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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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den Seinigen nieder. Die Ansiedler. trotz ihres Namens Kleingothen ein
zahlreiches Volk, fanden hier Alles was sie wünschten, den deutschen Wald
mit seiner Jagdlust und grasreiche Triften für ihre Rinder und Lämmer-
heerden. Ackerbau wurde wenig getrieben. Sie bildeten einen eigenen Staat,
der, solange Ulfilas lebte, unter dessen patriarchalischer Leitung stand und noch
bis ins sechste Jahrhundert sich erhielt. Die für das Christenthum Gewonnenen
mochten anfangs dasselbe in ihrem Wandel noch wenig bewähren und in Be-
gierde nach Kampf und Waffenklang das Liebesgebot Jesu vergessen. Aber
Ulfilas, der eine Bethätigung des Glaubens als eine nothwendige und uner-
läßliche Frucht desselben ansah. suchte sie vor allem zu einer milden Lebens¬
weise zu bewegen. Zu diesem Zwecke nahm er sich, schon der jugendlichen
Seelen an. Sein Nachfolger im Bischofsamt Selenas und der spätere
Bischof von Dorostorus, jetzt Silistria. Auxentius, der in einem Schreiben
über des Ulfilas Leben und Lehre mit hoher Verehrung von diesem spricht,
hatten seinen Unterricht genossen. Obgleich ich ihn, so sagt letzterer, nicht
würdig genug zu loben vermag, so kann ich doch auch nicht schweigen von
dem. welchem ich mehr als Allen schulde und der mich vom frühesten Alter
an von meinen Eltern als Schüler aufgenommen, in der heil. Schrift und
der Wahrheit unterrichtet und durch das Erbarmen Gottes und die Gnade
Christi leiblich und geistig in Treue wie seinen Sohn erzogen hat. So
mehrten sich ihm die Helfer in seinem Werk und durch seine Umsicht, die
Würde seines Wesens, die Weihe seiner Worte und die Reinheit seines Wan¬
dels brachte er es dahin, "daß ihm jeder leicht in allen Stücken folgte und
überzeugt war. nichts von dem. was er sagte oder thäte, sei schlecht und alles
müsse denen, die ihm nacheiferten, zum Guten ausschlagen." Das aber, was
Ulfilas hier in der Stille seiner Berge säete und pflegte, trug reichliche Frucht.
Jener Sittenstrenge gallische Presbyter Salvianus, der fast 100 Jahre später
lebte, hätte ohne Zweifel noch mehr die christliche Tugend dieser Gothen be¬
wundert als die ihrer Stammverwandten, die nachmals Europa über¬
schwemmten, nachdem ihnen von den Thälern des Hanns her das Licht des
Evangeliums entzündet worden war. Wir Römer, sagt er. sind Ketzer im
Wandel, während die Gothen ein katholisches Leben führen. Wenn er außer-
hinzufügt, sie sind nur bei uns Ketzer, bet sich aber durchaus nicht; weil
sie sich ^r rechtgläubig halten, sind wir ihnen Ketzer, so bezeichnet er damit
^gleich die Gesinnung des Ulfilas. Weil derselbe die durch veränderliche
Gunst der Kaiser immer weitergehenden Spaltungen in der Kirche des römi-
chen Reiches verabscheute und den verfolgungssüchtigen Eifer ehrbegieriger
Parteigänger, die ihm wie reißende Wölfe und Hunde verheerend in die Heerde
Christi einzubrechen schienen, von Grund seines Herzens verdammte, hielt er
die ihm anvertrauten Seelen von der Berührung mit diesen äußeren Wirren


Grcnzl'öden IV. 187S. 2

den Seinigen nieder. Die Ansiedler. trotz ihres Namens Kleingothen ein
zahlreiches Volk, fanden hier Alles was sie wünschten, den deutschen Wald
mit seiner Jagdlust und grasreiche Triften für ihre Rinder und Lämmer-
heerden. Ackerbau wurde wenig getrieben. Sie bildeten einen eigenen Staat,
der, solange Ulfilas lebte, unter dessen patriarchalischer Leitung stand und noch
bis ins sechste Jahrhundert sich erhielt. Die für das Christenthum Gewonnenen
mochten anfangs dasselbe in ihrem Wandel noch wenig bewähren und in Be-
gierde nach Kampf und Waffenklang das Liebesgebot Jesu vergessen. Aber
Ulfilas, der eine Bethätigung des Glaubens als eine nothwendige und uner-
läßliche Frucht desselben ansah. suchte sie vor allem zu einer milden Lebens¬
weise zu bewegen. Zu diesem Zwecke nahm er sich, schon der jugendlichen
Seelen an. Sein Nachfolger im Bischofsamt Selenas und der spätere
Bischof von Dorostorus, jetzt Silistria. Auxentius, der in einem Schreiben
über des Ulfilas Leben und Lehre mit hoher Verehrung von diesem spricht,
hatten seinen Unterricht genossen. Obgleich ich ihn, so sagt letzterer, nicht
würdig genug zu loben vermag, so kann ich doch auch nicht schweigen von
dem. welchem ich mehr als Allen schulde und der mich vom frühesten Alter
an von meinen Eltern als Schüler aufgenommen, in der heil. Schrift und
der Wahrheit unterrichtet und durch das Erbarmen Gottes und die Gnade
Christi leiblich und geistig in Treue wie seinen Sohn erzogen hat. So
mehrten sich ihm die Helfer in seinem Werk und durch seine Umsicht, die
Würde seines Wesens, die Weihe seiner Worte und die Reinheit seines Wan¬
dels brachte er es dahin, „daß ihm jeder leicht in allen Stücken folgte und
überzeugt war. nichts von dem. was er sagte oder thäte, sei schlecht und alles
müsse denen, die ihm nacheiferten, zum Guten ausschlagen." Das aber, was
Ulfilas hier in der Stille seiner Berge säete und pflegte, trug reichliche Frucht.
Jener Sittenstrenge gallische Presbyter Salvianus, der fast 100 Jahre später
lebte, hätte ohne Zweifel noch mehr die christliche Tugend dieser Gothen be¬
wundert als die ihrer Stammverwandten, die nachmals Europa über¬
schwemmten, nachdem ihnen von den Thälern des Hanns her das Licht des
Evangeliums entzündet worden war. Wir Römer, sagt er. sind Ketzer im
Wandel, während die Gothen ein katholisches Leben führen. Wenn er außer-
hinzufügt, sie sind nur bei uns Ketzer, bet sich aber durchaus nicht; weil
sie sich ^r rechtgläubig halten, sind wir ihnen Ketzer, so bezeichnet er damit
^gleich die Gesinnung des Ulfilas. Weil derselbe die durch veränderliche
Gunst der Kaiser immer weitergehenden Spaltungen in der Kirche des römi-
chen Reiches verabscheute und den verfolgungssüchtigen Eifer ehrbegieriger
Parteigänger, die ihm wie reißende Wölfe und Hunde verheerend in die Heerde
Christi einzubrechen schienen, von Grund seines Herzens verdammte, hielt er
die ihm anvertrauten Seelen von der Berührung mit diesen äußeren Wirren


Grcnzl'öden IV. 187S. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/13>, abgerufen am 24.05.2024.