Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Fahrgelegenheiten ab, als gerade dieses Warten. Wenn man leidlich große
Wegestrecken, vermöge der großen Zwischenräume, in denen sich die Wagen
folgen, ebenso schnell, oder auch nur annähernd in derselben Zeit zu Fuß zu¬
rücklegen kann, als mit der Pferdebahn, so wird man diese in den allersel-
tensten Fällen benutzen, oder mit andern Worten die Pferdebahn ist dann
überhaupt für eine sehr große Anzahl von Personen ohne Nutzen. "Gelegen¬
heit macht Diebe" ist ein altes wahres Sprüchwort, sie macht aber nicht min¬
der Personen zu Fahrpafsagieren, die es sonst niemals geworden wären. Wenn
man die Pferdebahnwagen in Zeiträumen von 3 bis ü Minuten aufeinander
folgen läßt, so wird sich sehr bald auch überall die Frequenz derselben bedeu¬
tend steigern.

In noch höherm Grade gilt dies von den Locomotivlocalbahnen und
ich werde darauf noch besonders zurückkommen. Da in London selbst schon
seit Jahrzehnten Loealbahnen mit Locomotivbetrieb bestanden haben, während
die Pferdeeisenbahn in ihrer jetzigen weiten Verbreitung und Verwendung
zur Personenbeförderung erst eine neuere Erfindung ist, so sind hier auch
diese erst sehr spät entstanden und zwar in einer Art und Weise, die von der
der meisten übrigen Großstädte sehr erheblich abweicht. In London nämlich
führen die Pferdebahnen nur von den die Stadt umfassenden und in deren
Innerstes einmündenden Locomotiv-Eisenbahnen rechtwinklig ab nach ent¬
legeneren Stadttheilen und Vorstädten, mit welchen eine directe Verbindung
durch Loeomotivbahnen nicht rentabel sein würde.

Die Pferdebahnen haben daher hier einen rein secundären Charakter, der
ihnen auch überall da, wo sie in Verbindung mit Locomotiveisenbahnen treten,
zukommt. Natürlich ist solch ein System nur in einer wirklich großen Stadt
möglich, aber dann auch sehr beachtenswerth und dürfte sich wohl auch ganz
besonders für Berlin empfehlen, wo die erste Stadteisenbahn jetzt im Bau,
das Pferdeeisenbahnnetz aber noch lange nicht vollendet ist, so daß sich noch
recht gut eine derartige Combination erzielen ließe.

Es wird sich mit der Zeit allerdings dieses System stets von selbst bilden,
denn mit Locomotiveisenbahnen vermag auf die Dauer kein anderes Verkehrs¬
mittel zu concurriren, wenn nicht wie in London, wo allerdings Eisenbahn-,
Dampfschiff- und Omnibuslinien neben einander bestehen, die Bevölkerung so
groß ist, daß alle drei Factoren zusammenwirken müssen, um den Verkehr zu
bewältigen und wo die Bevölkerung für ein Minimum von Zeitgewinn so außer¬
ordentlich empfindlich ist und vor allen Dingen auch den kleinsten Weg. der etwa
zu Fuß zurückgelegt werden müßte, so sehr scheut, daß sie unter Umständen den
anscheinend langsameren Omnibus der schnellfahrenden Eisenbahn vorzieht,
wenn ersterer gerade am Wege liegt. Aber obwohl sich diese Regulirung von


Fahrgelegenheiten ab, als gerade dieses Warten. Wenn man leidlich große
Wegestrecken, vermöge der großen Zwischenräume, in denen sich die Wagen
folgen, ebenso schnell, oder auch nur annähernd in derselben Zeit zu Fuß zu¬
rücklegen kann, als mit der Pferdebahn, so wird man diese in den allersel-
tensten Fällen benutzen, oder mit andern Worten die Pferdebahn ist dann
überhaupt für eine sehr große Anzahl von Personen ohne Nutzen. „Gelegen¬
heit macht Diebe" ist ein altes wahres Sprüchwort, sie macht aber nicht min¬
der Personen zu Fahrpafsagieren, die es sonst niemals geworden wären. Wenn
man die Pferdebahnwagen in Zeiträumen von 3 bis ü Minuten aufeinander
folgen läßt, so wird sich sehr bald auch überall die Frequenz derselben bedeu¬
tend steigern.

In noch höherm Grade gilt dies von den Locomotivlocalbahnen und
ich werde darauf noch besonders zurückkommen. Da in London selbst schon
seit Jahrzehnten Loealbahnen mit Locomotivbetrieb bestanden haben, während
die Pferdeeisenbahn in ihrer jetzigen weiten Verbreitung und Verwendung
zur Personenbeförderung erst eine neuere Erfindung ist, so sind hier auch
diese erst sehr spät entstanden und zwar in einer Art und Weise, die von der
der meisten übrigen Großstädte sehr erheblich abweicht. In London nämlich
führen die Pferdebahnen nur von den die Stadt umfassenden und in deren
Innerstes einmündenden Locomotiv-Eisenbahnen rechtwinklig ab nach ent¬
legeneren Stadttheilen und Vorstädten, mit welchen eine directe Verbindung
durch Loeomotivbahnen nicht rentabel sein würde.

Die Pferdebahnen haben daher hier einen rein secundären Charakter, der
ihnen auch überall da, wo sie in Verbindung mit Locomotiveisenbahnen treten,
zukommt. Natürlich ist solch ein System nur in einer wirklich großen Stadt
möglich, aber dann auch sehr beachtenswerth und dürfte sich wohl auch ganz
besonders für Berlin empfehlen, wo die erste Stadteisenbahn jetzt im Bau,
das Pferdeeisenbahnnetz aber noch lange nicht vollendet ist, so daß sich noch
recht gut eine derartige Combination erzielen ließe.

Es wird sich mit der Zeit allerdings dieses System stets von selbst bilden,
denn mit Locomotiveisenbahnen vermag auf die Dauer kein anderes Verkehrs¬
mittel zu concurriren, wenn nicht wie in London, wo allerdings Eisenbahn-,
Dampfschiff- und Omnibuslinien neben einander bestehen, die Bevölkerung so
groß ist, daß alle drei Factoren zusammenwirken müssen, um den Verkehr zu
bewältigen und wo die Bevölkerung für ein Minimum von Zeitgewinn so außer¬
ordentlich empfindlich ist und vor allen Dingen auch den kleinsten Weg. der etwa
zu Fuß zurückgelegt werden müßte, so sehr scheut, daß sie unter Umständen den
anscheinend langsameren Omnibus der schnellfahrenden Eisenbahn vorzieht,
wenn ersterer gerade am Wege liegt. Aber obwohl sich diese Regulirung von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132802"/>
          <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> Fahrgelegenheiten ab, als gerade dieses Warten. Wenn man leidlich große<lb/>
Wegestrecken, vermöge der großen Zwischenräume, in denen sich die Wagen<lb/>
folgen, ebenso schnell, oder auch nur annähernd in derselben Zeit zu Fuß zu¬<lb/>
rücklegen kann, als mit der Pferdebahn, so wird man diese in den allersel-<lb/>
tensten Fällen benutzen, oder mit andern Worten die Pferdebahn ist dann<lb/>
überhaupt für eine sehr große Anzahl von Personen ohne Nutzen. &#x201E;Gelegen¬<lb/>
heit macht Diebe" ist ein altes wahres Sprüchwort, sie macht aber nicht min¬<lb/>
der Personen zu Fahrpafsagieren, die es sonst niemals geworden wären. Wenn<lb/>
man die Pferdebahnwagen in Zeiträumen von 3 bis ü Minuten aufeinander<lb/>
folgen läßt, so wird sich sehr bald auch überall die Frequenz derselben bedeu¬<lb/>
tend steigern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_145"> In noch höherm Grade gilt dies von den Locomotivlocalbahnen und<lb/>
ich werde darauf noch besonders zurückkommen. Da in London selbst schon<lb/>
seit Jahrzehnten Loealbahnen mit Locomotivbetrieb bestanden haben, während<lb/>
die Pferdeeisenbahn in ihrer jetzigen weiten Verbreitung und Verwendung<lb/>
zur Personenbeförderung erst eine neuere Erfindung ist, so sind hier auch<lb/>
diese erst sehr spät entstanden und zwar in einer Art und Weise, die von der<lb/>
der meisten übrigen Großstädte sehr erheblich abweicht. In London nämlich<lb/>
führen die Pferdebahnen nur von den die Stadt umfassenden und in deren<lb/>
Innerstes einmündenden Locomotiv-Eisenbahnen rechtwinklig ab nach ent¬<lb/>
legeneren Stadttheilen und Vorstädten, mit welchen eine directe Verbindung<lb/>
durch Loeomotivbahnen nicht rentabel sein würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_146"> Die Pferdebahnen haben daher hier einen rein secundären Charakter, der<lb/>
ihnen auch überall da, wo sie in Verbindung mit Locomotiveisenbahnen treten,<lb/>
zukommt. Natürlich ist solch ein System nur in einer wirklich großen Stadt<lb/>
möglich, aber dann auch sehr beachtenswerth und dürfte sich wohl auch ganz<lb/>
besonders für Berlin empfehlen, wo die erste Stadteisenbahn jetzt im Bau,<lb/>
das Pferdeeisenbahnnetz aber noch lange nicht vollendet ist, so daß sich noch<lb/>
recht gut eine derartige Combination erzielen ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_147" next="#ID_148"> Es wird sich mit der Zeit allerdings dieses System stets von selbst bilden,<lb/>
denn mit Locomotiveisenbahnen vermag auf die Dauer kein anderes Verkehrs¬<lb/>
mittel zu concurriren, wenn nicht wie in London, wo allerdings Eisenbahn-,<lb/>
Dampfschiff- und Omnibuslinien neben einander bestehen, die Bevölkerung so<lb/>
groß ist, daß alle drei Factoren zusammenwirken müssen, um den Verkehr zu<lb/>
bewältigen und wo die Bevölkerung für ein Minimum von Zeitgewinn so außer¬<lb/>
ordentlich empfindlich ist und vor allen Dingen auch den kleinsten Weg. der etwa<lb/>
zu Fuß zurückgelegt werden müßte, so sehr scheut, daß sie unter Umständen den<lb/>
anscheinend langsameren Omnibus der schnellfahrenden Eisenbahn vorzieht,<lb/>
wenn ersterer gerade am Wege liegt. Aber obwohl sich diese Regulirung von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] Fahrgelegenheiten ab, als gerade dieses Warten. Wenn man leidlich große Wegestrecken, vermöge der großen Zwischenräume, in denen sich die Wagen folgen, ebenso schnell, oder auch nur annähernd in derselben Zeit zu Fuß zu¬ rücklegen kann, als mit der Pferdebahn, so wird man diese in den allersel- tensten Fällen benutzen, oder mit andern Worten die Pferdebahn ist dann überhaupt für eine sehr große Anzahl von Personen ohne Nutzen. „Gelegen¬ heit macht Diebe" ist ein altes wahres Sprüchwort, sie macht aber nicht min¬ der Personen zu Fahrpafsagieren, die es sonst niemals geworden wären. Wenn man die Pferdebahnwagen in Zeiträumen von 3 bis ü Minuten aufeinander folgen läßt, so wird sich sehr bald auch überall die Frequenz derselben bedeu¬ tend steigern. In noch höherm Grade gilt dies von den Locomotivlocalbahnen und ich werde darauf noch besonders zurückkommen. Da in London selbst schon seit Jahrzehnten Loealbahnen mit Locomotivbetrieb bestanden haben, während die Pferdeeisenbahn in ihrer jetzigen weiten Verbreitung und Verwendung zur Personenbeförderung erst eine neuere Erfindung ist, so sind hier auch diese erst sehr spät entstanden und zwar in einer Art und Weise, die von der der meisten übrigen Großstädte sehr erheblich abweicht. In London nämlich führen die Pferdebahnen nur von den die Stadt umfassenden und in deren Innerstes einmündenden Locomotiv-Eisenbahnen rechtwinklig ab nach ent¬ legeneren Stadttheilen und Vorstädten, mit welchen eine directe Verbindung durch Loeomotivbahnen nicht rentabel sein würde. Die Pferdebahnen haben daher hier einen rein secundären Charakter, der ihnen auch überall da, wo sie in Verbindung mit Locomotiveisenbahnen treten, zukommt. Natürlich ist solch ein System nur in einer wirklich großen Stadt möglich, aber dann auch sehr beachtenswerth und dürfte sich wohl auch ganz besonders für Berlin empfehlen, wo die erste Stadteisenbahn jetzt im Bau, das Pferdeeisenbahnnetz aber noch lange nicht vollendet ist, so daß sich noch recht gut eine derartige Combination erzielen ließe. Es wird sich mit der Zeit allerdings dieses System stets von selbst bilden, denn mit Locomotiveisenbahnen vermag auf die Dauer kein anderes Verkehrs¬ mittel zu concurriren, wenn nicht wie in London, wo allerdings Eisenbahn-, Dampfschiff- und Omnibuslinien neben einander bestehen, die Bevölkerung so groß ist, daß alle drei Factoren zusammenwirken müssen, um den Verkehr zu bewältigen und wo die Bevölkerung für ein Minimum von Zeitgewinn so außer¬ ordentlich empfindlich ist und vor allen Dingen auch den kleinsten Weg. der etwa zu Fuß zurückgelegt werden müßte, so sehr scheut, daß sie unter Umständen den anscheinend langsameren Omnibus der schnellfahrenden Eisenbahn vorzieht, wenn ersterer gerade am Wege liegt. Aber obwohl sich diese Regulirung von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/42>, abgerufen am 28.05.2024.