Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

entwurf wurde nach den Vorschlägen der Commission in der Hauptsache an¬
genommen. Unsererseits haben wir dabei nur zu wiederholen, daß die Zeit
nicht mehr fern sein kann, wo der Staat entweder der Frage nach der Rechts¬
beständigkeit des Vaticanum näher tritt, oder wo er sich sogar genöthigt
sieht, ohne diese Prüfung alle der römischen Kirche bisher gewährten Rechte
aufzuheben. Dann ist die provisorische Geltung des Gesetzes über den Mit¬
gebrauch der Altkatholiken am kirchlichen Vermögen erledigt.

Am 4. Mai gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Lesung: über
Erhaltung und Begründung von Schutzwaldungen sowie über die Bildung
von Waldgenossenschaften. Das Gesetz ist einerseits technischer Art, anderer¬
seits berührt es den wichtigsten Grundsatz der Socialpolitik, die Frage näm¬
lich nach der Beschränkung des Privatrechts durch das öffentliche Recht zu
Gunsten des öffentlichen Wohls. Da indeß das Gesetz weitgreifende Ma߬
regeln keineswegs anordnet, sondern in vorsichtiger Weise nur bescheidene
Schritte einleitet, so wollen wir den Inhalt vorläufig nicht erörtern. Es
fehlt nicht an Stimmen, welche schon jetzt den Schritt für geboten erachten
zur Uebernahme des Waldeigenthums durch den Staat, wo sich die
Erhaltung des Waldes empfiehlt. Die Nothwendigkeit wird zu solchen
Schritten allerdings wohl über kurz oder lang führen, und die Sorge ist
nicht unbegründet, daß, wenn man dahin gelangt, der bereits angerichtete
Schade immer größer und schwerer zu heilen geworden sein wird. Der deutsche
Staat ist aber heute mit so großen und mannigfachen Aufgaben überlastet
und bedrängt, daß man es richtig finden muß, wenn tiefgreifende Maßregeln
vermieden werden, die irgend aufschiebbar erscheinen.

Nachdem am 5. Mai Petitionen erledigt worden, erfolgte am 7. Mai
die erste Lesung des Gesetzentwurfs betreffend die Orden und ordensähnlichen
Congregationen der katholischen Kirche. Mit diesem Gesetz hat die Staats¬
regierung wiederum einen sehr wichtigen Schritt gethan in ihrem Kampfe
wider Rom. Das Gesetz schließt alle Orden und ordensähnliche Congregationen
vom Gebiet des preußischen Staates aus. Eine Ausnahme wird gemacht
zu Gunsten der Orden, welche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen.
Jedoch können auch diese Orden jeder Zeit durch königliche Verordnung auf¬
gehoben werden. Während die Auflösung der Ordensniederlassungen im
Allgemeinen sechs Monate nach der Verkündigung des Gesetzes zu erfolgen
hat, darf durch den Minister der geistlichen Angelegenheiten eine Verlängerung
dieser Frist bis zu vier Jahren erfolgen für Niederlassungen, welche sich
mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigen. Dies ist
der Hauptinhalt des Gesetzes.

Die Redner vom Centrum benutzten diesmal als Hauptwaffe die angebliche


entwurf wurde nach den Vorschlägen der Commission in der Hauptsache an¬
genommen. Unsererseits haben wir dabei nur zu wiederholen, daß die Zeit
nicht mehr fern sein kann, wo der Staat entweder der Frage nach der Rechts¬
beständigkeit des Vaticanum näher tritt, oder wo er sich sogar genöthigt
sieht, ohne diese Prüfung alle der römischen Kirche bisher gewährten Rechte
aufzuheben. Dann ist die provisorische Geltung des Gesetzes über den Mit¬
gebrauch der Altkatholiken am kirchlichen Vermögen erledigt.

Am 4. Mai gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Lesung: über
Erhaltung und Begründung von Schutzwaldungen sowie über die Bildung
von Waldgenossenschaften. Das Gesetz ist einerseits technischer Art, anderer¬
seits berührt es den wichtigsten Grundsatz der Socialpolitik, die Frage näm¬
lich nach der Beschränkung des Privatrechts durch das öffentliche Recht zu
Gunsten des öffentlichen Wohls. Da indeß das Gesetz weitgreifende Ma߬
regeln keineswegs anordnet, sondern in vorsichtiger Weise nur bescheidene
Schritte einleitet, so wollen wir den Inhalt vorläufig nicht erörtern. Es
fehlt nicht an Stimmen, welche schon jetzt den Schritt für geboten erachten
zur Uebernahme des Waldeigenthums durch den Staat, wo sich die
Erhaltung des Waldes empfiehlt. Die Nothwendigkeit wird zu solchen
Schritten allerdings wohl über kurz oder lang führen, und die Sorge ist
nicht unbegründet, daß, wenn man dahin gelangt, der bereits angerichtete
Schade immer größer und schwerer zu heilen geworden sein wird. Der deutsche
Staat ist aber heute mit so großen und mannigfachen Aufgaben überlastet
und bedrängt, daß man es richtig finden muß, wenn tiefgreifende Maßregeln
vermieden werden, die irgend aufschiebbar erscheinen.

Nachdem am 5. Mai Petitionen erledigt worden, erfolgte am 7. Mai
die erste Lesung des Gesetzentwurfs betreffend die Orden und ordensähnlichen
Congregationen der katholischen Kirche. Mit diesem Gesetz hat die Staats¬
regierung wiederum einen sehr wichtigen Schritt gethan in ihrem Kampfe
wider Rom. Das Gesetz schließt alle Orden und ordensähnliche Congregationen
vom Gebiet des preußischen Staates aus. Eine Ausnahme wird gemacht
zu Gunsten der Orden, welche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen.
Jedoch können auch diese Orden jeder Zeit durch königliche Verordnung auf¬
gehoben werden. Während die Auflösung der Ordensniederlassungen im
Allgemeinen sechs Monate nach der Verkündigung des Gesetzes zu erfolgen
hat, darf durch den Minister der geistlichen Angelegenheiten eine Verlängerung
dieser Frist bis zu vier Jahren erfolgen für Niederlassungen, welche sich
mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigen. Dies ist
der Hauptinhalt des Gesetzes.

Die Redner vom Centrum benutzten diesmal als Hauptwaffe die angebliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133567"/>
          <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886"> entwurf wurde nach den Vorschlägen der Commission in der Hauptsache an¬<lb/>
genommen. Unsererseits haben wir dabei nur zu wiederholen, daß die Zeit<lb/>
nicht mehr fern sein kann, wo der Staat entweder der Frage nach der Rechts¬<lb/>
beständigkeit des Vaticanum näher tritt, oder wo er sich sogar genöthigt<lb/>
sieht, ohne diese Prüfung alle der römischen Kirche bisher gewährten Rechte<lb/>
aufzuheben. Dann ist die provisorische Geltung des Gesetzes über den Mit¬<lb/>
gebrauch der Altkatholiken am kirchlichen Vermögen erledigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888"> Am 4. Mai gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Lesung: über<lb/>
Erhaltung und Begründung von Schutzwaldungen sowie über die Bildung<lb/>
von Waldgenossenschaften. Das Gesetz ist einerseits technischer Art, anderer¬<lb/>
seits berührt es den wichtigsten Grundsatz der Socialpolitik, die Frage näm¬<lb/>
lich nach der Beschränkung des Privatrechts durch das öffentliche Recht zu<lb/>
Gunsten des öffentlichen Wohls. Da indeß das Gesetz weitgreifende Ma߬<lb/>
regeln keineswegs anordnet, sondern in vorsichtiger Weise nur bescheidene<lb/>
Schritte einleitet, so wollen wir den Inhalt vorläufig nicht erörtern. Es<lb/>
fehlt nicht an Stimmen, welche schon jetzt den Schritt für geboten erachten<lb/>
zur Uebernahme des Waldeigenthums durch den Staat, wo sich die<lb/>
Erhaltung des Waldes empfiehlt. Die Nothwendigkeit wird zu solchen<lb/>
Schritten allerdings wohl über kurz oder lang führen, und die Sorge ist<lb/>
nicht unbegründet, daß, wenn man dahin gelangt, der bereits angerichtete<lb/>
Schade immer größer und schwerer zu heilen geworden sein wird. Der deutsche<lb/>
Staat ist aber heute mit so großen und mannigfachen Aufgaben überlastet<lb/>
und bedrängt, daß man es richtig finden muß, wenn tiefgreifende Maßregeln<lb/>
vermieden werden, die irgend aufschiebbar erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_889"> Nachdem am 5. Mai Petitionen erledigt worden, erfolgte am 7. Mai<lb/>
die erste Lesung des Gesetzentwurfs betreffend die Orden und ordensähnlichen<lb/>
Congregationen der katholischen Kirche. Mit diesem Gesetz hat die Staats¬<lb/>
regierung wiederum einen sehr wichtigen Schritt gethan in ihrem Kampfe<lb/>
wider Rom. Das Gesetz schließt alle Orden und ordensähnliche Congregationen<lb/>
vom Gebiet des preußischen Staates aus. Eine Ausnahme wird gemacht<lb/>
zu Gunsten der Orden, welche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen.<lb/>
Jedoch können auch diese Orden jeder Zeit durch königliche Verordnung auf¬<lb/>
gehoben werden. Während die Auflösung der Ordensniederlassungen im<lb/>
Allgemeinen sechs Monate nach der Verkündigung des Gesetzes zu erfolgen<lb/>
hat, darf durch den Minister der geistlichen Angelegenheiten eine Verlängerung<lb/>
dieser Frist bis zu vier Jahren erfolgen für Niederlassungen, welche sich<lb/>
mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigen. Dies ist<lb/>
der Hauptinhalt des Gesetzes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> Die Redner vom Centrum benutzten diesmal als Hauptwaffe die angebliche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] entwurf wurde nach den Vorschlägen der Commission in der Hauptsache an¬ genommen. Unsererseits haben wir dabei nur zu wiederholen, daß die Zeit nicht mehr fern sein kann, wo der Staat entweder der Frage nach der Rechts¬ beständigkeit des Vaticanum näher tritt, oder wo er sich sogar genöthigt sieht, ohne diese Prüfung alle der römischen Kirche bisher gewährten Rechte aufzuheben. Dann ist die provisorische Geltung des Gesetzes über den Mit¬ gebrauch der Altkatholiken am kirchlichen Vermögen erledigt. Am 4. Mai gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Lesung: über Erhaltung und Begründung von Schutzwaldungen sowie über die Bildung von Waldgenossenschaften. Das Gesetz ist einerseits technischer Art, anderer¬ seits berührt es den wichtigsten Grundsatz der Socialpolitik, die Frage näm¬ lich nach der Beschränkung des Privatrechts durch das öffentliche Recht zu Gunsten des öffentlichen Wohls. Da indeß das Gesetz weitgreifende Ma߬ regeln keineswegs anordnet, sondern in vorsichtiger Weise nur bescheidene Schritte einleitet, so wollen wir den Inhalt vorläufig nicht erörtern. Es fehlt nicht an Stimmen, welche schon jetzt den Schritt für geboten erachten zur Uebernahme des Waldeigenthums durch den Staat, wo sich die Erhaltung des Waldes empfiehlt. Die Nothwendigkeit wird zu solchen Schritten allerdings wohl über kurz oder lang führen, und die Sorge ist nicht unbegründet, daß, wenn man dahin gelangt, der bereits angerichtete Schade immer größer und schwerer zu heilen geworden sein wird. Der deutsche Staat ist aber heute mit so großen und mannigfachen Aufgaben überlastet und bedrängt, daß man es richtig finden muß, wenn tiefgreifende Maßregeln vermieden werden, die irgend aufschiebbar erscheinen. Nachdem am 5. Mai Petitionen erledigt worden, erfolgte am 7. Mai die erste Lesung des Gesetzentwurfs betreffend die Orden und ordensähnlichen Congregationen der katholischen Kirche. Mit diesem Gesetz hat die Staats¬ regierung wiederum einen sehr wichtigen Schritt gethan in ihrem Kampfe wider Rom. Das Gesetz schließt alle Orden und ordensähnliche Congregationen vom Gebiet des preußischen Staates aus. Eine Ausnahme wird gemacht zu Gunsten der Orden, welche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen. Jedoch können auch diese Orden jeder Zeit durch königliche Verordnung auf¬ gehoben werden. Während die Auflösung der Ordensniederlassungen im Allgemeinen sechs Monate nach der Verkündigung des Gesetzes zu erfolgen hat, darf durch den Minister der geistlichen Angelegenheiten eine Verlängerung dieser Frist bis zu vier Jahren erfolgen für Niederlassungen, welche sich mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigen. Dies ist der Hauptinhalt des Gesetzes. Die Redner vom Centrum benutzten diesmal als Hauptwaffe die angebliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/279>, abgerufen am 19.05.2024.