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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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verkehren würde? Tritt nicht, was möglich, aber nicht wahrscheinlich, eine
Gegenströmung ein, so wird in wenigen Jahrzehnten ein völlig neues Volk
an die Stelle des alten Japan getreten sein, welches für die Entwickelung
von Ostasien von noch größerer Bedeutung sein wird, als das aufstrebende
Aegypten für die von Ost- und Centralafrika.

Ein derartiges Volk interessirt uns lebhaft auch nach seinem vergangnen
oder im Vergehen begriffnen Leben, und zwar um so mehr, als dieses Leben
in schnellem Verschwinden ist, und so wird eine Schrift, die uns dasselbe zum
größten Theil aus dem Munde von Landesangehörigen selbst schildert, allen
Freunden der Ethnographie in hohem Grade willkommen sein. Wir haben
die Freude, eine solche in der von Kohl besorgten Uebersetzung von Mitfords
"l^iss ok Olä ^xg,n" -- Deutsch. "Geschichten aus Alt-Japan"*) -- an¬
zeigen zu können. Dieselbe ist ein nach den verschiedensten Richtungen hin
lehrreiches und zugleich unterhaltendes Buch, welches aus dem Charakter des
merkwürdigen Stücks Menschheit, das es behandelt, mit einer bis jetzt noch
nicht dagewesenen Vollständigkeit vorführt und und auch in der Form wenig
zu wünschen übrig läßt. Einige Längen und Wiederholungen, z. B. in dem
nicht weniger als 37 Seiten einnehmenden Kapitel über das Harakiri oder die
Selbsthinrichtung der vornehmern Klassen der Japaner, hätten vermieden
werden können. Hin und wieder ist die Uebersetzung mangelhaft. Als Ganzes
aber verdient das Buch Dank und Empfehlung. Die letztere werden wir ihm
am Besten durch eine ausführliche Angabe seines Inhalts und gelegentliche
Auszüge aus seinen interessantesten Partien zu Theil werden lassen. Der
Hauptinhalt besteht, wie der Titel schon besagt, in der Mittheilung von
Erzählungen, kleinen Novellen, Legenden, Sagen und Märchen der Japaner,
die einen Einblick in deren Auffassung des Lebens, deren Empfindung und
Denken eröffnen. Dazu kommen gewisse Etiquette-Vorschriften, Schilderungen
von Gebräuchen, sowie Mittheilungen über die Ehe, die Kindererziehung, das
Begraben der Todten und Aehnliches. Endlich hat der Herausgeber diesen
der japanischen Literatur entnommenen Historien und Beschreibungen noch
Einleitungen und Erklärungen hinzugefügt, die auf eigner Beobachtung und
Erfahrung ruhen.

Die erste Erzählung, "die siebenundvierzig Ronins" betitelt und auf ein
wirkliches Vorkommniß im 18. Jahrhundert gegründet, kennzeichnet in sehr
charakterischer Weise, was man in Japan von einem getreuen Vasallen er-



') Der volle Titel lautet: "Geschichte" aus Alt-Japan. Von A. B. Mitfort, zweitem
Secretär bei der britischen Gesandtschaft in Japan. Aus dem Englischen übersehe von I. G-
Kohl. Mit Illustrationen gezeichnet und in Holz geschnitten von japanischen Künstlern. Zwei
Bände. Leipzig, Verlag von Fr. Wilhelm Grnnow 1875." Die zahlreichen Illustrationen,
Holzschnitte, sind äußerst charakteristisch, wenn auch eher alles Andere, als Kunstwerke nach
unserm Begriff.

verkehren würde? Tritt nicht, was möglich, aber nicht wahrscheinlich, eine
Gegenströmung ein, so wird in wenigen Jahrzehnten ein völlig neues Volk
an die Stelle des alten Japan getreten sein, welches für die Entwickelung
von Ostasien von noch größerer Bedeutung sein wird, als das aufstrebende
Aegypten für die von Ost- und Centralafrika.

Ein derartiges Volk interessirt uns lebhaft auch nach seinem vergangnen
oder im Vergehen begriffnen Leben, und zwar um so mehr, als dieses Leben
in schnellem Verschwinden ist, und so wird eine Schrift, die uns dasselbe zum
größten Theil aus dem Munde von Landesangehörigen selbst schildert, allen
Freunden der Ethnographie in hohem Grade willkommen sein. Wir haben
die Freude, eine solche in der von Kohl besorgten Uebersetzung von Mitfords
„l^iss ok Olä ^xg,n« — Deutsch. „Geschichten aus Alt-Japan"*) — an¬
zeigen zu können. Dieselbe ist ein nach den verschiedensten Richtungen hin
lehrreiches und zugleich unterhaltendes Buch, welches aus dem Charakter des
merkwürdigen Stücks Menschheit, das es behandelt, mit einer bis jetzt noch
nicht dagewesenen Vollständigkeit vorführt und und auch in der Form wenig
zu wünschen übrig läßt. Einige Längen und Wiederholungen, z. B. in dem
nicht weniger als 37 Seiten einnehmenden Kapitel über das Harakiri oder die
Selbsthinrichtung der vornehmern Klassen der Japaner, hätten vermieden
werden können. Hin und wieder ist die Uebersetzung mangelhaft. Als Ganzes
aber verdient das Buch Dank und Empfehlung. Die letztere werden wir ihm
am Besten durch eine ausführliche Angabe seines Inhalts und gelegentliche
Auszüge aus seinen interessantesten Partien zu Theil werden lassen. Der
Hauptinhalt besteht, wie der Titel schon besagt, in der Mittheilung von
Erzählungen, kleinen Novellen, Legenden, Sagen und Märchen der Japaner,
die einen Einblick in deren Auffassung des Lebens, deren Empfindung und
Denken eröffnen. Dazu kommen gewisse Etiquette-Vorschriften, Schilderungen
von Gebräuchen, sowie Mittheilungen über die Ehe, die Kindererziehung, das
Begraben der Todten und Aehnliches. Endlich hat der Herausgeber diesen
der japanischen Literatur entnommenen Historien und Beschreibungen noch
Einleitungen und Erklärungen hinzugefügt, die auf eigner Beobachtung und
Erfahrung ruhen.

Die erste Erzählung, „die siebenundvierzig Ronins" betitelt und auf ein
wirkliches Vorkommniß im 18. Jahrhundert gegründet, kennzeichnet in sehr
charakterischer Weise, was man in Japan von einem getreuen Vasallen er-



') Der volle Titel lautet: „Geschichte» aus Alt-Japan. Von A. B. Mitfort, zweitem
Secretär bei der britischen Gesandtschaft in Japan. Aus dem Englischen übersehe von I. G-
Kohl. Mit Illustrationen gezeichnet und in Holz geschnitten von japanischen Künstlern. Zwei
Bände. Leipzig, Verlag von Fr. Wilhelm Grnnow 1875." Die zahlreichen Illustrationen,
Holzschnitte, sind äußerst charakteristisch, wenn auch eher alles Andere, als Kunstwerke nach
unserm Begriff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/390>, abgerufen am 18.05.2024.