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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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fassungen, der vollständig andern Verhältnisse wegen, gewiß ebenso berechtigt
sind, als in London unberechtigt.

Die Trennung der Wohnung in 2, 3 und mehr Stockwerke, die sich hier
überall zeigt, hat aber gewiß auch ihre großen Nachtheile und Unbequemlich¬
keiten. Es ist wahr, man ist innerhalb seiner Wohnung ganz unbeachtet,
kommt mit Niemandem in Berührung, den man nicht sehen will und vor
allen Dingen wird dem Geklatsche der Dienstboten auf die wirksamste Weise
vorgebeugt, dafür hat man aber immerwährend Trepp auf, Trepp ab zu
steigen; und wenn man sich auch das Haus so eintheilen kann, daß man am
Tage möglichst nur in einem Stockwerke bleibt, so bin ich doch fest über¬
zeugt, daß unseren deutschen Hausfrauen, die glücklicher Weise selbst überall
im Hause nachsehen, diese Zustände nicht recht behagen würden.

Ich glaube auch, daß sich die Calamitäten, die sich in unseren Gro߬
städten in dem Namen Wohnungsnoth zusammenfassen, auch ohne Einführung
von Londoner Wohnhäusern, die von so vielen Seiten angepriesen worden sind,
beseitigen lassen, wenn wir die nächsten Umgebungen der Städte derart mit
den Berkehrsmittelpunkten in Verbindung bringen, daß der Geschäftsmann
nicht gezwungen ist, in der Stadt zu wohnen.

Jetzt muß der Geschäftsmann und der Handwerker, Dank der entsetzlich
mangelhaften Communikationen innerhalb und außerhalb der Städte, im
Innern dieser selbst wohnen, wenn er nicht seine kostbarste Zeit verlieren
will. Jetzt muß der arme Tagelöhner in elenden Kellern oder Dachstuben
wohnen. So wie wir aber zwischen dem Innern der Städte und den länd¬
lichen Umgebungen Eisenbahnverbindungen haben werden, wie sie jetzt für
Berlin und Hamburg geplant und theilweise in Ausführung sind, wird auch
die ganze Wohnungsnoth mit ihren Schrecken verschwunden sein, auch ohne
daß wir zu dem Wohnungshaus Englands unsere Zuflucht nehmen,
welches ich für deutsche Verhältnisse für unbequem und unpraktisch halte.
Wenn wir dereinst auch so reich sind, daß sich jede Familie soviel Dienst¬
boten halten kann, daß die Hausfrau nur noch zu befehlen braucht, dann
könnten wir es vielleicht thun, aber ich glaube nicht, daß das englische
System jemals in Deutschland Eingang und Anklang finden wird. Wenn
sich unsere großen Städte mehr nach außen hin ausdehnen, dann werden auch
vielfach Stockwerke, die jetzt in mehrere Wohnungen getheilt sind, nur zu einer
benutzt werden, die Wohnungen werden überhaupt geräumiger werden. Darin
liegt aber der Schwerpunkt der ganzen Frage, daß unsere Wohnungen, durch
die Wohnungsnoth auf ein ungebührliches Maaß eingeschränkt worden sind,
und daß es dringend geboten ist, sie menschenwürdiger, geräumiger zu machen.
Ob eine Wohnung von 6 Zimmern in 3 Stockwerken vertheilt, oder in einem
vereinigt ist, ist gewiß für die Bequemlichkeit nicht gleichgültig, ich ziehe die


fassungen, der vollständig andern Verhältnisse wegen, gewiß ebenso berechtigt
sind, als in London unberechtigt.

Die Trennung der Wohnung in 2, 3 und mehr Stockwerke, die sich hier
überall zeigt, hat aber gewiß auch ihre großen Nachtheile und Unbequemlich¬
keiten. Es ist wahr, man ist innerhalb seiner Wohnung ganz unbeachtet,
kommt mit Niemandem in Berührung, den man nicht sehen will und vor
allen Dingen wird dem Geklatsche der Dienstboten auf die wirksamste Weise
vorgebeugt, dafür hat man aber immerwährend Trepp auf, Trepp ab zu
steigen; und wenn man sich auch das Haus so eintheilen kann, daß man am
Tage möglichst nur in einem Stockwerke bleibt, so bin ich doch fest über¬
zeugt, daß unseren deutschen Hausfrauen, die glücklicher Weise selbst überall
im Hause nachsehen, diese Zustände nicht recht behagen würden.

Ich glaube auch, daß sich die Calamitäten, die sich in unseren Gro߬
städten in dem Namen Wohnungsnoth zusammenfassen, auch ohne Einführung
von Londoner Wohnhäusern, die von so vielen Seiten angepriesen worden sind,
beseitigen lassen, wenn wir die nächsten Umgebungen der Städte derart mit
den Berkehrsmittelpunkten in Verbindung bringen, daß der Geschäftsmann
nicht gezwungen ist, in der Stadt zu wohnen.

Jetzt muß der Geschäftsmann und der Handwerker, Dank der entsetzlich
mangelhaften Communikationen innerhalb und außerhalb der Städte, im
Innern dieser selbst wohnen, wenn er nicht seine kostbarste Zeit verlieren
will. Jetzt muß der arme Tagelöhner in elenden Kellern oder Dachstuben
wohnen. So wie wir aber zwischen dem Innern der Städte und den länd¬
lichen Umgebungen Eisenbahnverbindungen haben werden, wie sie jetzt für
Berlin und Hamburg geplant und theilweise in Ausführung sind, wird auch
die ganze Wohnungsnoth mit ihren Schrecken verschwunden sein, auch ohne
daß wir zu dem Wohnungshaus Englands unsere Zuflucht nehmen,
welches ich für deutsche Verhältnisse für unbequem und unpraktisch halte.
Wenn wir dereinst auch so reich sind, daß sich jede Familie soviel Dienst¬
boten halten kann, daß die Hausfrau nur noch zu befehlen braucht, dann
könnten wir es vielleicht thun, aber ich glaube nicht, daß das englische
System jemals in Deutschland Eingang und Anklang finden wird. Wenn
sich unsere großen Städte mehr nach außen hin ausdehnen, dann werden auch
vielfach Stockwerke, die jetzt in mehrere Wohnungen getheilt sind, nur zu einer
benutzt werden, die Wohnungen werden überhaupt geräumiger werden. Darin
liegt aber der Schwerpunkt der ganzen Frage, daß unsere Wohnungen, durch
die Wohnungsnoth auf ein ungebührliches Maaß eingeschränkt worden sind,
und daß es dringend geboten ist, sie menschenwürdiger, geräumiger zu machen.
Ob eine Wohnung von 6 Zimmern in 3 Stockwerken vertheilt, oder in einem
vereinigt ist, ist gewiß für die Bequemlichkeit nicht gleichgültig, ich ziehe die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/424>, abgerufen am 10.06.2024.