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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Deshalb suchte ich auch über die alten Vorbilder hinaus, die ich von
Stoffen und Vasen ?c. fleißig sammelte, möglichst zu deren Vorbildern in der
Natur zurückzugreifen. Auf Spaziergängen sammelte ich viele Jahre hindurch
und heute noch schöngeformte Blätter und Blumen und verdanke dieser Be¬
schäftigung einen ebenso großen Genuß der Naturfreude als auch manches
Ornament, welches heute im Handel verbreitet ist. Mein Sprüchlein:


Leben und Entfaltung
Herrscht in der Natur,
Rhythmus der Gestaltung
Zeige die Condur.

enthält wohl das Wesentliche, was der Ornamentist beim Studium zu beachten
hat, denn bezeichnend genug können wir nur diejenigen Pflanzen verwerthen,
welche rhythmische und geometrische Gestaltung erlauben. -- Für die rein
geometrische Ornamentik fand ich den Schlüssel in der Theorie des Lichtes
und publicirte dieses Studium unter dem Titel "Einfluß von Licht und
Farbe auf die Formbildung der Ornamente" in der Gewerbehalle 1873.
Indessen ist nicht zu übersehen, welche Anzahl bedeutender Kräfte sich in den
letzten Jahren der Pflege der Kunstindustrie widmen und daß ich diesen meine
Erfolge zum Theil mit verdanke. Erhalten wir den 1873 in meiner mit
Zimmermann in Hanau verfaßten Petition angestrebten Meisterschutz, so
dürfen wir in einigen Jahren wohl behaupten, daß Deutschland im artistischen
Wettkampf mit Frankreich einem Siege entgegengeht, der wie in der Malerei
um so sicherer und schöner ist, als er zunächst im Werthe des idealen In¬
haltes und später auch in der technischen Ausstattung der Gegenstände beruht.
Jedes Bürgerhaus soll eine Stätte der Kunst werden, das ist die große Auf¬
gabe der Kunstindustrie und schätze ich mich glücklich berufen zu sein, diese
Aufgabe thatkräftig ihrer Lösung entgegen zu führen. Den Sporn dazu ver¬
danke ich wie schon bemerkt, zum Theil meinem französischen Lehrer Van der Syp,
role ja eine stark gebeugte Feder um so stärker emporschnellt. Prof. Löste
in Berlin ist aber in Wahrheit mein Führer im ersten Jahre meines Schaffens
gewesen und dann auch förderte mich Gropius, während Böttcher's nüchterne
Theorie mich zwar sehr interessirte, aber zum Glück nicht zu stark beschäftigte,
da in ihr die Prosa des Calculs die Frische des Empfindens beeinträchtigt.

Die kirchliche Richtung von Schmidt, Essenwein und Bock führte mich
Zu vielen gothischen und romanischen Entwürfen für Teppiche, Kirchenstoffe
Und Paramenten. Da ich aber stets vom stofflich-decorativer ausging, so
konnten die schroffen Principien dieser Stylarten mich nicht davon abhalten,
das eigene moderne Empfinden mit den alten Motiven zu verschmelzen. Diese
individuelle Berechtigung erkenne ich ebenso den griechischen, römischen und
orientalischen Stylarten gegenüber an und sehe darin die einzig mögliche


Deshalb suchte ich auch über die alten Vorbilder hinaus, die ich von
Stoffen und Vasen ?c. fleißig sammelte, möglichst zu deren Vorbildern in der
Natur zurückzugreifen. Auf Spaziergängen sammelte ich viele Jahre hindurch
und heute noch schöngeformte Blätter und Blumen und verdanke dieser Be¬
schäftigung einen ebenso großen Genuß der Naturfreude als auch manches
Ornament, welches heute im Handel verbreitet ist. Mein Sprüchlein:


Leben und Entfaltung
Herrscht in der Natur,
Rhythmus der Gestaltung
Zeige die Condur.

enthält wohl das Wesentliche, was der Ornamentist beim Studium zu beachten
hat, denn bezeichnend genug können wir nur diejenigen Pflanzen verwerthen,
welche rhythmische und geometrische Gestaltung erlauben. — Für die rein
geometrische Ornamentik fand ich den Schlüssel in der Theorie des Lichtes
und publicirte dieses Studium unter dem Titel „Einfluß von Licht und
Farbe auf die Formbildung der Ornamente" in der Gewerbehalle 1873.
Indessen ist nicht zu übersehen, welche Anzahl bedeutender Kräfte sich in den
letzten Jahren der Pflege der Kunstindustrie widmen und daß ich diesen meine
Erfolge zum Theil mit verdanke. Erhalten wir den 1873 in meiner mit
Zimmermann in Hanau verfaßten Petition angestrebten Meisterschutz, so
dürfen wir in einigen Jahren wohl behaupten, daß Deutschland im artistischen
Wettkampf mit Frankreich einem Siege entgegengeht, der wie in der Malerei
um so sicherer und schöner ist, als er zunächst im Werthe des idealen In¬
haltes und später auch in der technischen Ausstattung der Gegenstände beruht.
Jedes Bürgerhaus soll eine Stätte der Kunst werden, das ist die große Auf¬
gabe der Kunstindustrie und schätze ich mich glücklich berufen zu sein, diese
Aufgabe thatkräftig ihrer Lösung entgegen zu führen. Den Sporn dazu ver¬
danke ich wie schon bemerkt, zum Theil meinem französischen Lehrer Van der Syp,
role ja eine stark gebeugte Feder um so stärker emporschnellt. Prof. Löste
in Berlin ist aber in Wahrheit mein Führer im ersten Jahre meines Schaffens
gewesen und dann auch förderte mich Gropius, während Böttcher's nüchterne
Theorie mich zwar sehr interessirte, aber zum Glück nicht zu stark beschäftigte,
da in ihr die Prosa des Calculs die Frische des Empfindens beeinträchtigt.

Die kirchliche Richtung von Schmidt, Essenwein und Bock führte mich
Zu vielen gothischen und romanischen Entwürfen für Teppiche, Kirchenstoffe
Und Paramenten. Da ich aber stets vom stofflich-decorativer ausging, so
konnten die schroffen Principien dieser Stylarten mich nicht davon abhalten,
das eigene moderne Empfinden mit den alten Motiven zu verschmelzen. Diese
individuelle Berechtigung erkenne ich ebenso den griechischen, römischen und
orientalischen Stylarten gegenüber an und sehe darin die einzig mögliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/267>, abgerufen am 10.06.2024.