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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Ich habe gleichwohl das frappanteste Beispiel der Ähnlichkeit für den
Schluß aufgespart. Lucian hat es uns in seinem "Lügenfreund" (C. 18 fg.),
wo überhaupt viel von Geister- und Gespensterspuk die Rede ist, überliefert.
Dort verläßt die Bildsäule mit Einbruch der Nacht das Fußgestell, wandelt
umher und erscheint allen, die um den Weg sind. Auch rächt sie sich ge¬
legentlich an denen, welche sich die ihr bestimmten Angebinde und Weih¬
geschenke aneignen, durch Zusenden tragikomischer Krankheiten, heilt aber
auch denen, die Treu und Redlichkeit üben, das böse Fieber. Eine andere,
die des Arztes Hippokrates, aus Erz, poltert jedesmal, wenn der Lampendocht
ausgeht, im ganzen Hause umher, wirft die Büchsen um -- (der Erzählende
ist ein Arzt) -- schüttet die Arzneien untereinander, wirft die Thüre auf und
zu -- kurz, sie geberdet sich wie sonst ein Kobold, und besonders dann, wenn
ihr das gewöhnliche jährliche Opfer nicht zur richtigen Zeit dargebracht wird.
Lucian hat diese Züge so wenig wie die anderen in jener Abhandlung erfun¬
den, er persistirt sie, also fand er sie vor, und sie bildeten bei einer Klasse
von Menschen einen Glaubensartikel. Die allerfrappanteste Ähnlichkeit jedoch
mit der Don Juan-Sage, findet sich in einer aus dem Alterthum stammenden
Notiz, die ich leider nur noch aus dem Gedächtniß anführen, nicht aber durch
literarischen Nachweis bestätigen kann. Sie ist in einem griechischen Schrift¬
steller enthalten und besagt kurz und gut: Als einst eine Bildsäule durch die
bewaffnete Hand eines ihr im Leben feindlich gesinnten Mannes insultirt
worden sei, da sei sie vom Piedestal heruntergekommen und habe den Frevler
erschlagen. Hier haben wir also den Frevler und zugleich auch die wunder¬
bare Art der Strafe, und auch hier muß ein Glaube an die Möglichkeit sol¬
chen Vorkommens angenommen werden. Die Tradition setzt sich aber un¬
unterbrochen bis ins späte Mittelalter fort und hier bemächtigt sich ihrer nicht
sowohl der Aberglaube, als die Sage, und in ganz natürlicher Verbindung
mit ihr die Poesie. Auch Homer mag jene Märchen schon im Volksmund
vorgefunden haben. Aber im Mittelalter nimmt, was dort Märchen oder
abergläubischer Spuk war, gemäß der Allgewalt der religiösen Ueberzeugung
eine ernstere Farbe und eine Richtung auf die Religion und das Ueberirdische
an. Das Gespensterhafte, Koboldarttge zerrinnt in Nebel vor den grellen
Lichtern, welche die Schauer des Uebersinnlichen, eines zürnenden und stra¬
fenden Jenseits in den zerknirschten Herzen anstecken. Selbst wir, die Aufge¬
klärten, empfinden alles eher als Spottlust, wenn wir uns in die Don Juan-
Sage versenken. Freilich hat auch Mozart dafür gesorgt, daß wir von jenen
Schauern auch in uns noch etwas verspüren, aber nicht er allein; er wählte
mit genialen Dichterblick nicht einen Stein, um ihm Klänge zu entlocken,
sondern Metall, in welchem jene schon schlummerten, ehe der Meister sie anschlug.


I. Mähly.


Ich habe gleichwohl das frappanteste Beispiel der Ähnlichkeit für den
Schluß aufgespart. Lucian hat es uns in seinem „Lügenfreund" (C. 18 fg.),
wo überhaupt viel von Geister- und Gespensterspuk die Rede ist, überliefert.
Dort verläßt die Bildsäule mit Einbruch der Nacht das Fußgestell, wandelt
umher und erscheint allen, die um den Weg sind. Auch rächt sie sich ge¬
legentlich an denen, welche sich die ihr bestimmten Angebinde und Weih¬
geschenke aneignen, durch Zusenden tragikomischer Krankheiten, heilt aber
auch denen, die Treu und Redlichkeit üben, das böse Fieber. Eine andere,
die des Arztes Hippokrates, aus Erz, poltert jedesmal, wenn der Lampendocht
ausgeht, im ganzen Hause umher, wirft die Büchsen um — (der Erzählende
ist ein Arzt) — schüttet die Arzneien untereinander, wirft die Thüre auf und
zu — kurz, sie geberdet sich wie sonst ein Kobold, und besonders dann, wenn
ihr das gewöhnliche jährliche Opfer nicht zur richtigen Zeit dargebracht wird.
Lucian hat diese Züge so wenig wie die anderen in jener Abhandlung erfun¬
den, er persistirt sie, also fand er sie vor, und sie bildeten bei einer Klasse
von Menschen einen Glaubensartikel. Die allerfrappanteste Ähnlichkeit jedoch
mit der Don Juan-Sage, findet sich in einer aus dem Alterthum stammenden
Notiz, die ich leider nur noch aus dem Gedächtniß anführen, nicht aber durch
literarischen Nachweis bestätigen kann. Sie ist in einem griechischen Schrift¬
steller enthalten und besagt kurz und gut: Als einst eine Bildsäule durch die
bewaffnete Hand eines ihr im Leben feindlich gesinnten Mannes insultirt
worden sei, da sei sie vom Piedestal heruntergekommen und habe den Frevler
erschlagen. Hier haben wir also den Frevler und zugleich auch die wunder¬
bare Art der Strafe, und auch hier muß ein Glaube an die Möglichkeit sol¬
chen Vorkommens angenommen werden. Die Tradition setzt sich aber un¬
unterbrochen bis ins späte Mittelalter fort und hier bemächtigt sich ihrer nicht
sowohl der Aberglaube, als die Sage, und in ganz natürlicher Verbindung
mit ihr die Poesie. Auch Homer mag jene Märchen schon im Volksmund
vorgefunden haben. Aber im Mittelalter nimmt, was dort Märchen oder
abergläubischer Spuk war, gemäß der Allgewalt der religiösen Ueberzeugung
eine ernstere Farbe und eine Richtung auf die Religion und das Ueberirdische
an. Das Gespensterhafte, Koboldarttge zerrinnt in Nebel vor den grellen
Lichtern, welche die Schauer des Uebersinnlichen, eines zürnenden und stra¬
fenden Jenseits in den zerknirschten Herzen anstecken. Selbst wir, die Aufge¬
klärten, empfinden alles eher als Spottlust, wenn wir uns in die Don Juan-
Sage versenken. Freilich hat auch Mozart dafür gesorgt, daß wir von jenen
Schauern auch in uns noch etwas verspüren, aber nicht er allein; er wählte
mit genialen Dichterblick nicht einen Stein, um ihm Klänge zu entlocken,
sondern Metall, in welchem jene schon schlummerten, ehe der Meister sie anschlug.


I. Mähly.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/140>, abgerufen am 19.05.2024.