Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.schen Regierung und Bevölkerung. Letztere ist zwar von Natur nichts weniger Wäre die materielle Noth nicht so groß gewesen, so hätte man sich doch schen Regierung und Bevölkerung. Letztere ist zwar von Natur nichts weniger Wäre die materielle Noth nicht so groß gewesen, so hätte man sich doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135332"/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> schen Regierung und Bevölkerung. Letztere ist zwar von Natur nichts weniger<lb/> als neuerungsichtig, streitlustig oder radikal gesinnt, vielmehr geHort sie zu<lb/> einem Volksstamme, den man nach seiner ganzen Naturanlage als behäbig<lb/> und dem Conservieren zugeneigt bezeichnen muß. Was diese braven, ruhigen<lb/> Leute, denen Opposition gegen ihre Regierung ein Gräuel ist, seit 8 Jahren<lb/> in so großem Unbehagen verhält, ist die starke Benachtheiligung. welche das<lb/> Land durch ein Gesetz vom 5. Febr. 1868 erfahren hat. Dieses Gesetz betraf<lb/> die Trennung des Staatshaushaltes vom Domanium. In anderen Staaten<lb/> hat sich eine solche Trennung schon viel früher und als Theil anderweiter<lb/> zeitgemäßer Reformen vollzogen, in Lippe dagegen ist die Indolenz der Be¬<lb/> völkerung rasch, bevor deren Ende etwa eintreten würde, benutzt um alle<lb/> Forsten und Domänen, 5 Mill. Thlr. an Werth, dem Fürsten als Familien-<lb/> fideicommiß zu sichern und noch dazu die Pflicht, aus dem Domanium zu den<lb/> Kosten der Landesverwaltung beizutragen, in Wegfall zu bringen. Gar zu<lb/> behäbig, langsam und gleichgültig hatte sich die Bevölkerung erwiesen, als<lb/> sie aus einmal sich vor die unangenehm überraschende Thatsache gestellt sah,<lb/> daß ihre Vertreter im Landtage jenem unseligen finanziellen Abkommen zuge¬<lb/> stimmt hatten. In späteren Jahren, namentlich seit nach Gründung des<lb/> Reichs die Lasten in den kleinen Staaten sich verhältnißmäßig bedeutend ge¬<lb/> steigert hatten, begegnen wir noch in einigen anderen unserer Duodezstaaten<lb/> dem fürstlichen Verlangen, sich und ihrer Familie auf gesetzlichem Wege, mit<lb/> Rücksicht auf die immer unberechenbarer erscheinende Zukunft, sehr erhebliche<lb/> finanzielle Vortheile zu verschaffen, zugleich aber zeigt sich hier die Volksver¬<lb/> tretung als gewitzigt und sucht ihrerseits zu retten was zu retten ist. Fürst<lb/> Leopold zur Lippe hatte es verstanden, zeitiger und erfolgreicher zu operiren.<lb/> Was nützen aber alle formellen, selbst die bündigsten Abmachungen, wenn sie<lb/> auf innerlich unhaltbarer Grundlage beruhen? Der lippesche Bürger und<lb/> Bauer kann nun einmal das Gleichgewicht in seinem Etat nicht wieder her¬<lb/> stellen. In dieser Noth erinnerte man sich, daß ja im Jahre 1853 die Ver¬<lb/> fassung von 1836, welche 1848 ordnungsmäßig beseitigt war, widerrechtlich wie¬<lb/> derhergestellt war. Gelänge es, jenen Rechtsboden wieder zu erlangen, so müßte<lb/> logischer Weise auch das famose Gesetz von 1868 dahin fallen. Dies ist in<lb/> Wahrheit der Ursprung des lippeschen Verfassungsstreits.</p><lb/> <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> Wäre die materielle Noth nicht so groß gewesen, so hätte man sich doch<lb/> nicht so leicht entschlossen, auf einen Standpunkt zurückzugreifen, der ohne<lb/> alle Frage während langer Jahre vom Lande nicht gewahrt, ja sogar auf¬<lb/> gegeben war. In den ersten Jahren nach dem Staatsstreiche des berüchtigten<lb/> Hannibal Fischer hatte man sich das Unvermeidliche gefallen lassen müssen<lb/> und auch während der ganzen Reactionszeit war das Land nicht in der Lage,<lb/> sich gegen das Ausgedrungene aufzulehnen; allein man saß ganz still auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
schen Regierung und Bevölkerung. Letztere ist zwar von Natur nichts weniger
als neuerungsichtig, streitlustig oder radikal gesinnt, vielmehr geHort sie zu
einem Volksstamme, den man nach seiner ganzen Naturanlage als behäbig
und dem Conservieren zugeneigt bezeichnen muß. Was diese braven, ruhigen
Leute, denen Opposition gegen ihre Regierung ein Gräuel ist, seit 8 Jahren
in so großem Unbehagen verhält, ist die starke Benachtheiligung. welche das
Land durch ein Gesetz vom 5. Febr. 1868 erfahren hat. Dieses Gesetz betraf
die Trennung des Staatshaushaltes vom Domanium. In anderen Staaten
hat sich eine solche Trennung schon viel früher und als Theil anderweiter
zeitgemäßer Reformen vollzogen, in Lippe dagegen ist die Indolenz der Be¬
völkerung rasch, bevor deren Ende etwa eintreten würde, benutzt um alle
Forsten und Domänen, 5 Mill. Thlr. an Werth, dem Fürsten als Familien-
fideicommiß zu sichern und noch dazu die Pflicht, aus dem Domanium zu den
Kosten der Landesverwaltung beizutragen, in Wegfall zu bringen. Gar zu
behäbig, langsam und gleichgültig hatte sich die Bevölkerung erwiesen, als
sie aus einmal sich vor die unangenehm überraschende Thatsache gestellt sah,
daß ihre Vertreter im Landtage jenem unseligen finanziellen Abkommen zuge¬
stimmt hatten. In späteren Jahren, namentlich seit nach Gründung des
Reichs die Lasten in den kleinen Staaten sich verhältnißmäßig bedeutend ge¬
steigert hatten, begegnen wir noch in einigen anderen unserer Duodezstaaten
dem fürstlichen Verlangen, sich und ihrer Familie auf gesetzlichem Wege, mit
Rücksicht auf die immer unberechenbarer erscheinende Zukunft, sehr erhebliche
finanzielle Vortheile zu verschaffen, zugleich aber zeigt sich hier die Volksver¬
tretung als gewitzigt und sucht ihrerseits zu retten was zu retten ist. Fürst
Leopold zur Lippe hatte es verstanden, zeitiger und erfolgreicher zu operiren.
Was nützen aber alle formellen, selbst die bündigsten Abmachungen, wenn sie
auf innerlich unhaltbarer Grundlage beruhen? Der lippesche Bürger und
Bauer kann nun einmal das Gleichgewicht in seinem Etat nicht wieder her¬
stellen. In dieser Noth erinnerte man sich, daß ja im Jahre 1853 die Ver¬
fassung von 1836, welche 1848 ordnungsmäßig beseitigt war, widerrechtlich wie¬
derhergestellt war. Gelänge es, jenen Rechtsboden wieder zu erlangen, so müßte
logischer Weise auch das famose Gesetz von 1868 dahin fallen. Dies ist in
Wahrheit der Ursprung des lippeschen Verfassungsstreits.
Wäre die materielle Noth nicht so groß gewesen, so hätte man sich doch
nicht so leicht entschlossen, auf einen Standpunkt zurückzugreifen, der ohne
alle Frage während langer Jahre vom Lande nicht gewahrt, ja sogar auf¬
gegeben war. In den ersten Jahren nach dem Staatsstreiche des berüchtigten
Hannibal Fischer hatte man sich das Unvermeidliche gefallen lassen müssen
und auch während der ganzen Reactionszeit war das Land nicht in der Lage,
sich gegen das Ausgedrungene aufzulehnen; allein man saß ganz still auch
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