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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Derselbe hat in einem öffentlichen Sendschreiben seine Meinung abgege¬
ben, aber sich für rückhaltslose Unterwerfung unter die Bedingungen der Ar¬
beitgeber ausgesprochen. Derselbe ist zwar selbst Partei, allein bei reifer Ab¬
wägung der Verhältnisse muß man seine Ansicht doch für die allein richtige
erkennen. Denn die Lage der Geschäfte ist immer noch so gedrückt, daß die
Arbeiter froh sein können, wenn die Meister sich mit der angekündigten Re¬
duktion um zehn Procent begnügen und nicht von jetzt an die Wiedereröff¬
nung ihrer Etablissements an noch härtere Bedingungen knüpfen. Es ist da¬
her die höchste Zeit, daß die Arbeiter die gegenwärtige Lage des Marktes begrei¬
fen und berücksichtigen lernen. Je länger sie zögern, desto mehr gerathen sie
in Gefahr, sich auf Gnade und Ungnade ergeben zu müssen. Bei der gegen¬
wärtig überhandnehmenden Concurrenz, welcher die englische Kohlen- und Ei¬
senproduktion auf dem Continent begegnet, laufen sie mit der Zeit Gefahr,
den ganzen Industriezweig in ihrer Gegend zu ruiniren und damit sogar die
Bedingungen ihrer Existenz zu untergraben.

Hoffentlich werden sich aus diesem Lohnkampfe, der in seiner Ausdehnung
ohne Gleichen in der Geschichte der Volkswirthschaft dasteht, organische Ein¬
richtungen ausbilden, welche wieder andauernden Frieden zwischen den beiden
Faktoren der Produktion anbahnen. Die Steine dazu find schon gelegt und
haben im verflossenen Jahre an vielen Orten stärker Wurzel gesaßt.

Nachtrag.

Fast drei Monate sind es, daß die Kohlengruben von Süd-Wales
geschlossn sind. Seit dem 31. Januar haben die Berg- und Hüttenleute keinen
anderen Verdienst als die spärliche Arbeit, welche ihnen die Armencommission
zugewendet hat. 60,000 Arbeiter und mit Frauen und Kindern gegen 200,000
Personen lebten seitdem nur von Ersparnissen und von den Hilfsgeldern, welche
ihnen von dem Bund der englischen Gewerkvereine zugewendet worden sind. Die
Noth stieg so hoch, daß wie schon oben erwähnt Kinder sogar verdorbene Lebens¬
mittel vom Mist aufgelesen haben sollen. Nach vielen Vermittlungsversuchen, welche
bisher am Widerstand einer Fraktion der Arbeiter oder der Arbeitgeber gescheitert
sind, ist es endlich bei einer großen Versammlung der Kohlenbergwerksbesitzer zu
Cardiff am letzten Freitag den 23. April gelungen, eine Aussöhnung anzubahnen.
Da es nicht möglich war die einstimmige Unterwerfung der Arbeiter herbei¬
zuführen, so einigten sich die Bergwerksbesitzer dahin, die Arbeitersperre auf¬
zuheben und den Arbeitern anheimzugeben bei einer Reduction des Lohnes
von Is yet. zu ihrer Beschäftigung zurückzukehren. Die ganze Frucht dreimonat¬
licher furchtbarer Entbehrungen ist also daß die Arbeiter schließlich in eine
um 6 yet. stärkere Lohnreduction willigen müssen als die ursprünglich von
den Meistern geforderte war, wegen deren zuerst die Aufstände ausgebrochen
und dann die Arbeitssperre angeordnet worden war. Wie alle ähnlichen Be¬
wegungen seit einem Jahre hat auch dieser größte Konflikt mit einer Nieder-


Derselbe hat in einem öffentlichen Sendschreiben seine Meinung abgege¬
ben, aber sich für rückhaltslose Unterwerfung unter die Bedingungen der Ar¬
beitgeber ausgesprochen. Derselbe ist zwar selbst Partei, allein bei reifer Ab¬
wägung der Verhältnisse muß man seine Ansicht doch für die allein richtige
erkennen. Denn die Lage der Geschäfte ist immer noch so gedrückt, daß die
Arbeiter froh sein können, wenn die Meister sich mit der angekündigten Re¬
duktion um zehn Procent begnügen und nicht von jetzt an die Wiedereröff¬
nung ihrer Etablissements an noch härtere Bedingungen knüpfen. Es ist da¬
her die höchste Zeit, daß die Arbeiter die gegenwärtige Lage des Marktes begrei¬
fen und berücksichtigen lernen. Je länger sie zögern, desto mehr gerathen sie
in Gefahr, sich auf Gnade und Ungnade ergeben zu müssen. Bei der gegen¬
wärtig überhandnehmenden Concurrenz, welcher die englische Kohlen- und Ei¬
senproduktion auf dem Continent begegnet, laufen sie mit der Zeit Gefahr,
den ganzen Industriezweig in ihrer Gegend zu ruiniren und damit sogar die
Bedingungen ihrer Existenz zu untergraben.

Hoffentlich werden sich aus diesem Lohnkampfe, der in seiner Ausdehnung
ohne Gleichen in der Geschichte der Volkswirthschaft dasteht, organische Ein¬
richtungen ausbilden, welche wieder andauernden Frieden zwischen den beiden
Faktoren der Produktion anbahnen. Die Steine dazu find schon gelegt und
haben im verflossenen Jahre an vielen Orten stärker Wurzel gesaßt.

Nachtrag.

Fast drei Monate sind es, daß die Kohlengruben von Süd-Wales
geschlossn sind. Seit dem 31. Januar haben die Berg- und Hüttenleute keinen
anderen Verdienst als die spärliche Arbeit, welche ihnen die Armencommission
zugewendet hat. 60,000 Arbeiter und mit Frauen und Kindern gegen 200,000
Personen lebten seitdem nur von Ersparnissen und von den Hilfsgeldern, welche
ihnen von dem Bund der englischen Gewerkvereine zugewendet worden sind. Die
Noth stieg so hoch, daß wie schon oben erwähnt Kinder sogar verdorbene Lebens¬
mittel vom Mist aufgelesen haben sollen. Nach vielen Vermittlungsversuchen, welche
bisher am Widerstand einer Fraktion der Arbeiter oder der Arbeitgeber gescheitert
sind, ist es endlich bei einer großen Versammlung der Kohlenbergwerksbesitzer zu
Cardiff am letzten Freitag den 23. April gelungen, eine Aussöhnung anzubahnen.
Da es nicht möglich war die einstimmige Unterwerfung der Arbeiter herbei¬
zuführen, so einigten sich die Bergwerksbesitzer dahin, die Arbeitersperre auf¬
zuheben und den Arbeitern anheimzugeben bei einer Reduction des Lohnes
von Is yet. zu ihrer Beschäftigung zurückzukehren. Die ganze Frucht dreimonat¬
licher furchtbarer Entbehrungen ist also daß die Arbeiter schließlich in eine
um 6 yet. stärkere Lohnreduction willigen müssen als die ursprünglich von
den Meistern geforderte war, wegen deren zuerst die Aufstände ausgebrochen
und dann die Arbeitssperre angeordnet worden war. Wie alle ähnlichen Be¬
wegungen seit einem Jahre hat auch dieser größte Konflikt mit einer Nieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/270>, abgerufen am 19.05.2024.