso in ethnographischer, in politischer
und in wirthschaftlicher Beziehung. Man kann die Schweizer nicht gerade
zu den liebenswürdigen Völkern zählen; ihr eckiges, ungefüges Wesen be¬
wahrt sie vor diesem Prädicate. Dagegen ist auch von Stumpfsinn und
Faulheit, bin hervorstechenden Merkmalen mancher Gebirgsvölker, bei ihnen
wenig zu finden. Im Allgemeinen ist dies Volk intelligent, ernst, fleißig,
berechnend, doch ohne Habgier; selbst der bigotte Urschweizer läßt bet aller
sonstigen Aehnlichkeit seinen Tyroler Nachbar an Geistesanlagen und prak-
tischem Geschick weit hinter sich. Einen bedeutenden Antheil an dieser Ge¬
staltung des Volkscharakters hat ohne Zweifel die republikanische Staatsein¬
richtung, die überhaupt mehr als alles Andere der Schweiz den Stempel eines
Arianzus in ganz Europa aufprägt. Mag man über den absoluten Werth
der Republik den ketzerischsten Ansichten huldigen, daß sie für diese concreten
Verhältnisse die "beste Staatsform" ist. wird Niemand bestreiten, der die
Leistungen der kleinen schweizerischen Gemeinwesen kennen gelernt hat. Man
betrachte die prunklosen und doch so imposanten öffentlichen Gebäude, nament¬
lich die Armen- und Krankenhäuser, die arme Gebirgskantone aus eigenen
Mitteln hergestellt, und man erkennt, daß es zur Erzielung solcher Resultate
eines Gemeinsinns bedarf, wie wir ihn, wenn wir ehrlich sein wollen, von
monarchisch erzogener Bevölkerung nur ausnahmsweise rühmen können. Im
Zusammenhange mit diesem Gemeinsinn steht eine äußerst rege Thätigkett
auf wirthschaftlichem Gebiete. Wer jemals von der Höhe des Brünig den
schnurgeraden Faden der Aare, wie er sich durch den saftig grünen Wiesen¬
plan des Meiringer Thals hinauszieht, überschaut hat, wird zugeben, daß
der Kanton Bern im Punkte der Flußcorrection mehr als einen deutschen
Staat beschämt. Mit besonderem Stolze aber darf die Eidgenossenschaft auf
ihre Verkehrseinrichtungen blicken. Nicht wenige der vortrefflichen Einrich¬
tungen auf dem Gebiete des PostWesens, mit denen uns unser Stephan beglückt


Rheins mit den rauschenden Flüßchen, den malerischen Burgruinen und den
alterthümlichen Städtchen, da wird ihm die Brust zu eng für all die Selig¬
keit und wär's ihm auch seit Jahren nicht mehr passirt, er muß ein lustig
Liedchen trällern. Und doch, wie rasch sind alle diese Eindrücke vergessen, so¬
bald du den Jura im Rücken hast! Wie oft du auch die Wunderwelt des
Hochgebirges geschaut habest, wenn du zum ersten Mal wieder in Luzern auf
der großen Brücke oder in Bern auf der Terrasse des Bundespalastes stehst,
da überwältigt dich ein unbeschreibliches Gefühl des Entzückens zugleich und
der Ehrfurcht ob dieser Mischung von lieblicher Schönheit und schauriger Er¬
habenheit. Die engen Formen dieser gewohnten Vorstellungsweise sind mit
einem Schlage zertrümmert, nur langsam und mit Mühe findest du Maßstab
und Bezeichnung für diese ganz andere Welt. Und eine solche ist die Schweiz
nicht nur in geographischer, sie ist es ebenso in ethnographischer, in politischer
und in wirthschaftlicher Beziehung. Man kann die Schweizer nicht gerade
zu den liebenswürdigen Völkern zählen; ihr eckiges, ungefüges Wesen be¬
wahrt sie vor diesem Prädicate. Dagegen ist auch von Stumpfsinn und
Faulheit, bin hervorstechenden Merkmalen mancher Gebirgsvölker, bei ihnen
wenig zu finden. Im Allgemeinen ist dies Volk intelligent, ernst, fleißig,
berechnend, doch ohne Habgier; selbst der bigotte Urschweizer läßt bet aller
sonstigen Aehnlichkeit seinen Tyroler Nachbar an Geistesanlagen und prak-
tischem Geschick weit hinter sich. Einen bedeutenden Antheil an dieser Ge¬
staltung des Volkscharakters hat ohne Zweifel die republikanische Staatsein¬
richtung, die überhaupt mehr als alles Andere der Schweiz den Stempel eines
Arianzus in ganz Europa aufprägt. Mag man über den absoluten Werth
der Republik den ketzerischsten Ansichten huldigen, daß sie für diese concreten
Verhältnisse die „beste Staatsform" ist. wird Niemand bestreiten, der die
Leistungen der kleinen schweizerischen Gemeinwesen kennen gelernt hat. Man
betrachte die prunklosen und doch so imposanten öffentlichen Gebäude, nament¬
lich die Armen- und Krankenhäuser, die arme Gebirgskantone aus eigenen
Mitteln hergestellt, und man erkennt, daß es zur Erzielung solcher Resultate
eines Gemeinsinns bedarf, wie wir ihn, wenn wir ehrlich sein wollen, von
monarchisch erzogener Bevölkerung nur ausnahmsweise rühmen können. Im
Zusammenhange mit diesem Gemeinsinn steht eine äußerst rege Thätigkett
auf wirthschaftlichem Gebiete. Wer jemals von der Höhe des Brünig den
schnurgeraden Faden der Aare, wie er sich durch den saftig grünen Wiesen¬
plan des Meiringer Thals hinauszieht, überschaut hat, wird zugeben, daß
der Kanton Bern im Punkte der Flußcorrection mehr als einen deutschen
Staat beschämt. Mit besonderem Stolze aber darf die Eidgenossenschaft auf
ihre Verkehrseinrichtungen blicken. Nicht wenige der vortrefflichen Einrich¬
tungen auf dem Gebiete des PostWesens, mit denen uns unser Stephan beglückt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/156>, abgerufen am 10.06.2024.