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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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mir ihr Vorkommen auf gallischem wie auf schottischen Boden. Die Gleich¬
heit der Form fiel mir schon vor mehr als zwanzig Jahren auf, als ich zu-
erst mit den Troubadours und mit Burns bekannt wurde. Ein Zufall kann
die Uebereinstimmung unmöglich sein; und so glaube ich, daß eine zweite bei
dem ältesten Troubadour gleichfalls wiederholt vorkommende Versform auf
keltischen Ursprung zurückzuführen ist.

Es war inzwischen Zeit geworden, an den Aufbruch zu denken. Ich
schied von Freiligrath in der Hoffnung, daß der rüstige, geistig wie körper-
lich frische Mann uns noch eine lange Reihe von Jahren erhalten bliebe. --
Selten ist mir in dem Kreise der Dichter und Schriftsteller ein Mann von
seiner Bedeutung und von so gefeierten Namen begegnet, der so durch und
durch schlicht und natürlich, von jeder Autoreneitelkeit frei sich gegeben hätte.

Der in unserer Unterhaltung zuletzt berührte Punkt war auch der Anlaß
zu dem einzigen Briefe, den ich von Freiligrath empfing. Er überschtckte mir
die Nummer des Athenäums, in welchem der betreffende Aufsatz von ihm
stand, und schrieb dazu:

"Canstadt, 24. October 1876.


Hochverehrtester Herr!

Als Sie mir im Spätsommer des verflossenen Jahres die Ehre Ihres
Besuches zu Theil werden ließen, gedachten wir in flüchtiger Unterhaltung
auch des merkwürdigen Umstandes, daß jene eigenthümliche, von Burns, und
vor ihm von andern schottischen Dichtern, mit besondere Vorliebe angebaute
sechsversige Strophe, auf die provenzalischen Sänger des Mittelalters, na¬
mentlich auf Guillen von Poitiers, zurückgeführt werden muß, -- daß sie,
wenn ich so sagen darf, ein, Gott mag wissen wie und wann, auf schottischen
Haidegrund verwester südfranzösischer Rebenschoß ist. Ich sagte Ihnen bei
der Gelegenheit, daß ich den Gegenstand bereits vor Jahren (im Sommer 1866)
im Londoner Athenaeum erörtert, und erfuhr dagegen von Ihnen,' daß Sie
^- später als ich, aber unabhängig von mir -- die gleiche Entdeckung ge¬
macht und darüber in einem deutschen Fachblatte, (in welchem, ist mir nicht
mehr erinnerlich), berichtet hätten. Es war gleich damals mein Wunsch,
Ihnen, dem bewährten Kenner beider Literaturen, der provenzalischen wie der
schottischen, meinen Ihnen fremdgebliebenen Aufsatz mitzutheilen; die Unord- ^
uung jedoch, in welcher meine Bücher und Papiere auf dem Fußboden meiner
Studierstube umherlagen, ich war eben von Stuttgart hierher gezogen, ließ
Mich derzeit das Blatt nicht finden. Jetzt ist mir endlich wieder ein Exemplar
der betreffenden Nummer (Athenaeum, Ur. 2018, Juni 30, 1866) in die
Hände gefallen, und ich erlaube mir. Ihnen dasselbe hierbei unter besonderm
Streifband mit den freundlichsten Grüßen zu überreichen. Der Rücksendung


mir ihr Vorkommen auf gallischem wie auf schottischen Boden. Die Gleich¬
heit der Form fiel mir schon vor mehr als zwanzig Jahren auf, als ich zu-
erst mit den Troubadours und mit Burns bekannt wurde. Ein Zufall kann
die Uebereinstimmung unmöglich sein; und so glaube ich, daß eine zweite bei
dem ältesten Troubadour gleichfalls wiederholt vorkommende Versform auf
keltischen Ursprung zurückzuführen ist.

Es war inzwischen Zeit geworden, an den Aufbruch zu denken. Ich
schied von Freiligrath in der Hoffnung, daß der rüstige, geistig wie körper-
lich frische Mann uns noch eine lange Reihe von Jahren erhalten bliebe. —
Selten ist mir in dem Kreise der Dichter und Schriftsteller ein Mann von
seiner Bedeutung und von so gefeierten Namen begegnet, der so durch und
durch schlicht und natürlich, von jeder Autoreneitelkeit frei sich gegeben hätte.

Der in unserer Unterhaltung zuletzt berührte Punkt war auch der Anlaß
zu dem einzigen Briefe, den ich von Freiligrath empfing. Er überschtckte mir
die Nummer des Athenäums, in welchem der betreffende Aufsatz von ihm
stand, und schrieb dazu:

„Canstadt, 24. October 1876.


Hochverehrtester Herr!

Als Sie mir im Spätsommer des verflossenen Jahres die Ehre Ihres
Besuches zu Theil werden ließen, gedachten wir in flüchtiger Unterhaltung
auch des merkwürdigen Umstandes, daß jene eigenthümliche, von Burns, und
vor ihm von andern schottischen Dichtern, mit besondere Vorliebe angebaute
sechsversige Strophe, auf die provenzalischen Sänger des Mittelalters, na¬
mentlich auf Guillen von Poitiers, zurückgeführt werden muß, — daß sie,
wenn ich so sagen darf, ein, Gott mag wissen wie und wann, auf schottischen
Haidegrund verwester südfranzösischer Rebenschoß ist. Ich sagte Ihnen bei
der Gelegenheit, daß ich den Gegenstand bereits vor Jahren (im Sommer 1866)
im Londoner Athenaeum erörtert, und erfuhr dagegen von Ihnen,' daß Sie
^- später als ich, aber unabhängig von mir — die gleiche Entdeckung ge¬
macht und darüber in einem deutschen Fachblatte, (in welchem, ist mir nicht
mehr erinnerlich), berichtet hätten. Es war gleich damals mein Wunsch,
Ihnen, dem bewährten Kenner beider Literaturen, der provenzalischen wie der
schottischen, meinen Ihnen fremdgebliebenen Aufsatz mitzutheilen; die Unord- ^
uung jedoch, in welcher meine Bücher und Papiere auf dem Fußboden meiner
Studierstube umherlagen, ich war eben von Stuttgart hierher gezogen, ließ
Mich derzeit das Blatt nicht finden. Jetzt ist mir endlich wieder ein Exemplar
der betreffenden Nummer (Athenaeum, Ur. 2018, Juni 30, 1866) in die
Hände gefallen, und ich erlaube mir. Ihnen dasselbe hierbei unter besonderm
Streifband mit den freundlichsten Grüßen zu überreichen. Der Rücksendung


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[0279] mir ihr Vorkommen auf gallischem wie auf schottischen Boden. Die Gleich¬ heit der Form fiel mir schon vor mehr als zwanzig Jahren auf, als ich zu- erst mit den Troubadours und mit Burns bekannt wurde. Ein Zufall kann die Uebereinstimmung unmöglich sein; und so glaube ich, daß eine zweite bei dem ältesten Troubadour gleichfalls wiederholt vorkommende Versform auf keltischen Ursprung zurückzuführen ist. Es war inzwischen Zeit geworden, an den Aufbruch zu denken. Ich schied von Freiligrath in der Hoffnung, daß der rüstige, geistig wie körper- lich frische Mann uns noch eine lange Reihe von Jahren erhalten bliebe. — Selten ist mir in dem Kreise der Dichter und Schriftsteller ein Mann von seiner Bedeutung und von so gefeierten Namen begegnet, der so durch und durch schlicht und natürlich, von jeder Autoreneitelkeit frei sich gegeben hätte. Der in unserer Unterhaltung zuletzt berührte Punkt war auch der Anlaß zu dem einzigen Briefe, den ich von Freiligrath empfing. Er überschtckte mir die Nummer des Athenäums, in welchem der betreffende Aufsatz von ihm stand, und schrieb dazu: „Canstadt, 24. October 1876. Hochverehrtester Herr! Als Sie mir im Spätsommer des verflossenen Jahres die Ehre Ihres Besuches zu Theil werden ließen, gedachten wir in flüchtiger Unterhaltung auch des merkwürdigen Umstandes, daß jene eigenthümliche, von Burns, und vor ihm von andern schottischen Dichtern, mit besondere Vorliebe angebaute sechsversige Strophe, auf die provenzalischen Sänger des Mittelalters, na¬ mentlich auf Guillen von Poitiers, zurückgeführt werden muß, — daß sie, wenn ich so sagen darf, ein, Gott mag wissen wie und wann, auf schottischen Haidegrund verwester südfranzösischer Rebenschoß ist. Ich sagte Ihnen bei der Gelegenheit, daß ich den Gegenstand bereits vor Jahren (im Sommer 1866) im Londoner Athenaeum erörtert, und erfuhr dagegen von Ihnen,' daß Sie ^- später als ich, aber unabhängig von mir — die gleiche Entdeckung ge¬ macht und darüber in einem deutschen Fachblatte, (in welchem, ist mir nicht mehr erinnerlich), berichtet hätten. Es war gleich damals mein Wunsch, Ihnen, dem bewährten Kenner beider Literaturen, der provenzalischen wie der schottischen, meinen Ihnen fremdgebliebenen Aufsatz mitzutheilen; die Unord- ^ uung jedoch, in welcher meine Bücher und Papiere auf dem Fußboden meiner Studierstube umherlagen, ich war eben von Stuttgart hierher gezogen, ließ Mich derzeit das Blatt nicht finden. Jetzt ist mir endlich wieder ein Exemplar der betreffenden Nummer (Athenaeum, Ur. 2018, Juni 30, 1866) in die Hände gefallen, und ich erlaube mir. Ihnen dasselbe hierbei unter besonderm Streifband mit den freundlichsten Grüßen zu überreichen. Der Rücksendung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/279>, abgerufen am 28.05.2024.