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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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daß man sich wundern möchte, wie sie so lang hat ausbleiben können ande¬
rerseits aber eine so einschneidende Maßregel, daß jedermann es fühlt: Wir
find auf der Höhe der akuten Krisis angekommen. In öffentlichen Blättern
findet sich der Ausdruck, die Einbehaltung der Staatsdotation sei erst der
Auschnitt des Kuchens: ein Ausdruck, der der Redeweise entlehnt ist, in welcher
Fürst Bismarck seine Ueberlegenhett in den schwersten Situationen humoristisch
markirt. In der That muß aus die Einbehaltung der Staatsdotation die
Sequestration des gesammten katholischen Kirchenvermögens erfolgen, so lange
der römische Clerus auf Grund der Eneyclika vom 6. Februar dabei beharrt,
die Staatsgesetzgebung durch die päpstliche Autorität außer Kraft gesetzt zu
sehen, soweit es dieser Autorität beliebt. Wenn der Kuchen einmal ange¬
schnitten, so ist er auch bald verzehrt. In solchen Fällen ist der erste
Schritt, der erste Schnitt der wesentliche.

Dieser Schnitt soll jetzt gethan werden. Zwar scheint es, als wolle
das Abgeordnetenhaus, vor der Größe der Situation erschrocken, sich einige
Bedenkzeit lassen; aber an der schließlichen Zustimmung der Abgeordneten, und
auch der Herren, zu dem legislativen Schnitt ist nicht zu zweifeln. Man
spricht davon, daß seitens der Katholiken, welche ihrem Glauben getreu, aber
übrigens nicht ultramontan sind, also seitens der sogenannten Staatskatho¬
liken Schritte vorbereitet werden, um den Episkopat zu vermögen, die Eney¬
clika vom 3. Februar d. I. in irgend einer Weise zu verleugnen. Wenn die
Erklärungen, trotz der Eneyclika dem Staate treu und gehorsam bleiben zu
wollen, welche bereits aus staatskatholischen Abgeordnetenkreisen in Umlauf
gesetzt sind, zahlreiche und offene Beistimmungen erlangten, so könnte damit
ein Druck auf die Bischöfe ausgeübt werden, wir dürfen vielleicht auch sagen,
es könnte damit den Bischöfen ein Stützpunkt dargeboten werden, um die Be¬
deutung der Eneyclika durch irgend einen Schritt ihrerseits abzuschwächen.
Indeß glauben wir an alle solche Dinge nicht. Wir erwähnen dieselben nur^
um der Erinnerung die Möglichkeiten aufzubewahren, welche beim Anbruch
eines großen historischen Momentes von den Betheiligten erwogen worden sind.

Denn wer wollte verkennen, daß eine große Entscheidung angebrochen
ist, eine akute Krisis von gleichwohl unberechenbarer Dauer? Wir treten in
ein Stadium, wo vielleicht der Staat der gesammten römisch-katholischen
Geistlichkeit verwehren muß, ihre Funktionen auszuüben, weil dieselbe sich in
offener Auflehnung gegen den Staat und sein Gesetz auf Befehl der Curie
befindet. Rasch vorübergehend dieses Stadium zu denken, ist schon deßhalb
unmöglich, weil, nachdem einmal die Suspension des gesammten Clerus, so¬
weit derselbe dem gegen Deutschland kriegführenden Vatikan in die Schlacht
folgt, eingetreten sein wird, die Wiederaufnahme der katholischen Geistlichkeit
in den obrigkeitlichen Organismus des preußischen Staates, und weiterhin


daß man sich wundern möchte, wie sie so lang hat ausbleiben können ande¬
rerseits aber eine so einschneidende Maßregel, daß jedermann es fühlt: Wir
find auf der Höhe der akuten Krisis angekommen. In öffentlichen Blättern
findet sich der Ausdruck, die Einbehaltung der Staatsdotation sei erst der
Auschnitt des Kuchens: ein Ausdruck, der der Redeweise entlehnt ist, in welcher
Fürst Bismarck seine Ueberlegenhett in den schwersten Situationen humoristisch
markirt. In der That muß aus die Einbehaltung der Staatsdotation die
Sequestration des gesammten katholischen Kirchenvermögens erfolgen, so lange
der römische Clerus auf Grund der Eneyclika vom 6. Februar dabei beharrt,
die Staatsgesetzgebung durch die päpstliche Autorität außer Kraft gesetzt zu
sehen, soweit es dieser Autorität beliebt. Wenn der Kuchen einmal ange¬
schnitten, so ist er auch bald verzehrt. In solchen Fällen ist der erste
Schritt, der erste Schnitt der wesentliche.

Dieser Schnitt soll jetzt gethan werden. Zwar scheint es, als wolle
das Abgeordnetenhaus, vor der Größe der Situation erschrocken, sich einige
Bedenkzeit lassen; aber an der schließlichen Zustimmung der Abgeordneten, und
auch der Herren, zu dem legislativen Schnitt ist nicht zu zweifeln. Man
spricht davon, daß seitens der Katholiken, welche ihrem Glauben getreu, aber
übrigens nicht ultramontan sind, also seitens der sogenannten Staatskatho¬
liken Schritte vorbereitet werden, um den Episkopat zu vermögen, die Eney¬
clika vom 3. Februar d. I. in irgend einer Weise zu verleugnen. Wenn die
Erklärungen, trotz der Eneyclika dem Staate treu und gehorsam bleiben zu
wollen, welche bereits aus staatskatholischen Abgeordnetenkreisen in Umlauf
gesetzt sind, zahlreiche und offene Beistimmungen erlangten, so könnte damit
ein Druck auf die Bischöfe ausgeübt werden, wir dürfen vielleicht auch sagen,
es könnte damit den Bischöfen ein Stützpunkt dargeboten werden, um die Be¬
deutung der Eneyclika durch irgend einen Schritt ihrerseits abzuschwächen.
Indeß glauben wir an alle solche Dinge nicht. Wir erwähnen dieselben nur^
um der Erinnerung die Möglichkeiten aufzubewahren, welche beim Anbruch
eines großen historischen Momentes von den Betheiligten erwogen worden sind.

Denn wer wollte verkennen, daß eine große Entscheidung angebrochen
ist, eine akute Krisis von gleichwohl unberechenbarer Dauer? Wir treten in
ein Stadium, wo vielleicht der Staat der gesammten römisch-katholischen
Geistlichkeit verwehren muß, ihre Funktionen auszuüben, weil dieselbe sich in
offener Auflehnung gegen den Staat und sein Gesetz auf Befehl der Curie
befindet. Rasch vorübergehend dieses Stadium zu denken, ist schon deßhalb
unmöglich, weil, nachdem einmal die Suspension des gesammten Clerus, so¬
weit derselbe dem gegen Deutschland kriegführenden Vatikan in die Schlacht
folgt, eingetreten sein wird, die Wiederaufnahme der katholischen Geistlichkeit
in den obrigkeitlichen Organismus des preußischen Staates, und weiterhin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/445>, abgerufen am 28.05.2024.