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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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durchgeführt -- das war eine bequeme und confuse militärische Prozession.*)
Kurze Tagesfahrten, langer Aufenthalt! Von einer Marschordnung war
gar nicht die Rede, und die Soldaten hatten mehr das Ansehen von Reisen¬
den. Die Gensdarmen verließen, wie dies auf gewöhnlichen Reisemärschen
üblich, ihre Streitroße und bestiegen leichte Pferde, waren nur halb bewaffnet,
ja ritten zum Theil in Westen und trugen statt der Eisenschuhe Pantoffeln,
an welchen ein hölzerner Sporn befestigt war**); jeder bewegte sich oder ruhte,
kehrte ein oder zog weiter, ganz nach Gefallen. Die Armee erhielt Befehl
zu lagern, wo der König Vergnügen fand und sie rastete von selbst da, wo
sie Lebensmittel und Genüsse auftrieb. Nur der Vortrab, den der Herzog
von Guise führte, scheint in Ordnung gewesen zu sein. Er stieß bei San
Germ ano auf den Feind. San Germano gilt für den Schlüssel von
Neapel. Ein Desilee, das einerseits von ungangbaren Bergen, andererseits
von den Gariglianosümpfen gebildet wird, giebt der Stellung große Stärke,
und die Wahl derselben zeigt, daß Alfonso II. seinen Ruf, der ausgezeichneteste
Feldherr Italiens zu sein, einen Ruf den er in den Türkenkriegen erworben,
auch jetzt noch verdiente. Er hatte diese Position dem neapolitanischen Heere
ausgesucht. An dessen Spitze aber stand der junge König Ferdinands, dem
der allgemein verhaßte Alfonso das Reich abgetreten hatte und der entschlossen
war, zu siegen oder zu sterben. Er hatte unter seinen Befehlen 2600 Gen¬
darmes. 500 leichte Reiter und ein starkes Fußvolk; aber diese bedeu¬
tende Macht floh beim bloßen Anblick der Franzosen unaufhaltsam bis
Capua und riß den König mit fort. Nun folgte Abfall auf Abfall. --
Man darf nicht vergessen, daß die zu Neapel herrschenden Aragonier nur
eine Secundogenitur waren und zunächst nicht über spanische, sondern
nur über italienische Streitkräfte zu verfügen hatten. Unter den neapolita¬
nischen Kriegsschacu-en herrschten aber Verrath und Feigheit, unter den Vasfal¬
len Meuterei und Parteiung. Vergebens nahm der junge König Ferdinand
abermals eine gut gewählte Stellung bei Capua; das Heer zerrann ihm unter
den Händen; in der schamlosesten Weise verließen ihn die Soldführer, welche
er mit Wohlthaten überhäuft hatte und aus deren Treue er fest bauen zu
können glaubte. Während Ferdinand sich nach Neapel begab, um dort aus¬
gebrochene Unruhen zu unterdrücken, ging einer seiner angesehensten Feld-
hauptleute, der schon genannte Giovanni Jacopo Triulzio, ein geborener
Mailänder, in französische Dienste über, weil er ferneren Widerstand für
unmöglich hielt; Virginio Orstni und der Graf von Pttigliano zogen sich
nUt ihren Söldnern nach Nola zurück und wurden bald darauf von den




Pascala. a. O.
Darum meinte Alexander VI., die Franzosen hätten diesen Feldzug mit der Kreide (zur
Einquartieningsanaabc) und mit hölzernen Sporen gemacht.

durchgeführt — das war eine bequeme und confuse militärische Prozession.*)
Kurze Tagesfahrten, langer Aufenthalt! Von einer Marschordnung war
gar nicht die Rede, und die Soldaten hatten mehr das Ansehen von Reisen¬
den. Die Gensdarmen verließen, wie dies auf gewöhnlichen Reisemärschen
üblich, ihre Streitroße und bestiegen leichte Pferde, waren nur halb bewaffnet,
ja ritten zum Theil in Westen und trugen statt der Eisenschuhe Pantoffeln,
an welchen ein hölzerner Sporn befestigt war**); jeder bewegte sich oder ruhte,
kehrte ein oder zog weiter, ganz nach Gefallen. Die Armee erhielt Befehl
zu lagern, wo der König Vergnügen fand und sie rastete von selbst da, wo
sie Lebensmittel und Genüsse auftrieb. Nur der Vortrab, den der Herzog
von Guise führte, scheint in Ordnung gewesen zu sein. Er stieß bei San
Germ ano auf den Feind. San Germano gilt für den Schlüssel von
Neapel. Ein Desilee, das einerseits von ungangbaren Bergen, andererseits
von den Gariglianosümpfen gebildet wird, giebt der Stellung große Stärke,
und die Wahl derselben zeigt, daß Alfonso II. seinen Ruf, der ausgezeichneteste
Feldherr Italiens zu sein, einen Ruf den er in den Türkenkriegen erworben,
auch jetzt noch verdiente. Er hatte diese Position dem neapolitanischen Heere
ausgesucht. An dessen Spitze aber stand der junge König Ferdinands, dem
der allgemein verhaßte Alfonso das Reich abgetreten hatte und der entschlossen
war, zu siegen oder zu sterben. Er hatte unter seinen Befehlen 2600 Gen¬
darmes. 500 leichte Reiter und ein starkes Fußvolk; aber diese bedeu¬
tende Macht floh beim bloßen Anblick der Franzosen unaufhaltsam bis
Capua und riß den König mit fort. Nun folgte Abfall auf Abfall. —
Man darf nicht vergessen, daß die zu Neapel herrschenden Aragonier nur
eine Secundogenitur waren und zunächst nicht über spanische, sondern
nur über italienische Streitkräfte zu verfügen hatten. Unter den neapolita¬
nischen Kriegsschacu-en herrschten aber Verrath und Feigheit, unter den Vasfal¬
len Meuterei und Parteiung. Vergebens nahm der junge König Ferdinand
abermals eine gut gewählte Stellung bei Capua; das Heer zerrann ihm unter
den Händen; in der schamlosesten Weise verließen ihn die Soldführer, welche
er mit Wohlthaten überhäuft hatte und aus deren Treue er fest bauen zu
können glaubte. Während Ferdinand sich nach Neapel begab, um dort aus¬
gebrochene Unruhen zu unterdrücken, ging einer seiner angesehensten Feld-
hauptleute, der schon genannte Giovanni Jacopo Triulzio, ein geborener
Mailänder, in französische Dienste über, weil er ferneren Widerstand für
unmöglich hielt; Virginio Orstni und der Graf von Pttigliano zogen sich
nUt ihren Söldnern nach Nola zurück und wurden bald darauf von den




Pascala. a. O.
Darum meinte Alexander VI., die Franzosen hätten diesen Feldzug mit der Kreide (zur
Einquartieningsanaabc) und mit hölzernen Sporen gemacht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/343>, abgerufen am 27.05.2024.