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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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der Revolution. Eines schönen Mittags erklang plötzlich in den Gassen der
Stadt der Generalmarsch. Es galt der Bürgergarde. Wir Knaben, die just
aus der Schule kamen, sahen von allen Seiten die gewaffneter Männer der
Ordnung eilig daherstürzen. -- "Jetzt geht's los!" -- Einer rief es dem
Andern zu. Es klang höchst gefährlich. -- "Hurrah, jetzt geht's los!"
jubelten die Jungen. Wir liefen spornstreichs nach dem Orte des Schreckens,
nach dem "Schütting"; so helpt nämlich die Herberge der Sckneidergesellrn.
Da saßen sie, die Vierundzwan^ig und einige, oben in >en geöffneten Fenstern
und ließen die Beine zum Fenster hinaushängen, schwenkten ihre volle Flasche
und tobten, sangen und schimpften ausbündig. Und ha. -- jetzt kam die
Garde daher, ihrer Achtmalhundert, nun rückten sie an mir Wehr und Waffen
und stürmten den Schneiderschütting, nahmen die vierundzwanzig betrunkenen
Schneidergesellen gefangen, faßten sie beim Kragen, führten sie Einen bei
Einem nach dem Rathhause und stellten eine Menge Wachtposten vor die
Thüren des Hauses.

Hier auf der geräumigen Diele des Rathhauses, wurden bis auf Weiteres
die vierundzwanzig Schneidergesellen in eine Art von hölzernem Pferch, alle
miteinander eingesperrt. Das erschien freilich gegen die Schneiderehre; die
Insassen tobten furchtbar und höhnten die Garde und drohten, Einer immer
noch toller als der Andere. Es war ein schrecklicher Rumor. Die Bürger¬
wache stand wie rathlos dabei. Da meinte ein alter Polizeidiener ganz
Pfiffig: "Top, ick will se woll stillkriegen." -- Aber wie? Ganz einfach.
Der alte Praktikus machte auf der langen Diele des Hauses die beiden sich
gegenüberstehenden mächtigen Eingangsthüren auf. Und nun mit einem
Male, just wie aus einem Blasebalg, fegte der schneidend scharfe Zugwind
Zur einen Thüre hinein und zur andern Thüre wieder hinaus, durch die
vierundzwanzig Schneidergesellen mitten hindurch. Das half. Als der Zug-
Wind ihnen auf ein Mal so empfindlich kalt an den Magen kam. hoben sie
ein Bein um das andere und schimpften und spektakelten: "Thüren zu!
Thüren mi Es zieht hier!" -- "Ja, took man", nickte der alte Polizist,
-,!et will se woll still kriegen." Und der kalte Zugwind blies mit neuer
Wuth mitten unter die achtundvierzig Schneiderbeine. Das half! In weniger
als drei Stunden waren die revolutionären Schneider gehörig durchgekühlt;
ihre Courage war verweht. Sie verhielten sich ganz mäuschenstill. Höflich
baten sie nun: "Machen Sie doch gefälligst die Thüren zu. Es zieht hier
äanz infam!" Versuchsweise ward dann, erst die eine Thüre, hernach auch
^e zweite Thüre wieder geschlossen. Und richtig! Das Mittel erschien
probat. Die Rebellion war zu Ende. Kleinlaut marschirten die vierund-
jwanzig Schneidergesellen mit einem Zwangspaß zum Thore hinaus, -- Rostock
War gerettet!


Grenjboten IV. 1874. 34

der Revolution. Eines schönen Mittags erklang plötzlich in den Gassen der
Stadt der Generalmarsch. Es galt der Bürgergarde. Wir Knaben, die just
aus der Schule kamen, sahen von allen Seiten die gewaffneter Männer der
Ordnung eilig daherstürzen. — „Jetzt geht's los!" — Einer rief es dem
Andern zu. Es klang höchst gefährlich. — „Hurrah, jetzt geht's los!"
jubelten die Jungen. Wir liefen spornstreichs nach dem Orte des Schreckens,
nach dem „Schütting"; so helpt nämlich die Herberge der Sckneidergesellrn.
Da saßen sie, die Vierundzwan^ig und einige, oben in >en geöffneten Fenstern
und ließen die Beine zum Fenster hinaushängen, schwenkten ihre volle Flasche
und tobten, sangen und schimpften ausbündig. Und ha. — jetzt kam die
Garde daher, ihrer Achtmalhundert, nun rückten sie an mir Wehr und Waffen
und stürmten den Schneiderschütting, nahmen die vierundzwanzig betrunkenen
Schneidergesellen gefangen, faßten sie beim Kragen, führten sie Einen bei
Einem nach dem Rathhause und stellten eine Menge Wachtposten vor die
Thüren des Hauses.

Hier auf der geräumigen Diele des Rathhauses, wurden bis auf Weiteres
die vierundzwanzig Schneidergesellen in eine Art von hölzernem Pferch, alle
miteinander eingesperrt. Das erschien freilich gegen die Schneiderehre; die
Insassen tobten furchtbar und höhnten die Garde und drohten, Einer immer
noch toller als der Andere. Es war ein schrecklicher Rumor. Die Bürger¬
wache stand wie rathlos dabei. Da meinte ein alter Polizeidiener ganz
Pfiffig: „Top, ick will se woll stillkriegen." — Aber wie? Ganz einfach.
Der alte Praktikus machte auf der langen Diele des Hauses die beiden sich
gegenüberstehenden mächtigen Eingangsthüren auf. Und nun mit einem
Male, just wie aus einem Blasebalg, fegte der schneidend scharfe Zugwind
Zur einen Thüre hinein und zur andern Thüre wieder hinaus, durch die
vierundzwanzig Schneidergesellen mitten hindurch. Das half. Als der Zug-
Wind ihnen auf ein Mal so empfindlich kalt an den Magen kam. hoben sie
ein Bein um das andere und schimpften und spektakelten: „Thüren zu!
Thüren mi Es zieht hier!" — „Ja, took man", nickte der alte Polizist,
-,!et will se woll still kriegen." Und der kalte Zugwind blies mit neuer
Wuth mitten unter die achtundvierzig Schneiderbeine. Das half! In weniger
als drei Stunden waren die revolutionären Schneider gehörig durchgekühlt;
ihre Courage war verweht. Sie verhielten sich ganz mäuschenstill. Höflich
baten sie nun: „Machen Sie doch gefälligst die Thüren zu. Es zieht hier
äanz infam!" Versuchsweise ward dann, erst die eine Thüre, hernach auch
^e zweite Thüre wieder geschlossen. Und richtig! Das Mittel erschien
probat. Die Rebellion war zu Ende. Kleinlaut marschirten die vierund-
jwanzig Schneidergesellen mit einem Zwangspaß zum Thore hinaus, — Rostock
War gerettet!


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[0269] der Revolution. Eines schönen Mittags erklang plötzlich in den Gassen der Stadt der Generalmarsch. Es galt der Bürgergarde. Wir Knaben, die just aus der Schule kamen, sahen von allen Seiten die gewaffneter Männer der Ordnung eilig daherstürzen. — „Jetzt geht's los!" — Einer rief es dem Andern zu. Es klang höchst gefährlich. — „Hurrah, jetzt geht's los!" jubelten die Jungen. Wir liefen spornstreichs nach dem Orte des Schreckens, nach dem „Schütting"; so helpt nämlich die Herberge der Sckneidergesellrn. Da saßen sie, die Vierundzwan^ig und einige, oben in >en geöffneten Fenstern und ließen die Beine zum Fenster hinaushängen, schwenkten ihre volle Flasche und tobten, sangen und schimpften ausbündig. Und ha. — jetzt kam die Garde daher, ihrer Achtmalhundert, nun rückten sie an mir Wehr und Waffen und stürmten den Schneiderschütting, nahmen die vierundzwanzig betrunkenen Schneidergesellen gefangen, faßten sie beim Kragen, führten sie Einen bei Einem nach dem Rathhause und stellten eine Menge Wachtposten vor die Thüren des Hauses. Hier auf der geräumigen Diele des Rathhauses, wurden bis auf Weiteres die vierundzwanzig Schneidergesellen in eine Art von hölzernem Pferch, alle miteinander eingesperrt. Das erschien freilich gegen die Schneiderehre; die Insassen tobten furchtbar und höhnten die Garde und drohten, Einer immer noch toller als der Andere. Es war ein schrecklicher Rumor. Die Bürger¬ wache stand wie rathlos dabei. Da meinte ein alter Polizeidiener ganz Pfiffig: „Top, ick will se woll stillkriegen." — Aber wie? Ganz einfach. Der alte Praktikus machte auf der langen Diele des Hauses die beiden sich gegenüberstehenden mächtigen Eingangsthüren auf. Und nun mit einem Male, just wie aus einem Blasebalg, fegte der schneidend scharfe Zugwind Zur einen Thüre hinein und zur andern Thüre wieder hinaus, durch die vierundzwanzig Schneidergesellen mitten hindurch. Das half. Als der Zug- Wind ihnen auf ein Mal so empfindlich kalt an den Magen kam. hoben sie ein Bein um das andere und schimpften und spektakelten: „Thüren zu! Thüren mi Es zieht hier!" — „Ja, took man", nickte der alte Polizist, -,!et will se woll still kriegen." Und der kalte Zugwind blies mit neuer Wuth mitten unter die achtundvierzig Schneiderbeine. Das half! In weniger als drei Stunden waren die revolutionären Schneider gehörig durchgekühlt; ihre Courage war verweht. Sie verhielten sich ganz mäuschenstill. Höflich baten sie nun: „Machen Sie doch gefälligst die Thüren zu. Es zieht hier äanz infam!" Versuchsweise ward dann, erst die eine Thüre, hernach auch ^e zweite Thüre wieder geschlossen. Und richtig! Das Mittel erschien probat. Die Rebellion war zu Ende. Kleinlaut marschirten die vierund- jwanzig Schneidergesellen mit einem Zwangspaß zum Thore hinaus, — Rostock War gerettet! Grenjboten IV. 1874. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/269>, abgerufen am 10.06.2024.