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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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kündigung veranlaßte wiederum den Fürsten Bismarck zu verschiedenen Be¬
merkungen seinerseits. Er erklärte, nicht sicher zu sein, der zweitmaligen dritten
Lesung in drei Wochen beiwohnen zu können. Er erläuterte die Verbreitung
des Socialismus in Lauenburg durch den bisherigen Stand der dortigen
agrarischen Gesetzgebung, wunderte sich jedoch, daß der Abgeordnete Virchow
bezüglich der Vorlage sich zum Wortführer der socialistischen Elemente gemacht.
Wäre es nach dem Abgeordneten Virchow gegangen, so herrschte heut in
Deutschland der Bundestag und in Lauenburg der Herzog von Augustenburg.
Der Fürst Bismarck hatte geglaubt, Herr Virchow werde über die Vergangen¬
heit mit vornehmer Vergeßlichkeit hinweggehen, dagegen beschwört derselbe die
Vergangenheit herauf, indem er den Anschluß Lauenburgs heute wie vor
zehn Jahren erschwert. Wenn der Fürst heute für einen engeren Anschluß
als den damaligen eintritt, so geschieht es nicht aus persönlichem Interesse,
da er geglaubt hat, das Ministerium für Lauenburg sich als Altentheil reser-
viren zu können. Auch der Herzog von Lauenburg hat durchaus kein Interesse,
das Herzogthum und den preußischen Staat loszuwerden, wenn von der Ver¬
tretung des letzteren Schwierigkeiten erhoben werden. Der Fürst begreift nicht,
warum die Darbietung des Herzogthums als Danaergeschenk angesehen
wird. Die Gefahr, daß mit diesem trojanischen Pferd fünf ritterschastliche
Mitglieder in einen Provinziallandtag eingeschmuggelt werden könnten, sei
keine beängstigende.

Herr Virchow erwiderte, das Abgeordnetenhaus habe, indem es 1863 für
den Herzog von Augustenburg eintrat, sich ein ehrendes Denkmal gesetzt, wie
auch durch das Antreiben der preußischen Negierung gegen Oestreich. Herr
Virchow vergaß nur den Ausspruch des Abgeordnetenhauses von 1866: Diesem
Ministerium keinen Groschen. Gleichwohl nahm Fürst Bismarck Anlaß zu
der Erklärung, daß er die Opposition der Abgeordneten von 1862 --1866
verstehen und würdigen könne. Er bedaure nur, daß alle seitdem seinerseits
gezeigte Versöhnlichkeit ihm die persönliche Gegnerschaft von früher nicht be¬
seitigt habe. Er machte noch aufmerksam, daß durch die Theilung des Doma-
niums das Herzogthum Lauenburg den Betrag von 200,000 Thaler, den es
an den früheren Herzog, König von Dänemark entrichtete, sich vermindern
gesehen hat auf den Betrag von 34,000 Thaler, wenn man den Ertrag des
abgetretenen Domaniums so hoch veranschlagt. Der Fürst erwähnte dies
mit Bezug auf die Insinuation, als sei durch die ihm gewährte Dotation
Lauenburg eine ausgequetschte Citrone geworden.

Am 7. April finden wir den Redner aller Sitzungstage, den Abgeord¬
neten Virchow, auf einem ersprießlichen Wege als Gegner des Partikularis¬
mus, diesmal des Partikularismus der preußischen Ministerien, welche ohne
Rücksicht auf die Gesammtheit der Staatsbedürfnisse an Grundstücken für


kündigung veranlaßte wiederum den Fürsten Bismarck zu verschiedenen Be¬
merkungen seinerseits. Er erklärte, nicht sicher zu sein, der zweitmaligen dritten
Lesung in drei Wochen beiwohnen zu können. Er erläuterte die Verbreitung
des Socialismus in Lauenburg durch den bisherigen Stand der dortigen
agrarischen Gesetzgebung, wunderte sich jedoch, daß der Abgeordnete Virchow
bezüglich der Vorlage sich zum Wortführer der socialistischen Elemente gemacht.
Wäre es nach dem Abgeordneten Virchow gegangen, so herrschte heut in
Deutschland der Bundestag und in Lauenburg der Herzog von Augustenburg.
Der Fürst Bismarck hatte geglaubt, Herr Virchow werde über die Vergangen¬
heit mit vornehmer Vergeßlichkeit hinweggehen, dagegen beschwört derselbe die
Vergangenheit herauf, indem er den Anschluß Lauenburgs heute wie vor
zehn Jahren erschwert. Wenn der Fürst heute für einen engeren Anschluß
als den damaligen eintritt, so geschieht es nicht aus persönlichem Interesse,
da er geglaubt hat, das Ministerium für Lauenburg sich als Altentheil reser-
viren zu können. Auch der Herzog von Lauenburg hat durchaus kein Interesse,
das Herzogthum und den preußischen Staat loszuwerden, wenn von der Ver¬
tretung des letzteren Schwierigkeiten erhoben werden. Der Fürst begreift nicht,
warum die Darbietung des Herzogthums als Danaergeschenk angesehen
wird. Die Gefahr, daß mit diesem trojanischen Pferd fünf ritterschastliche
Mitglieder in einen Provinziallandtag eingeschmuggelt werden könnten, sei
keine beängstigende.

Herr Virchow erwiderte, das Abgeordnetenhaus habe, indem es 1863 für
den Herzog von Augustenburg eintrat, sich ein ehrendes Denkmal gesetzt, wie
auch durch das Antreiben der preußischen Negierung gegen Oestreich. Herr
Virchow vergaß nur den Ausspruch des Abgeordnetenhauses von 1866: Diesem
Ministerium keinen Groschen. Gleichwohl nahm Fürst Bismarck Anlaß zu
der Erklärung, daß er die Opposition der Abgeordneten von 1862 —1866
verstehen und würdigen könne. Er bedaure nur, daß alle seitdem seinerseits
gezeigte Versöhnlichkeit ihm die persönliche Gegnerschaft von früher nicht be¬
seitigt habe. Er machte noch aufmerksam, daß durch die Theilung des Doma-
niums das Herzogthum Lauenburg den Betrag von 200,000 Thaler, den es
an den früheren Herzog, König von Dänemark entrichtete, sich vermindern
gesehen hat auf den Betrag von 34,000 Thaler, wenn man den Ertrag des
abgetretenen Domaniums so hoch veranschlagt. Der Fürst erwähnte dies
mit Bezug auf die Insinuation, als sei durch die ihm gewährte Dotation
Lauenburg eine ausgequetschte Citrone geworden.

Am 7. April finden wir den Redner aller Sitzungstage, den Abgeord¬
neten Virchow, auf einem ersprießlichen Wege als Gegner des Partikularis¬
mus, diesmal des Partikularismus der preußischen Ministerien, welche ohne
Rücksicht auf die Gesammtheit der Staatsbedürfnisse an Grundstücken für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/122>, abgerufen am 19.05.2024.