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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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zur Lippe schützte er vor Untergang und Noth, indem er ihnen (selbst mit
Hintansetzung der heimischen Beamtenwelt) möglichst einträgliche Stellen zu¬
theilte; in seinem Lande durfte sich der nach Freiheit und Einheit des Vater¬
landes ringende Volksgeist offen und ungebunden äußern, Vorstellungen gegen
die Duldung eines deutschen Turner- oder Schützenfestes und anderer patrio¬
tischen Massenversammlungen, gegen die Zulassung des Nationalvereins und
sonstige, dem damals herrschenden System unliebsame Gestaltungen wurden
unter Berufung auf das gesetzlich gewährleistete Vereins- und Bersammlungs-
recht zurückgewiesen. Bei aller äußeren Machtlosigkeit war einem gut ange¬
legten Fürsten mit einigem Ehrgeiz und Thatentrieb die Gewinnung großen
Ansehns und ungewöhnlicher Popularität durch die Jämmerlichkeit der meisten
Staatsverwaltungen und die Kläglichkeit der Bundestagswirthschaft, sehr er¬
leichtert. Das Jahr 1866 hat auch hierin eine gründliche Wandelung herbei¬
geführt. In dem Augenblick, in welchem Preußen kühn und energisch die
Leitung der deutschen Angelegenheiten in seine Hand nahm, eine großartige,
nationale, schöpferische Politik trieb. -- in diesem Augenblick war es natur¬
gemäß mit dem kleinfürstlichen Nimbus vorüber, auch wenn derselbe bis dahin
noch so berechtigt sein mochte. Wenn heute der Herzog von Coburg-Gotha
einen Besuch in London oder Paris macht oder in der Hofburg zu Wien
vorspricht, wer denkt da noch wie ehedem an einen politischen Hintergrund
einer solchen Reise? Auf der Schaubühne der hohen Politik steht Herzog
Ernst nicht mehr. Niemand ist sich darüber klarer als er selbst. Es wird
trotzdem unvergessen bleiben, daß er es war, der sich mit Zustimmung der
Landesvertretung beim Ausbruch des Krieges von 1866 sofort auf Seite
Preußens stellte und im Felde dessen erster, für geraume Zeit einziger Bundes¬
genosse wurde. Dieser Schritt zeugt jedenfalls von einem richtigen Verständ¬
nisse der Situation, von einer politischen Einsicht und Klugheit, wie sie zu
jener Zeit keiner der Herren "Vettern und Liebden" albertinischer und ernesti-
nischer Linie an den Tag legte, und es verdient auch die Rasch heit des
Entschlusses wie des Handelns um so größere Anerkennung, als der Herzog
nach dem Frankfurter Fürstentage, an Preußens deutscher Politik so gut wie
verzweifelnd, eine Schwenkung nach Oestreich hin gemacht hatte.

Das siegreiche Preußen hat ihm bekanntlich die geleisteten guten Dienste
durch das Geschenk des vormals kurhessischen Waldes bei Schmalkalden
gelohnt, nachdem vorher allerlei Gerüchte über eine Vergrößerung Coburgs
durch Zuweisung anstoßender bayerischer Ortschaften, insbesondere einiger
Protestantischer Pfarrspiele Mittelfrankens die Luft durchschwirrt hatten. Zur
Ehre der coburgischen Bevölkerung dürfen wir hervorheben, daß dieselbe nach
solchem Zuwachs keineswegs lüstern war und die Vergrößerung eines winzigen,
kaum lebensfähigen Staatswesens um einige Quadratmeilen nicht für eine


zur Lippe schützte er vor Untergang und Noth, indem er ihnen (selbst mit
Hintansetzung der heimischen Beamtenwelt) möglichst einträgliche Stellen zu¬
theilte; in seinem Lande durfte sich der nach Freiheit und Einheit des Vater¬
landes ringende Volksgeist offen und ungebunden äußern, Vorstellungen gegen
die Duldung eines deutschen Turner- oder Schützenfestes und anderer patrio¬
tischen Massenversammlungen, gegen die Zulassung des Nationalvereins und
sonstige, dem damals herrschenden System unliebsame Gestaltungen wurden
unter Berufung auf das gesetzlich gewährleistete Vereins- und Bersammlungs-
recht zurückgewiesen. Bei aller äußeren Machtlosigkeit war einem gut ange¬
legten Fürsten mit einigem Ehrgeiz und Thatentrieb die Gewinnung großen
Ansehns und ungewöhnlicher Popularität durch die Jämmerlichkeit der meisten
Staatsverwaltungen und die Kläglichkeit der Bundestagswirthschaft, sehr er¬
leichtert. Das Jahr 1866 hat auch hierin eine gründliche Wandelung herbei¬
geführt. In dem Augenblick, in welchem Preußen kühn und energisch die
Leitung der deutschen Angelegenheiten in seine Hand nahm, eine großartige,
nationale, schöpferische Politik trieb. — in diesem Augenblick war es natur¬
gemäß mit dem kleinfürstlichen Nimbus vorüber, auch wenn derselbe bis dahin
noch so berechtigt sein mochte. Wenn heute der Herzog von Coburg-Gotha
einen Besuch in London oder Paris macht oder in der Hofburg zu Wien
vorspricht, wer denkt da noch wie ehedem an einen politischen Hintergrund
einer solchen Reise? Auf der Schaubühne der hohen Politik steht Herzog
Ernst nicht mehr. Niemand ist sich darüber klarer als er selbst. Es wird
trotzdem unvergessen bleiben, daß er es war, der sich mit Zustimmung der
Landesvertretung beim Ausbruch des Krieges von 1866 sofort auf Seite
Preußens stellte und im Felde dessen erster, für geraume Zeit einziger Bundes¬
genosse wurde. Dieser Schritt zeugt jedenfalls von einem richtigen Verständ¬
nisse der Situation, von einer politischen Einsicht und Klugheit, wie sie zu
jener Zeit keiner der Herren „Vettern und Liebden" albertinischer und ernesti-
nischer Linie an den Tag legte, und es verdient auch die Rasch heit des
Entschlusses wie des Handelns um so größere Anerkennung, als der Herzog
nach dem Frankfurter Fürstentage, an Preußens deutscher Politik so gut wie
verzweifelnd, eine Schwenkung nach Oestreich hin gemacht hatte.

Das siegreiche Preußen hat ihm bekanntlich die geleisteten guten Dienste
durch das Geschenk des vormals kurhessischen Waldes bei Schmalkalden
gelohnt, nachdem vorher allerlei Gerüchte über eine Vergrößerung Coburgs
durch Zuweisung anstoßender bayerischer Ortschaften, insbesondere einiger
Protestantischer Pfarrspiele Mittelfrankens die Luft durchschwirrt hatten. Zur
Ehre der coburgischen Bevölkerung dürfen wir hervorheben, daß dieselbe nach
solchem Zuwachs keineswegs lüstern war und die Vergrößerung eines winzigen,
kaum lebensfähigen Staatswesens um einige Quadratmeilen nicht für eine


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[0117] zur Lippe schützte er vor Untergang und Noth, indem er ihnen (selbst mit Hintansetzung der heimischen Beamtenwelt) möglichst einträgliche Stellen zu¬ theilte; in seinem Lande durfte sich der nach Freiheit und Einheit des Vater¬ landes ringende Volksgeist offen und ungebunden äußern, Vorstellungen gegen die Duldung eines deutschen Turner- oder Schützenfestes und anderer patrio¬ tischen Massenversammlungen, gegen die Zulassung des Nationalvereins und sonstige, dem damals herrschenden System unliebsame Gestaltungen wurden unter Berufung auf das gesetzlich gewährleistete Vereins- und Bersammlungs- recht zurückgewiesen. Bei aller äußeren Machtlosigkeit war einem gut ange¬ legten Fürsten mit einigem Ehrgeiz und Thatentrieb die Gewinnung großen Ansehns und ungewöhnlicher Popularität durch die Jämmerlichkeit der meisten Staatsverwaltungen und die Kläglichkeit der Bundestagswirthschaft, sehr er¬ leichtert. Das Jahr 1866 hat auch hierin eine gründliche Wandelung herbei¬ geführt. In dem Augenblick, in welchem Preußen kühn und energisch die Leitung der deutschen Angelegenheiten in seine Hand nahm, eine großartige, nationale, schöpferische Politik trieb. — in diesem Augenblick war es natur¬ gemäß mit dem kleinfürstlichen Nimbus vorüber, auch wenn derselbe bis dahin noch so berechtigt sein mochte. Wenn heute der Herzog von Coburg-Gotha einen Besuch in London oder Paris macht oder in der Hofburg zu Wien vorspricht, wer denkt da noch wie ehedem an einen politischen Hintergrund einer solchen Reise? Auf der Schaubühne der hohen Politik steht Herzog Ernst nicht mehr. Niemand ist sich darüber klarer als er selbst. Es wird trotzdem unvergessen bleiben, daß er es war, der sich mit Zustimmung der Landesvertretung beim Ausbruch des Krieges von 1866 sofort auf Seite Preußens stellte und im Felde dessen erster, für geraume Zeit einziger Bundes¬ genosse wurde. Dieser Schritt zeugt jedenfalls von einem richtigen Verständ¬ nisse der Situation, von einer politischen Einsicht und Klugheit, wie sie zu jener Zeit keiner der Herren „Vettern und Liebden" albertinischer und ernesti- nischer Linie an den Tag legte, und es verdient auch die Rasch heit des Entschlusses wie des Handelns um so größere Anerkennung, als der Herzog nach dem Frankfurter Fürstentage, an Preußens deutscher Politik so gut wie verzweifelnd, eine Schwenkung nach Oestreich hin gemacht hatte. Das siegreiche Preußen hat ihm bekanntlich die geleisteten guten Dienste durch das Geschenk des vormals kurhessischen Waldes bei Schmalkalden gelohnt, nachdem vorher allerlei Gerüchte über eine Vergrößerung Coburgs durch Zuweisung anstoßender bayerischer Ortschaften, insbesondere einiger Protestantischer Pfarrspiele Mittelfrankens die Luft durchschwirrt hatten. Zur Ehre der coburgischen Bevölkerung dürfen wir hervorheben, daß dieselbe nach solchem Zuwachs keineswegs lüstern war und die Vergrößerung eines winzigen, kaum lebensfähigen Staatswesens um einige Quadratmeilen nicht für eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/117>, abgerufen am 18.05.2024.