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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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lich vermehrt werden wird. In demselben Verhältniß, in welchem den Land¬
arbeitern Großbritanniens eine Verbesserung ihrer Lage erschwert oder
möglich gemacht wird, in welchem sie nicht blos der Hoffnung auf selbst¬
ständiges Grundeigenthum, ja auch nur auf Pachtungen für immer entsagen
.müssen, und in welchen sie nur selten und mit Mühe Lohnerhöhungen er¬
halten können, -- steigt die Leichtigkeit der Auswanderung in Folge der
Berwohlfeilerung der Reisekosten, der Concurrenz der überseeischen Negierung
im Angebot von Ländereien, der zunehmenden Arbeitsgelegenheit, und Löhne
sowie der vermehrten Ansiedlung von Verwandten und Freunden in den neuen
Ländern, welche häufig noch ihre Angehörigen mit Geldmitteln zur Aus¬
wanderung unterstützen. Auch bei der geringen Bildung der englischen Land¬
arbeiter und bei der größten Anhänglichkeit an die alte Heimat, wird sich
ihnen von Jahr zu Jahr öfter der Vergleich aufdrängen zwischen dem Loos,
das ihrer und ihrer Kinder in Großbritannien in ärmlichen Hütten, bei
schlechtem Lohn für immer harrt und dem Schicksal, welches sie sich und ihren
Nachkommen in dem neuen Lande als selbständige Grundeigenthümer be¬
reiten könnten.

Dazu kommt noch, daß auch die wohlhabenden Klaffen, die jüngeren
Söhne der Grundeigenthümer, die Industrie, der Handel, wie der Beamten¬
stand noch ein großes Contingent der Auswanderer stellen, welche sich haupt¬
sächlich Australien zuwenden. Der unerhörte Aufschwung, den diese Colonie
nimmt, wird diese Anziehungskraft mit jedem Jahre in erhöhtem Maße aus¬
üben. Denn, sieht man ganz ab von der dortigen Goldproduction, so nimmt
schon die Vicherzeugung Maßstäbe an, für welche wir in der Geschichte der
Volkswirthschaft kaum eine Analogie finden. So vermehrte sich die Zahl des
Rindviehs vom Jahr 1867 bis 1873 um nicht weniger als 1,673,000 Stück
und umfaßt gegenwärtig fast 6 Millionen Stück. Die Zahl der Schafe be¬
trug Ende 1873 gar schon 55,490,000, was in runden Zahlen eine Ver¬
mehrung von 8 Millionen Stück gegen 1867, von 22 Millionen gegen 1864
und von 32 Millionen gegen 1861 ausmacht, so daß die Zahl der Schafe
in 12 Jahren sich mehr als verdoppelt hat. Im gleichen Verhältniß stieg
auch die Wolleausfuhr von 73 Millionen im Jahr 1861 auf 199 Millionen
Pfund im Jahre 1872. Da gleichzeitig die Transportgelegenheit mit den
australischen Colonien sich von Jahr zu Jahr verbessert und auch die tele¬
graphische Verbindung bereits hergestellt ist, so läßt sich eine Vermehrung der
Auswanderung, namentlich von Seiten der jüngeren Söhne der Grundeigen¬
thümer und Pächter kunst voraussehen.

Die nächste Volkszählung im Jahr 1881 wird daher wieder einen weit be¬
trächtlicheren Rückgang der ländlichen Bevölkerung in Großbritannien vorfinden.

Diese rückläufige Bewegung wird zwar vor der Hand auf den Reichthum


lich vermehrt werden wird. In demselben Verhältniß, in welchem den Land¬
arbeitern Großbritanniens eine Verbesserung ihrer Lage erschwert oder
möglich gemacht wird, in welchem sie nicht blos der Hoffnung auf selbst¬
ständiges Grundeigenthum, ja auch nur auf Pachtungen für immer entsagen
.müssen, und in welchen sie nur selten und mit Mühe Lohnerhöhungen er¬
halten können, — steigt die Leichtigkeit der Auswanderung in Folge der
Berwohlfeilerung der Reisekosten, der Concurrenz der überseeischen Negierung
im Angebot von Ländereien, der zunehmenden Arbeitsgelegenheit, und Löhne
sowie der vermehrten Ansiedlung von Verwandten und Freunden in den neuen
Ländern, welche häufig noch ihre Angehörigen mit Geldmitteln zur Aus¬
wanderung unterstützen. Auch bei der geringen Bildung der englischen Land¬
arbeiter und bei der größten Anhänglichkeit an die alte Heimat, wird sich
ihnen von Jahr zu Jahr öfter der Vergleich aufdrängen zwischen dem Loos,
das ihrer und ihrer Kinder in Großbritannien in ärmlichen Hütten, bei
schlechtem Lohn für immer harrt und dem Schicksal, welches sie sich und ihren
Nachkommen in dem neuen Lande als selbständige Grundeigenthümer be¬
reiten könnten.

Dazu kommt noch, daß auch die wohlhabenden Klaffen, die jüngeren
Söhne der Grundeigenthümer, die Industrie, der Handel, wie der Beamten¬
stand noch ein großes Contingent der Auswanderer stellen, welche sich haupt¬
sächlich Australien zuwenden. Der unerhörte Aufschwung, den diese Colonie
nimmt, wird diese Anziehungskraft mit jedem Jahre in erhöhtem Maße aus¬
üben. Denn, sieht man ganz ab von der dortigen Goldproduction, so nimmt
schon die Vicherzeugung Maßstäbe an, für welche wir in der Geschichte der
Volkswirthschaft kaum eine Analogie finden. So vermehrte sich die Zahl des
Rindviehs vom Jahr 1867 bis 1873 um nicht weniger als 1,673,000 Stück
und umfaßt gegenwärtig fast 6 Millionen Stück. Die Zahl der Schafe be¬
trug Ende 1873 gar schon 55,490,000, was in runden Zahlen eine Ver¬
mehrung von 8 Millionen Stück gegen 1867, von 22 Millionen gegen 1864
und von 32 Millionen gegen 1861 ausmacht, so daß die Zahl der Schafe
in 12 Jahren sich mehr als verdoppelt hat. Im gleichen Verhältniß stieg
auch die Wolleausfuhr von 73 Millionen im Jahr 1861 auf 199 Millionen
Pfund im Jahre 1872. Da gleichzeitig die Transportgelegenheit mit den
australischen Colonien sich von Jahr zu Jahr verbessert und auch die tele¬
graphische Verbindung bereits hergestellt ist, so läßt sich eine Vermehrung der
Auswanderung, namentlich von Seiten der jüngeren Söhne der Grundeigen¬
thümer und Pächter kunst voraussehen.

Die nächste Volkszählung im Jahr 1881 wird daher wieder einen weit be¬
trächtlicheren Rückgang der ländlichen Bevölkerung in Großbritannien vorfinden.

Diese rückläufige Bewegung wird zwar vor der Hand auf den Reichthum


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[0427] lich vermehrt werden wird. In demselben Verhältniß, in welchem den Land¬ arbeitern Großbritanniens eine Verbesserung ihrer Lage erschwert oder möglich gemacht wird, in welchem sie nicht blos der Hoffnung auf selbst¬ ständiges Grundeigenthum, ja auch nur auf Pachtungen für immer entsagen .müssen, und in welchen sie nur selten und mit Mühe Lohnerhöhungen er¬ halten können, — steigt die Leichtigkeit der Auswanderung in Folge der Berwohlfeilerung der Reisekosten, der Concurrenz der überseeischen Negierung im Angebot von Ländereien, der zunehmenden Arbeitsgelegenheit, und Löhne sowie der vermehrten Ansiedlung von Verwandten und Freunden in den neuen Ländern, welche häufig noch ihre Angehörigen mit Geldmitteln zur Aus¬ wanderung unterstützen. Auch bei der geringen Bildung der englischen Land¬ arbeiter und bei der größten Anhänglichkeit an die alte Heimat, wird sich ihnen von Jahr zu Jahr öfter der Vergleich aufdrängen zwischen dem Loos, das ihrer und ihrer Kinder in Großbritannien in ärmlichen Hütten, bei schlechtem Lohn für immer harrt und dem Schicksal, welches sie sich und ihren Nachkommen in dem neuen Lande als selbständige Grundeigenthümer be¬ reiten könnten. Dazu kommt noch, daß auch die wohlhabenden Klaffen, die jüngeren Söhne der Grundeigenthümer, die Industrie, der Handel, wie der Beamten¬ stand noch ein großes Contingent der Auswanderer stellen, welche sich haupt¬ sächlich Australien zuwenden. Der unerhörte Aufschwung, den diese Colonie nimmt, wird diese Anziehungskraft mit jedem Jahre in erhöhtem Maße aus¬ üben. Denn, sieht man ganz ab von der dortigen Goldproduction, so nimmt schon die Vicherzeugung Maßstäbe an, für welche wir in der Geschichte der Volkswirthschaft kaum eine Analogie finden. So vermehrte sich die Zahl des Rindviehs vom Jahr 1867 bis 1873 um nicht weniger als 1,673,000 Stück und umfaßt gegenwärtig fast 6 Millionen Stück. Die Zahl der Schafe be¬ trug Ende 1873 gar schon 55,490,000, was in runden Zahlen eine Ver¬ mehrung von 8 Millionen Stück gegen 1867, von 22 Millionen gegen 1864 und von 32 Millionen gegen 1861 ausmacht, so daß die Zahl der Schafe in 12 Jahren sich mehr als verdoppelt hat. Im gleichen Verhältniß stieg auch die Wolleausfuhr von 73 Millionen im Jahr 1861 auf 199 Millionen Pfund im Jahre 1872. Da gleichzeitig die Transportgelegenheit mit den australischen Colonien sich von Jahr zu Jahr verbessert und auch die tele¬ graphische Verbindung bereits hergestellt ist, so läßt sich eine Vermehrung der Auswanderung, namentlich von Seiten der jüngeren Söhne der Grundeigen¬ thümer und Pächter kunst voraussehen. Die nächste Volkszählung im Jahr 1881 wird daher wieder einen weit be¬ trächtlicheren Rückgang der ländlichen Bevölkerung in Großbritannien vorfinden. Diese rückläufige Bewegung wird zwar vor der Hand auf den Reichthum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/427>, abgerufen am 19.05.2024.