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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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angesehenen Gothenfamilie an und wuchs unter denselben kriegerischen Uebun¬
gen auf, denen sich jeder deutsche Knabe und Jüngling mit gleichem Eifer
unterzog. Speerwerfen, Schwertertanz und Jagd übten seinen Körper und
machten ihn hart gegen die Mühen späterer Jahre. Die Kunde von den
fernen Ländern und Menschen weckten seinen Geist, die Sagen von den heimi¬
schen Göttern und Helden belebten seine Phantasie, und die Lieder, welche er
von Eltern und Gespielen oder von Priestern und Sängern vernahm, bil¬
deten seine Sprache. Auch die Lehren des Christenthums kennen zu lernen,
fehlte es nicht an Gelegenheit.

Viele von den Volksgenossen, die unter den Feldzeichen des römischen
Kaisers in den Krieg zogen, schlössen sich dieser Religion an. Mancher, der
in die alte Heimath zurückkam, war bekehrt und warb im kleinen Kreise für
die neue Lehre. Mancher aus dem Römerreiche geraubte Christ diente bei
Vornehmen als Sclave. Gerade aber diese streuten den Samen des Evange¬
liums zunächst in die Herzen der Jugend, mit der sie im Hause ihres Herrn
am ungezwungensten und vertraulichsten verkehrten. Wie leicht aber war es,
die Lehre von dem gekreuzigten Gottessohne gerade einem im deutschen Heiden-
thume Erzogenen faßbar zu machen. Der ernste sittliche Sinn, der die ganze
Mythologie der Germanen durchdringt, der Glaube an die Sühne jeder Schuld,
die paradiesische Reinheit der Götter am Anfang, ihr Sündenfall und Unter¬
gang im allgemeinen Weltbrande, das Wiedererstehen einer neuen Erde voll
seligen Glücks, besonders aber der Tod des guten Gottes, des lichten Balders,
den die Verderbnis der anderen zur Unterwelt sendet, das alles waren ahnungs¬
reiche, aber undeutliche Bilder, die im Christenthume ihre schönste Lösung
fanden. Mit welch begeistertem Staunen mochte Ulfilas, der hochbegabte
Jüngling, die erste Kunde von dieser neuen Weisheit empfangen haben!
Höher schlug ihm daher das Herz, als es bestimmt war, daß er nach Constan-
tinopel wandern sollte, diesem Sitz nicht nur aller irdischen Pracht, sondern
auch aller geistigen Schätze. Als er das 21ste Jahr erreicht hatte, gelang es
dem Heere des Kaisers Constantin, der in den Jahren 322, 328 und 332
drei große Kriege gegen die Gothen führte, so siegreich gegen dieselben vor¬
zudringen, daß sie um Frieden bitten mußten. Sie schickten eine Gesandt¬
schaft nach Constantinopel, in welcher sich auch Ulfilas befand, und als die¬
selbe sich ihres Auftrages entledigt hatte und nach Hause zurückkehrte, blieb
er in der Hauptstadt zurück.

Damals war unter den Christen ein heftiger Streit über Glaubenssätze
entbrannt, für den unser Jahrhundert nur noch geringes Verständnis besitzt,
obwohl doch die Neuzeit der katholischen Dogmatik so manche merkwürdige
Bereicherung gebracht hat. Die Ansicht des alexandrinischen Presbyters
Arius, daß Christus nicht desselben Wesens mit dem Vater, sondern von


angesehenen Gothenfamilie an und wuchs unter denselben kriegerischen Uebun¬
gen auf, denen sich jeder deutsche Knabe und Jüngling mit gleichem Eifer
unterzog. Speerwerfen, Schwertertanz und Jagd übten seinen Körper und
machten ihn hart gegen die Mühen späterer Jahre. Die Kunde von den
fernen Ländern und Menschen weckten seinen Geist, die Sagen von den heimi¬
schen Göttern und Helden belebten seine Phantasie, und die Lieder, welche er
von Eltern und Gespielen oder von Priestern und Sängern vernahm, bil¬
deten seine Sprache. Auch die Lehren des Christenthums kennen zu lernen,
fehlte es nicht an Gelegenheit.

Viele von den Volksgenossen, die unter den Feldzeichen des römischen
Kaisers in den Krieg zogen, schlössen sich dieser Religion an. Mancher, der
in die alte Heimath zurückkam, war bekehrt und warb im kleinen Kreise für
die neue Lehre. Mancher aus dem Römerreiche geraubte Christ diente bei
Vornehmen als Sclave. Gerade aber diese streuten den Samen des Evange¬
liums zunächst in die Herzen der Jugend, mit der sie im Hause ihres Herrn
am ungezwungensten und vertraulichsten verkehrten. Wie leicht aber war es,
die Lehre von dem gekreuzigten Gottessohne gerade einem im deutschen Heiden-
thume Erzogenen faßbar zu machen. Der ernste sittliche Sinn, der die ganze
Mythologie der Germanen durchdringt, der Glaube an die Sühne jeder Schuld,
die paradiesische Reinheit der Götter am Anfang, ihr Sündenfall und Unter¬
gang im allgemeinen Weltbrande, das Wiedererstehen einer neuen Erde voll
seligen Glücks, besonders aber der Tod des guten Gottes, des lichten Balders,
den die Verderbnis der anderen zur Unterwelt sendet, das alles waren ahnungs¬
reiche, aber undeutliche Bilder, die im Christenthume ihre schönste Lösung
fanden. Mit welch begeistertem Staunen mochte Ulfilas, der hochbegabte
Jüngling, die erste Kunde von dieser neuen Weisheit empfangen haben!
Höher schlug ihm daher das Herz, als es bestimmt war, daß er nach Constan-
tinopel wandern sollte, diesem Sitz nicht nur aller irdischen Pracht, sondern
auch aller geistigen Schätze. Als er das 21ste Jahr erreicht hatte, gelang es
dem Heere des Kaisers Constantin, der in den Jahren 322, 328 und 332
drei große Kriege gegen die Gothen führte, so siegreich gegen dieselben vor¬
zudringen, daß sie um Frieden bitten mußten. Sie schickten eine Gesandt¬
schaft nach Constantinopel, in welcher sich auch Ulfilas befand, und als die¬
selbe sich ihres Auftrages entledigt hatte und nach Hause zurückkehrte, blieb
er in der Hauptstadt zurück.

Damals war unter den Christen ein heftiger Streit über Glaubenssätze
entbrannt, für den unser Jahrhundert nur noch geringes Verständnis besitzt,
obwohl doch die Neuzeit der katholischen Dogmatik so manche merkwürdige
Bereicherung gebracht hat. Die Ansicht des alexandrinischen Presbyters
Arius, daß Christus nicht desselben Wesens mit dem Vater, sondern von


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[0008] angesehenen Gothenfamilie an und wuchs unter denselben kriegerischen Uebun¬ gen auf, denen sich jeder deutsche Knabe und Jüngling mit gleichem Eifer unterzog. Speerwerfen, Schwertertanz und Jagd übten seinen Körper und machten ihn hart gegen die Mühen späterer Jahre. Die Kunde von den fernen Ländern und Menschen weckten seinen Geist, die Sagen von den heimi¬ schen Göttern und Helden belebten seine Phantasie, und die Lieder, welche er von Eltern und Gespielen oder von Priestern und Sängern vernahm, bil¬ deten seine Sprache. Auch die Lehren des Christenthums kennen zu lernen, fehlte es nicht an Gelegenheit. Viele von den Volksgenossen, die unter den Feldzeichen des römischen Kaisers in den Krieg zogen, schlössen sich dieser Religion an. Mancher, der in die alte Heimath zurückkam, war bekehrt und warb im kleinen Kreise für die neue Lehre. Mancher aus dem Römerreiche geraubte Christ diente bei Vornehmen als Sclave. Gerade aber diese streuten den Samen des Evange¬ liums zunächst in die Herzen der Jugend, mit der sie im Hause ihres Herrn am ungezwungensten und vertraulichsten verkehrten. Wie leicht aber war es, die Lehre von dem gekreuzigten Gottessohne gerade einem im deutschen Heiden- thume Erzogenen faßbar zu machen. Der ernste sittliche Sinn, der die ganze Mythologie der Germanen durchdringt, der Glaube an die Sühne jeder Schuld, die paradiesische Reinheit der Götter am Anfang, ihr Sündenfall und Unter¬ gang im allgemeinen Weltbrande, das Wiedererstehen einer neuen Erde voll seligen Glücks, besonders aber der Tod des guten Gottes, des lichten Balders, den die Verderbnis der anderen zur Unterwelt sendet, das alles waren ahnungs¬ reiche, aber undeutliche Bilder, die im Christenthume ihre schönste Lösung fanden. Mit welch begeistertem Staunen mochte Ulfilas, der hochbegabte Jüngling, die erste Kunde von dieser neuen Weisheit empfangen haben! Höher schlug ihm daher das Herz, als es bestimmt war, daß er nach Constan- tinopel wandern sollte, diesem Sitz nicht nur aller irdischen Pracht, sondern auch aller geistigen Schätze. Als er das 21ste Jahr erreicht hatte, gelang es dem Heere des Kaisers Constantin, der in den Jahren 322, 328 und 332 drei große Kriege gegen die Gothen führte, so siegreich gegen dieselben vor¬ zudringen, daß sie um Frieden bitten mußten. Sie schickten eine Gesandt¬ schaft nach Constantinopel, in welcher sich auch Ulfilas befand, und als die¬ selbe sich ihres Auftrages entledigt hatte und nach Hause zurückkehrte, blieb er in der Hauptstadt zurück. Damals war unter den Christen ein heftiger Streit über Glaubenssätze entbrannt, für den unser Jahrhundert nur noch geringes Verständnis besitzt, obwohl doch die Neuzeit der katholischen Dogmatik so manche merkwürdige Bereicherung gebracht hat. Die Ansicht des alexandrinischen Presbyters Arius, daß Christus nicht desselben Wesens mit dem Vater, sondern von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/8>, abgerufen am 24.05.2024.