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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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wieder das Stillstehen der Sonne, oder den Umlauf der Sonne um die Erde,
das Sprechen des Esels Bileams u. s. w. vertheidigt. Dahin gehören aber
auch im Zusammenhange mit der Entwicklung der Philosophie, die auf
unchristlichen metaphysischen Grundanschauungen gebauten sog. speculativen
theologischen Systeme, namentlich, früherer nicht zu gedenken, von Schleier¬
macher und Rothe, mit ihren verschiedenen Epigonen und Modificationen,
wie der liutiouÄlismus vulgliris, der, wenn auch noch Religion, nur kein
Christenthum ist.

Wir nehmen darum keinen Anstand, auszusprechen, daß die recht ver¬
standenen evangelischen Bekenntnisse als Zeugnisse der biblisch-kirchlichen Wahr¬
heit das Christenthum viel reiner und besser darstellen als alle genannten
angeblich tiefsinnigen speculativen Erläuterungen desselben, die auf unchristlich-
metaphysischer Grundanschauung nur selbst gemachte abstracte Begriffe an die
Stelle historischer Realität und Wahrheit setzen. Ohne den historischen Christus,
wie ihn das Neue Testament und zwar in Vollendung der Offenbarung das
Evangelium des Apostels Johannis, das trotz aller berechtigten und unberech¬
tigten Kritik das Evangelium des Jüngers Christi bleibt, darstellt, kein
Christenthum und keine christliche Kirche.

Aber ist es denn ein Wunder, wenn die Laien an diesem Chaos theo¬
logischer Anschauungen und Kämpfe Anstoß nehmen? wenn sie an dem
Christenthume selbst irre werden? wenn die Frivolität nur Hohn und Spott
für dasselbe hat?

Und ist es ein Wunder, wenn junge Männer, die noch wenig selbst¬
ständig für alle Eindrücke doppelt empfänglich sind, sich scheuen, sich in dieses
Meer von Verwirrung und Verirrung zu wagen?

Und zwar sollen die jungen Männer sich zum Studium der Theologie
wenden, während ihnen wahrscheinlich auf allen anderen Gebieten nicht nur
eine schnellere Versorgung, sondern eine viel sorgenfreiere bessere materielle
Stellung, bei der Theologie aber nicht nur sicher Hohn und Spott, sondern
wirklich materieller Mangel bevorsteht?

Der geistige Kampf freilich kann ihnen nicht erspart werden, dieser Kampf
ist vielmehr Zweck und die Würde des geistlichen Amtes gegen die Welt im
bösen Sinne, aber eben darum liegt darin nicht, und namentlich in unserer
Zeit nicht der Hauptgrund der Abneigung, dieser Grund tritt nur zu dem
materiellen verstärkend hinzu.

Für den geistigen Kampf ist nur nöthig, daß die Theologie die gegnerischen
Standpunkte ungescheut als das kennzeichnet, was sie sind, d. h. als Ver¬
wirrung und Verirrung der Grundbegriffe, auf denen alle Wahrheit, Klarheit,
Ordnung und auch die Glückseligkeit des Menschen ruht, nur darf freilich die
Theologie nichts für christlich ausgeben, was nicht zum Christenthume gehört.


wieder das Stillstehen der Sonne, oder den Umlauf der Sonne um die Erde,
das Sprechen des Esels Bileams u. s. w. vertheidigt. Dahin gehören aber
auch im Zusammenhange mit der Entwicklung der Philosophie, die auf
unchristlichen metaphysischen Grundanschauungen gebauten sog. speculativen
theologischen Systeme, namentlich, früherer nicht zu gedenken, von Schleier¬
macher und Rothe, mit ihren verschiedenen Epigonen und Modificationen,
wie der liutiouÄlismus vulgliris, der, wenn auch noch Religion, nur kein
Christenthum ist.

Wir nehmen darum keinen Anstand, auszusprechen, daß die recht ver¬
standenen evangelischen Bekenntnisse als Zeugnisse der biblisch-kirchlichen Wahr¬
heit das Christenthum viel reiner und besser darstellen als alle genannten
angeblich tiefsinnigen speculativen Erläuterungen desselben, die auf unchristlich-
metaphysischer Grundanschauung nur selbst gemachte abstracte Begriffe an die
Stelle historischer Realität und Wahrheit setzen. Ohne den historischen Christus,
wie ihn das Neue Testament und zwar in Vollendung der Offenbarung das
Evangelium des Apostels Johannis, das trotz aller berechtigten und unberech¬
tigten Kritik das Evangelium des Jüngers Christi bleibt, darstellt, kein
Christenthum und keine christliche Kirche.

Aber ist es denn ein Wunder, wenn die Laien an diesem Chaos theo¬
logischer Anschauungen und Kämpfe Anstoß nehmen? wenn sie an dem
Christenthume selbst irre werden? wenn die Frivolität nur Hohn und Spott
für dasselbe hat?

Und ist es ein Wunder, wenn junge Männer, die noch wenig selbst¬
ständig für alle Eindrücke doppelt empfänglich sind, sich scheuen, sich in dieses
Meer von Verwirrung und Verirrung zu wagen?

Und zwar sollen die jungen Männer sich zum Studium der Theologie
wenden, während ihnen wahrscheinlich auf allen anderen Gebieten nicht nur
eine schnellere Versorgung, sondern eine viel sorgenfreiere bessere materielle
Stellung, bei der Theologie aber nicht nur sicher Hohn und Spott, sondern
wirklich materieller Mangel bevorsteht?

Der geistige Kampf freilich kann ihnen nicht erspart werden, dieser Kampf
ist vielmehr Zweck und die Würde des geistlichen Amtes gegen die Welt im
bösen Sinne, aber eben darum liegt darin nicht, und namentlich in unserer
Zeit nicht der Hauptgrund der Abneigung, dieser Grund tritt nur zu dem
materiellen verstärkend hinzu.

Für den geistigen Kampf ist nur nöthig, daß die Theologie die gegnerischen
Standpunkte ungescheut als das kennzeichnet, was sie sind, d. h. als Ver¬
wirrung und Verirrung der Grundbegriffe, auf denen alle Wahrheit, Klarheit,
Ordnung und auch die Glückseligkeit des Menschen ruht, nur darf freilich die
Theologie nichts für christlich ausgeben, was nicht zum Christenthume gehört.


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[0295] wieder das Stillstehen der Sonne, oder den Umlauf der Sonne um die Erde, das Sprechen des Esels Bileams u. s. w. vertheidigt. Dahin gehören aber auch im Zusammenhange mit der Entwicklung der Philosophie, die auf unchristlichen metaphysischen Grundanschauungen gebauten sog. speculativen theologischen Systeme, namentlich, früherer nicht zu gedenken, von Schleier¬ macher und Rothe, mit ihren verschiedenen Epigonen und Modificationen, wie der liutiouÄlismus vulgliris, der, wenn auch noch Religion, nur kein Christenthum ist. Wir nehmen darum keinen Anstand, auszusprechen, daß die recht ver¬ standenen evangelischen Bekenntnisse als Zeugnisse der biblisch-kirchlichen Wahr¬ heit das Christenthum viel reiner und besser darstellen als alle genannten angeblich tiefsinnigen speculativen Erläuterungen desselben, die auf unchristlich- metaphysischer Grundanschauung nur selbst gemachte abstracte Begriffe an die Stelle historischer Realität und Wahrheit setzen. Ohne den historischen Christus, wie ihn das Neue Testament und zwar in Vollendung der Offenbarung das Evangelium des Apostels Johannis, das trotz aller berechtigten und unberech¬ tigten Kritik das Evangelium des Jüngers Christi bleibt, darstellt, kein Christenthum und keine christliche Kirche. Aber ist es denn ein Wunder, wenn die Laien an diesem Chaos theo¬ logischer Anschauungen und Kämpfe Anstoß nehmen? wenn sie an dem Christenthume selbst irre werden? wenn die Frivolität nur Hohn und Spott für dasselbe hat? Und ist es ein Wunder, wenn junge Männer, die noch wenig selbst¬ ständig für alle Eindrücke doppelt empfänglich sind, sich scheuen, sich in dieses Meer von Verwirrung und Verirrung zu wagen? Und zwar sollen die jungen Männer sich zum Studium der Theologie wenden, während ihnen wahrscheinlich auf allen anderen Gebieten nicht nur eine schnellere Versorgung, sondern eine viel sorgenfreiere bessere materielle Stellung, bei der Theologie aber nicht nur sicher Hohn und Spott, sondern wirklich materieller Mangel bevorsteht? Der geistige Kampf freilich kann ihnen nicht erspart werden, dieser Kampf ist vielmehr Zweck und die Würde des geistlichen Amtes gegen die Welt im bösen Sinne, aber eben darum liegt darin nicht, und namentlich in unserer Zeit nicht der Hauptgrund der Abneigung, dieser Grund tritt nur zu dem materiellen verstärkend hinzu. Für den geistigen Kampf ist nur nöthig, daß die Theologie die gegnerischen Standpunkte ungescheut als das kennzeichnet, was sie sind, d. h. als Ver¬ wirrung und Verirrung der Grundbegriffe, auf denen alle Wahrheit, Klarheit, Ordnung und auch die Glückseligkeit des Menschen ruht, nur darf freilich die Theologie nichts für christlich ausgeben, was nicht zum Christenthume gehört.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/295>, abgerufen am 28.05.2024.