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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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und Sehen. Durch Alles dieses wird jede Vermuthung wegen der Autorschaft
des Artikels außerordentlich erschwert, abgesehen davon, daß es überhaupt in
Sachsen unter den den Hof- und Regierungskreisen Nahestehenden nur wenig
Bürgerliche giebt, noch weniger Solche, die auf einem so ausgeprägt anti-
particularistischen Standpunkte, wie der Versasser dieses Artikels, stehen möch¬
ten. Und unter diesen wenigen, wer wäre da, der Neigung, Talent und --
Muth hätte, einen solchen Artikel in ein hierorts so verrufenes Blatt wie
Treitschke's Jahrbücher zu schreiben!

Doch lassen wir dieses Räthsel der Verfasserschaft und wenden wir uns
zu dem Inhalte des Artikels! Der Verfasser meint: die Politik der sächsischen
Negierung müsse dem räthselhaft vorkommen, der das Uebergewicht der Aristo¬
kratie im sächsischen Staatsleben nicht kenne. Mir scheint, er legt hierauf zu
sehr den Accent: der Adel ist in allen deutschen Ländern herrschsüchtig und
er ist überall da übermächtig, wo die Regierungen aus einem oder anderm
Grunde es verschmähen, sich auf die liberalen Elemente im Volke, welche
durchschnittlich im Bürgerthum vorwiegen, zu stützen. Das Bestreben, die
Stellung der sächsischen Aristokratie als eine exceptionelle darzustellen, verleitet
den Verfasser zu mancher Einseitigkeit. So wenn er den Religionswechsel eines
Schönburger Grafen gewissermaßen als eine Deferenz gegen das katholische
Herrscherhaus darstellt. Die Schönburger sind so wenig eines der "der Dy¬
nastie nahestehenden Adelshäuser", daß vielmehr, wegen der Prätension der
Schönburger auf eine Art von Halbsouveränität, zwischen ihnen und der
Krone Sachsen eine Spannung besteht, die eben jetzt nahezu in offenen
Kampf ausgebrochen ist.

Wichtiger und größtentheils auch zutreffender ist, was der Verfasser über
die einzelnen Persönlichkeiten sagt, die in der sächsischen Politik in den letzten
Jahrzehnten eine Rolle gespielt haben, beziehentlich noch spielen. Vor Allem
der Freiherr von Beust ist trefflich gezeichnet. Zu seiner für Sachsen so ver-
hängnißvollen Wirksamkeit möchte ich zwei Züge nachtragen, die beim Ver¬
fasser fehlen. Der letztere erklärt die lange Verzögerung des Separatfriedens
Zwischen Preußen und Sachsen im Jahre 1866 aus angeblichen Bemühungen
der preußischen Diplomatie, die sächsische Dynastie zu einer Aufgabe ihrer
Rechte auf das Land, sei es gegen Geldentschädigung, sei es durch einen Terri¬
torialtausch , zu vermögen. Ich glaube besser unterrichtet zu sein, wenn ich
sage: jene Verzögerung war wesentlich die Schuld des Herrn von Beust, der
bis aufs Aeußerste dem König Johann anlag, keine oder so wenig als möglich
Concessionen in Bezug auf die Einfügung Sachsens in den Norddeutschen Bund
Zu machen. Daher die entschiedene Weigerung des preußischen Kabinets mit
diesem Minister länger zu unterhandeln, -- der zwingende Grund zu Beust's
Rücktritt -- für welchen der Verfasser seinerseits keine Erklärung giebt. Eine


und Sehen. Durch Alles dieses wird jede Vermuthung wegen der Autorschaft
des Artikels außerordentlich erschwert, abgesehen davon, daß es überhaupt in
Sachsen unter den den Hof- und Regierungskreisen Nahestehenden nur wenig
Bürgerliche giebt, noch weniger Solche, die auf einem so ausgeprägt anti-
particularistischen Standpunkte, wie der Versasser dieses Artikels, stehen möch¬
ten. Und unter diesen wenigen, wer wäre da, der Neigung, Talent und —
Muth hätte, einen solchen Artikel in ein hierorts so verrufenes Blatt wie
Treitschke's Jahrbücher zu schreiben!

Doch lassen wir dieses Räthsel der Verfasserschaft und wenden wir uns
zu dem Inhalte des Artikels! Der Verfasser meint: die Politik der sächsischen
Negierung müsse dem räthselhaft vorkommen, der das Uebergewicht der Aristo¬
kratie im sächsischen Staatsleben nicht kenne. Mir scheint, er legt hierauf zu
sehr den Accent: der Adel ist in allen deutschen Ländern herrschsüchtig und
er ist überall da übermächtig, wo die Regierungen aus einem oder anderm
Grunde es verschmähen, sich auf die liberalen Elemente im Volke, welche
durchschnittlich im Bürgerthum vorwiegen, zu stützen. Das Bestreben, die
Stellung der sächsischen Aristokratie als eine exceptionelle darzustellen, verleitet
den Verfasser zu mancher Einseitigkeit. So wenn er den Religionswechsel eines
Schönburger Grafen gewissermaßen als eine Deferenz gegen das katholische
Herrscherhaus darstellt. Die Schönburger sind so wenig eines der „der Dy¬
nastie nahestehenden Adelshäuser", daß vielmehr, wegen der Prätension der
Schönburger auf eine Art von Halbsouveränität, zwischen ihnen und der
Krone Sachsen eine Spannung besteht, die eben jetzt nahezu in offenen
Kampf ausgebrochen ist.

Wichtiger und größtentheils auch zutreffender ist, was der Verfasser über
die einzelnen Persönlichkeiten sagt, die in der sächsischen Politik in den letzten
Jahrzehnten eine Rolle gespielt haben, beziehentlich noch spielen. Vor Allem
der Freiherr von Beust ist trefflich gezeichnet. Zu seiner für Sachsen so ver-
hängnißvollen Wirksamkeit möchte ich zwei Züge nachtragen, die beim Ver¬
fasser fehlen. Der letztere erklärt die lange Verzögerung des Separatfriedens
Zwischen Preußen und Sachsen im Jahre 1866 aus angeblichen Bemühungen
der preußischen Diplomatie, die sächsische Dynastie zu einer Aufgabe ihrer
Rechte auf das Land, sei es gegen Geldentschädigung, sei es durch einen Terri¬
torialtausch , zu vermögen. Ich glaube besser unterrichtet zu sein, wenn ich
sage: jene Verzögerung war wesentlich die Schuld des Herrn von Beust, der
bis aufs Aeußerste dem König Johann anlag, keine oder so wenig als möglich
Concessionen in Bezug auf die Einfügung Sachsens in den Norddeutschen Bund
Zu machen. Daher die entschiedene Weigerung des preußischen Kabinets mit
diesem Minister länger zu unterhandeln, — der zwingende Grund zu Beust's
Rücktritt — für welchen der Verfasser seinerseits keine Erklärung giebt. Eine


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[0351] und Sehen. Durch Alles dieses wird jede Vermuthung wegen der Autorschaft des Artikels außerordentlich erschwert, abgesehen davon, daß es überhaupt in Sachsen unter den den Hof- und Regierungskreisen Nahestehenden nur wenig Bürgerliche giebt, noch weniger Solche, die auf einem so ausgeprägt anti- particularistischen Standpunkte, wie der Versasser dieses Artikels, stehen möch¬ ten. Und unter diesen wenigen, wer wäre da, der Neigung, Talent und — Muth hätte, einen solchen Artikel in ein hierorts so verrufenes Blatt wie Treitschke's Jahrbücher zu schreiben! Doch lassen wir dieses Räthsel der Verfasserschaft und wenden wir uns zu dem Inhalte des Artikels! Der Verfasser meint: die Politik der sächsischen Negierung müsse dem räthselhaft vorkommen, der das Uebergewicht der Aristo¬ kratie im sächsischen Staatsleben nicht kenne. Mir scheint, er legt hierauf zu sehr den Accent: der Adel ist in allen deutschen Ländern herrschsüchtig und er ist überall da übermächtig, wo die Regierungen aus einem oder anderm Grunde es verschmähen, sich auf die liberalen Elemente im Volke, welche durchschnittlich im Bürgerthum vorwiegen, zu stützen. Das Bestreben, die Stellung der sächsischen Aristokratie als eine exceptionelle darzustellen, verleitet den Verfasser zu mancher Einseitigkeit. So wenn er den Religionswechsel eines Schönburger Grafen gewissermaßen als eine Deferenz gegen das katholische Herrscherhaus darstellt. Die Schönburger sind so wenig eines der „der Dy¬ nastie nahestehenden Adelshäuser", daß vielmehr, wegen der Prätension der Schönburger auf eine Art von Halbsouveränität, zwischen ihnen und der Krone Sachsen eine Spannung besteht, die eben jetzt nahezu in offenen Kampf ausgebrochen ist. Wichtiger und größtentheils auch zutreffender ist, was der Verfasser über die einzelnen Persönlichkeiten sagt, die in der sächsischen Politik in den letzten Jahrzehnten eine Rolle gespielt haben, beziehentlich noch spielen. Vor Allem der Freiherr von Beust ist trefflich gezeichnet. Zu seiner für Sachsen so ver- hängnißvollen Wirksamkeit möchte ich zwei Züge nachtragen, die beim Ver¬ fasser fehlen. Der letztere erklärt die lange Verzögerung des Separatfriedens Zwischen Preußen und Sachsen im Jahre 1866 aus angeblichen Bemühungen der preußischen Diplomatie, die sächsische Dynastie zu einer Aufgabe ihrer Rechte auf das Land, sei es gegen Geldentschädigung, sei es durch einen Terri¬ torialtausch , zu vermögen. Ich glaube besser unterrichtet zu sein, wenn ich sage: jene Verzögerung war wesentlich die Schuld des Herrn von Beust, der bis aufs Aeußerste dem König Johann anlag, keine oder so wenig als möglich Concessionen in Bezug auf die Einfügung Sachsens in den Norddeutschen Bund Zu machen. Daher die entschiedene Weigerung des preußischen Kabinets mit diesem Minister länger zu unterhandeln, — der zwingende Grund zu Beust's Rücktritt — für welchen der Verfasser seinerseits keine Erklärung giebt. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/351>, abgerufen am 10.06.2024.