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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Inn neuen Jahr.

Als Fürst Bismarck in der denkwürdigen Reichstagssttzung vom vierten
December das Wort sprach: das Jahr 1874 sei ein eminent friedliches ge¬
wesen, antwortete ihm der übliche ungestüme Ausdruck des Zweifels aus den
Bänken des Centrums. --

Dieser parlamentarische Borgang ist in hohem Grade bezeichnend für die
Signatur unserer politischen Zustände überhaupt. Wir erkennen mit Freuden
an, daß die Zuversicht auf einen für Jahre dauernden Frieden mit unseren
auswärtigen Nachbarn selten so begründet gewesen, wie am Schlüsse des
alten Jahres. Wir blicken mit gerechtem Stolze weiter auf die Resultate
jener Friedensarbeit, die Deutschland in seinem Innern dieses Jahr hindurch
gethan hat. Und dennoch können wir uns nicht verhehlen, daß unser Volk
von innerem Frieden weiter entfernt ist, als jemals. Wer in einem rein
protestantischen Lande lebt, hatte bis vor Kurzem kaum eine Ahnung davon,
bis zu welchem Grade von fanatischem Hasse und gesetzloser Auflehnung gegen
das Reich und seine Organe die demagogische Kunst des Ultramontanismus
die Bewohner weiter Provinzen des deutschen Reiches entflammt hat.

Das vergangene Jahr hat jedenfalls das Verdienst, in dieser Hinsicht
die Möglichkeit einer Täuschung nicht mehr übrig gelassen zu haben. Wir
sahen die Jesuiten presse Deutschlands überall Partei nehmen für Feinde des
Reiches. Ohne Schamröthe verdammte sie die Verwahrung der deutschen
Regierung in Versailles gegen die, den deutschen Namen brandmarkenden
Hirtenbriefe französischer Bischöfe. Ohne Anwandlung von Ehrgefühl ver¬
theidigte sie die frommen Mörder des deutschen Hauptmannes Schmidt. Un¬
bedenklich nannte sie den Mordversuch von Kisstngen bald eine Farce, bald eine
vom Kanzler selbst verschuldete Unthat. Der Cynismus dieser Jesuitenmoral
bestieg sogar später die Tribüne des deutschen Reichstags in der Person des
Herrn Windthorst-, während der geprüfte Vaterlandsverrath und die unge-
duldige Bereitschaft zum Glaubenskrieg durch den berufenen Mund des Herrn
Jörg redete. Eine neue Stufe von Auflehnung beschritten die hierarchischen
Fanatiker als in diesem Jahre zum ersten Male seit dem Kölner Bischofs-
streit Bischöfe gefangen gesetzt und vor Allem als mit der Ausweisung reni-


Vrenjboten I. 187S. 1
Inn neuen Jahr.

Als Fürst Bismarck in der denkwürdigen Reichstagssttzung vom vierten
December das Wort sprach: das Jahr 1874 sei ein eminent friedliches ge¬
wesen, antwortete ihm der übliche ungestüme Ausdruck des Zweifels aus den
Bänken des Centrums. —

Dieser parlamentarische Borgang ist in hohem Grade bezeichnend für die
Signatur unserer politischen Zustände überhaupt. Wir erkennen mit Freuden
an, daß die Zuversicht auf einen für Jahre dauernden Frieden mit unseren
auswärtigen Nachbarn selten so begründet gewesen, wie am Schlüsse des
alten Jahres. Wir blicken mit gerechtem Stolze weiter auf die Resultate
jener Friedensarbeit, die Deutschland in seinem Innern dieses Jahr hindurch
gethan hat. Und dennoch können wir uns nicht verhehlen, daß unser Volk
von innerem Frieden weiter entfernt ist, als jemals. Wer in einem rein
protestantischen Lande lebt, hatte bis vor Kurzem kaum eine Ahnung davon,
bis zu welchem Grade von fanatischem Hasse und gesetzloser Auflehnung gegen
das Reich und seine Organe die demagogische Kunst des Ultramontanismus
die Bewohner weiter Provinzen des deutschen Reiches entflammt hat.

Das vergangene Jahr hat jedenfalls das Verdienst, in dieser Hinsicht
die Möglichkeit einer Täuschung nicht mehr übrig gelassen zu haben. Wir
sahen die Jesuiten presse Deutschlands überall Partei nehmen für Feinde des
Reiches. Ohne Schamröthe verdammte sie die Verwahrung der deutschen
Regierung in Versailles gegen die, den deutschen Namen brandmarkenden
Hirtenbriefe französischer Bischöfe. Ohne Anwandlung von Ehrgefühl ver¬
theidigte sie die frommen Mörder des deutschen Hauptmannes Schmidt. Un¬
bedenklich nannte sie den Mordversuch von Kisstngen bald eine Farce, bald eine
vom Kanzler selbst verschuldete Unthat. Der Cynismus dieser Jesuitenmoral
bestieg sogar später die Tribüne des deutschen Reichstags in der Person des
Herrn Windthorst-, während der geprüfte Vaterlandsverrath und die unge-
duldige Bereitschaft zum Glaubenskrieg durch den berufenen Mund des Herrn
Jörg redete. Eine neue Stufe von Auflehnung beschritten die hierarchischen
Fanatiker als in diesem Jahre zum ersten Male seit dem Kölner Bischofs-
streit Bischöfe gefangen gesetzt und vor Allem als mit der Ausweisung reni-


Vrenjboten I. 187S. 1
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[0009] Inn neuen Jahr. Als Fürst Bismarck in der denkwürdigen Reichstagssttzung vom vierten December das Wort sprach: das Jahr 1874 sei ein eminent friedliches ge¬ wesen, antwortete ihm der übliche ungestüme Ausdruck des Zweifels aus den Bänken des Centrums. — Dieser parlamentarische Borgang ist in hohem Grade bezeichnend für die Signatur unserer politischen Zustände überhaupt. Wir erkennen mit Freuden an, daß die Zuversicht auf einen für Jahre dauernden Frieden mit unseren auswärtigen Nachbarn selten so begründet gewesen, wie am Schlüsse des alten Jahres. Wir blicken mit gerechtem Stolze weiter auf die Resultate jener Friedensarbeit, die Deutschland in seinem Innern dieses Jahr hindurch gethan hat. Und dennoch können wir uns nicht verhehlen, daß unser Volk von innerem Frieden weiter entfernt ist, als jemals. Wer in einem rein protestantischen Lande lebt, hatte bis vor Kurzem kaum eine Ahnung davon, bis zu welchem Grade von fanatischem Hasse und gesetzloser Auflehnung gegen das Reich und seine Organe die demagogische Kunst des Ultramontanismus die Bewohner weiter Provinzen des deutschen Reiches entflammt hat. Das vergangene Jahr hat jedenfalls das Verdienst, in dieser Hinsicht die Möglichkeit einer Täuschung nicht mehr übrig gelassen zu haben. Wir sahen die Jesuiten presse Deutschlands überall Partei nehmen für Feinde des Reiches. Ohne Schamröthe verdammte sie die Verwahrung der deutschen Regierung in Versailles gegen die, den deutschen Namen brandmarkenden Hirtenbriefe französischer Bischöfe. Ohne Anwandlung von Ehrgefühl ver¬ theidigte sie die frommen Mörder des deutschen Hauptmannes Schmidt. Un¬ bedenklich nannte sie den Mordversuch von Kisstngen bald eine Farce, bald eine vom Kanzler selbst verschuldete Unthat. Der Cynismus dieser Jesuitenmoral bestieg sogar später die Tribüne des deutschen Reichstags in der Person des Herrn Windthorst-, während der geprüfte Vaterlandsverrath und die unge- duldige Bereitschaft zum Glaubenskrieg durch den berufenen Mund des Herrn Jörg redete. Eine neue Stufe von Auflehnung beschritten die hierarchischen Fanatiker als in diesem Jahre zum ersten Male seit dem Kölner Bischofs- streit Bischöfe gefangen gesetzt und vor Allem als mit der Ausweisung reni- Vrenjboten I. 187S. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/9>, abgerufen am 19.05.2024.