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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Diesem Redner von überwallenden Gefühl sollte der Abgeordnete v. Sybel,
aus dessen Munde wir mit Vergnügen die Rechtsfrage der Ordenszulassung
ziemlich Wort für Wort mit den Gründen beleuchten hörten, die wir Tags
zuvor in dem hierher gerichteten Briefe niedergeschrieben.

Ein späterer Redner des Centrums verlangte in (Konsequenz des Ver¬
botes der geistlichen Orden die Ausschließung der Freimaurer, was dem Ab¬
geordneten, Herrn Windthorst-Bielefeld, die Verdienste des Freimaurerordens
in seinen großen Mitgliedern darzulegen und als solche Schiller, Lessing,
Mozart anzuführen Veranlassung gab. Schiller'sche Gedichte mögen in den
Freimaurerlogen bei festlichen Gelegenheiten oft vorgetragen worden sein,
Schiller selbst aber äußerte sich gelegentlich sehr spöttisch über den Orden und
gehörte demselben nie an. So geht es in der Hitze des parlamentarischen
Gefechts. Ein Glück für den Redner, daß sein Namensvetter den Irrthum
überhörte.

Dem letzteren scheint allerdings die Schärfe der Waffen mehr und
mehr auszugehen. In der erwähnten Sitzung brachte er das mehr als schwache
Argument wieder vor, die Ordensgelübde seien nicht staatswidrig, weil der
Staat sie nicht mit seinem Arm beschütze. Mit diesem Argument könnte man
jede verbrecherische Verabredung vertheidigen. -- Es bedarf kaum der Er¬
wähnung, daß das Ordensgesetz mit großer Majorität definitiv genehmigt
wurde.

In der Sitzung vom 11. Mai nahm das Haus nach erfolgter dritter
Lesung und Genehmigung des Waldgesetzes die von der Verfassung vorge¬
schriebene wiederholte Berathung über die Aufhebung der drei Verfasfungs-
artikel 18, 16 und 18 vor. Diesmal hatte wieder der Abgeordnete Gneist
seinen glänzenden Tag. Er gab ein Bild des Wirrwars, wenn jede Religions-
gesellschast auf Grund einer Auslegung des Artikel 15, wie sie bisher von
der römischen Kirche beansprucht worden, alle Staatsgesetze für unverbindlich
erklären wolle, die sie mit ihrem Glaubensbekenntniß für unverträglich hält.
Es würden ebensoviel Rechtssysteme als Religionsgesellschaften zu bilden und
der Staat aufgelöst sein. Die harten Aufgaben des parlamentarischen Gefechts
fallen auf Seiten des Centrums immer Herrn Windthorst zu. Er verfehlte
denn auch nicht, die Lanze gegen Gneist einzulegen, aber der Stoß war kaum
zu spüren. Er schob dem Gegner die Folgerung zu, daß der Staat den
Kirchen vorschreiben müsse, was sie glauben dürfen. Aber die Folgerung ist
anzunehmen, wenn sie richtig ausgedrückt wird, nämlich so: der Staat hat
zu entscheiden, wie weit die Kirchen ihre Glaubenslehren in praktischen In¬
stituten verwirklichen dürfen. Weiter kämpfte Herr Windthorst: wenn die
Vieldeutigkeit des Artikel Is ein Grund der Aufhebung sein solle, so müsst


Diesem Redner von überwallenden Gefühl sollte der Abgeordnete v. Sybel,
aus dessen Munde wir mit Vergnügen die Rechtsfrage der Ordenszulassung
ziemlich Wort für Wort mit den Gründen beleuchten hörten, die wir Tags
zuvor in dem hierher gerichteten Briefe niedergeschrieben.

Ein späterer Redner des Centrums verlangte in (Konsequenz des Ver¬
botes der geistlichen Orden die Ausschließung der Freimaurer, was dem Ab¬
geordneten, Herrn Windthorst-Bielefeld, die Verdienste des Freimaurerordens
in seinen großen Mitgliedern darzulegen und als solche Schiller, Lessing,
Mozart anzuführen Veranlassung gab. Schiller'sche Gedichte mögen in den
Freimaurerlogen bei festlichen Gelegenheiten oft vorgetragen worden sein,
Schiller selbst aber äußerte sich gelegentlich sehr spöttisch über den Orden und
gehörte demselben nie an. So geht es in der Hitze des parlamentarischen
Gefechts. Ein Glück für den Redner, daß sein Namensvetter den Irrthum
überhörte.

Dem letzteren scheint allerdings die Schärfe der Waffen mehr und
mehr auszugehen. In der erwähnten Sitzung brachte er das mehr als schwache
Argument wieder vor, die Ordensgelübde seien nicht staatswidrig, weil der
Staat sie nicht mit seinem Arm beschütze. Mit diesem Argument könnte man
jede verbrecherische Verabredung vertheidigen. — Es bedarf kaum der Er¬
wähnung, daß das Ordensgesetz mit großer Majorität definitiv genehmigt
wurde.

In der Sitzung vom 11. Mai nahm das Haus nach erfolgter dritter
Lesung und Genehmigung des Waldgesetzes die von der Verfassung vorge¬
schriebene wiederholte Berathung über die Aufhebung der drei Verfasfungs-
artikel 18, 16 und 18 vor. Diesmal hatte wieder der Abgeordnete Gneist
seinen glänzenden Tag. Er gab ein Bild des Wirrwars, wenn jede Religions-
gesellschast auf Grund einer Auslegung des Artikel 15, wie sie bisher von
der römischen Kirche beansprucht worden, alle Staatsgesetze für unverbindlich
erklären wolle, die sie mit ihrem Glaubensbekenntniß für unverträglich hält.
Es würden ebensoviel Rechtssysteme als Religionsgesellschaften zu bilden und
der Staat aufgelöst sein. Die harten Aufgaben des parlamentarischen Gefechts
fallen auf Seiten des Centrums immer Herrn Windthorst zu. Er verfehlte
denn auch nicht, die Lanze gegen Gneist einzulegen, aber der Stoß war kaum
zu spüren. Er schob dem Gegner die Folgerung zu, daß der Staat den
Kirchen vorschreiben müsse, was sie glauben dürfen. Aber die Folgerung ist
anzunehmen, wenn sie richtig ausgedrückt wird, nämlich so: der Staat hat
zu entscheiden, wie weit die Kirchen ihre Glaubenslehren in praktischen In¬
stituten verwirklichen dürfen. Weiter kämpfte Herr Windthorst: wenn die
Vieldeutigkeit des Artikel Is ein Grund der Aufhebung sein solle, so müsst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/316>, abgerufen am 27.05.2024.