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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Z)le Schlacht sei Gravelotte-Se. privat.*)
Vergleiche die beigelegte Skizze.
I.

Zwei Sterne erster Größe leuchten mit wunderbarer Herrlichfeit hervor
aus der Zahl funkelnder Schlachtgestirne des Jahres 1870: Gravelotte und
Sedan. Blutig roth ist der Glanz all jener Sterne, wie der des Mars am
nächtlichen Himmel; aber am Tiefsten in dies Roth getaucht ist Gravelotte!
Die Erinnerung an Sedan hat etwas Dithyrambisches: der kühne strategische
Zug und sein vollkommenes Gelingen, der Abschluß durch die Gefangennahme
von Heer und Kaiser -- das gibt dem Tage von Sedan eine künstlerische
Geschlossenheit, die bei seinem Andenken ähnlich empfinden läßt wie bei der
Betrachtung eines Meisterwerkes; alle Nebenempsindungen werden verschlungen
von der Freude über den Erfolg und die geniale Schöpferkraft. -- Anders
bei Gravelotte! Da ringt sich die Erinnerung nur schwer und langsam los
von den ungeheuern Opfern; nicht die Phantasie hebt mit elastischer Leichtig¬
keit hinweg über den furchtbaren Werdeprozeß dieses Sieges, sondern es braucht
der Erwägung und des bewußten Nachdenkens über den unermeßlichen Werth
jenes Erfolges, um das Gemüth zu versöhnen und zu befreien.

Einleitung.

Bis zum Abschluß der zweiten Augustwoche war das französische Heer
noch einigermaßen Herr seiner Bewegungen gewesen; aber nach den Nieder¬
lagen von Wörth und Spicheren machte sich das Bedürfniß geltend, irgend¬
wie das fehlende Gleichgewicht der Kräfte wieder herzustellen. -- Zwei Wege
schienen sich darzubieten: entweder Vereinigung der Rheinarmee mit der in
der Neubildung begriffenen Armee von Chalons oder Festsetzen in dem ver¬
schanzten Lager von Metz, um die eigene Widerstandskraft zu erhöhen, die
feindlichen Kräfte dagegen zur Theilung zu zwingen. Daß man zwischen
diesen Wegen fünf Tage lang (vom 12. bis 17. August) schwankte, wurde
verhängnißvoll. Kaiser Napoleon scheint dem ersteren, Bazaine dem ande¬
ren geneigt gewesen zu sein, und doch verlor der Marschall den Glauben an
die Wirksamkeit eines "zweiten Mittelpunktes der Widerstandskraft" eben zu
der Zeit, als ihn die deutschen Vorbewegungen westlich von Metz zwangen, sich
auf diesen Waffenplatz zu stützen.



") Der deutsch-französische Krieg 1870--71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen
Abtheilung des Großen Generalstabes. Erster Theil. Geschichte des Krieges bis zum Sturz
des Kaiserreichs. Heft K. Die Schlacht bei Gravelotte-Se. Privat. Mit Plan ti ^ und " so¬
wie Skizzen im Texte. Berlin 1873. E. S. Mittler K Sohn. (Die Besprechungen der 5 früher erschienenen Hefte vergleiche Grenzboten 1872 III. Quart.
S. 237, 1873 i. Quart. S. 31 und II. Quart. S. 481, 1874 II. Quart. S. 321 und 377.)
Z)le Schlacht sei Gravelotte-Se. privat.*)
Vergleiche die beigelegte Skizze.
I.

Zwei Sterne erster Größe leuchten mit wunderbarer Herrlichfeit hervor
aus der Zahl funkelnder Schlachtgestirne des Jahres 1870: Gravelotte und
Sedan. Blutig roth ist der Glanz all jener Sterne, wie der des Mars am
nächtlichen Himmel; aber am Tiefsten in dies Roth getaucht ist Gravelotte!
Die Erinnerung an Sedan hat etwas Dithyrambisches: der kühne strategische
Zug und sein vollkommenes Gelingen, der Abschluß durch die Gefangennahme
von Heer und Kaiser — das gibt dem Tage von Sedan eine künstlerische
Geschlossenheit, die bei seinem Andenken ähnlich empfinden läßt wie bei der
Betrachtung eines Meisterwerkes; alle Nebenempsindungen werden verschlungen
von der Freude über den Erfolg und die geniale Schöpferkraft. — Anders
bei Gravelotte! Da ringt sich die Erinnerung nur schwer und langsam los
von den ungeheuern Opfern; nicht die Phantasie hebt mit elastischer Leichtig¬
keit hinweg über den furchtbaren Werdeprozeß dieses Sieges, sondern es braucht
der Erwägung und des bewußten Nachdenkens über den unermeßlichen Werth
jenes Erfolges, um das Gemüth zu versöhnen und zu befreien.

Einleitung.

Bis zum Abschluß der zweiten Augustwoche war das französische Heer
noch einigermaßen Herr seiner Bewegungen gewesen; aber nach den Nieder¬
lagen von Wörth und Spicheren machte sich das Bedürfniß geltend, irgend¬
wie das fehlende Gleichgewicht der Kräfte wieder herzustellen. — Zwei Wege
schienen sich darzubieten: entweder Vereinigung der Rheinarmee mit der in
der Neubildung begriffenen Armee von Chalons oder Festsetzen in dem ver¬
schanzten Lager von Metz, um die eigene Widerstandskraft zu erhöhen, die
feindlichen Kräfte dagegen zur Theilung zu zwingen. Daß man zwischen
diesen Wegen fünf Tage lang (vom 12. bis 17. August) schwankte, wurde
verhängnißvoll. Kaiser Napoleon scheint dem ersteren, Bazaine dem ande¬
ren geneigt gewesen zu sein, und doch verlor der Marschall den Glauben an
die Wirksamkeit eines „zweiten Mittelpunktes der Widerstandskraft" eben zu
der Zeit, als ihn die deutschen Vorbewegungen westlich von Metz zwangen, sich
auf diesen Waffenplatz zu stützen.



") Der deutsch-französische Krieg 1870—71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen
Abtheilung des Großen Generalstabes. Erster Theil. Geschichte des Krieges bis zum Sturz
des Kaiserreichs. Heft K. Die Schlacht bei Gravelotte-Se. Privat. Mit Plan ti ^ und » so¬
wie Skizzen im Texte. Berlin 1873. E. S. Mittler K Sohn. (Die Besprechungen der 5 früher erschienenen Hefte vergleiche Grenzboten 1872 III. Quart.
S. 237, 1873 i. Quart. S. 31 und II. Quart. S. 481, 1874 II. Quart. S. 321 und 377.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/15>, abgerufen am 28.05.2024.