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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Treten wir nunmehr in die (wenn auch nicht unverkürzte) Wiedergabe dieser
Briefe ein, deren erster aus Gotha vom 12. Juni 1799 lautet:

"Ein Theater, das unter Euer Hochwohlgeb. Schutze errichtet wird, be¬
rechtiget alles, was in Deutschland mit dem Schicksale des Schauspiels nur
einige Verbindung hat, zu den größten Hoffnungen. Wie sollten sich dessen
nicht vor andern die dramatischen Dichter und Dichterlinge freuen? Auch
ohne Ihre so schmeichelhafte Aufforderung, würde ich mich glücklich geschätzt
haben, durch meine künftigen Arbeiten etwas zur Beförderung Ihrer rühm¬
lichen Absichten beytragen zu können. Ob ich dem Vertrauen, dessen Sie mich
würdigen, entsprechen werde, steht dahin. Aber wenigstens habe ich den besten
Willen. Die Unausführbarkeit der Mariane *) liegt wohl in gewissen Gegen¬
den nicht allein an der Erscheinung des Geistlichen. Das Sujet selbst
ist Contrebande, und wenn das ist, gestehe ich Euer Hochwohlgeb. auf¬
richtig, daß ich die Möglichkeit einer Abänderung nicht einsehe.

Daß Ihr Theater von hier aus einige nicht gemeine, und meistens sehr
brauchbare Subjekte bekömmt, kann ich Euer Hochwohlgeb. nach dem geringen
Umfange meiner Kenntnisse vom Schauspielwesen versichern. Aber ihr eigent¬
liches Talentenmaaß und Verhältniß unter einander zu bestimmen, ist ein
um so schwereres Geschäfte, je verwirrter die Rollenfächer bey uns Deutschen
sind. Ohnehin werden die Herren und Damen selbst sorgen, daß sich Jedes
im vortheilhaftesten Lichte ankündige. Denn wie ich höre, fängt man jetzt
schon an, über den wichtigen Gegenstand der Debüts zu rathschlagen.

Ob ich aber gleich die Charakteristik der hiesigen Rekruten überhaupt
unterthänig verbitten muß, so wage ich es doch Euer Hochwohlgeb, bey dieser
Gelegenheit den jungen Island zu gnädiger Aufnahme und besondern:
Schutze in voraus zu empfehlen. Zwar darf ich Ihnen nicht verschweigen,
daß ich in Ansehung seiner kein ganz unpartheiischer Zeuge bin. Ich habe
an seiner Bildung von jeher zu viel Theil genommen, als daß sich nicht
Selbstliebe in mein Urtheil mischen sollte. So viel getraue ich mir indessen
vor dem Richterstuhle der Wahrheit selbst zu behaupten, daß ihn die Natur
mehr als einen seiner Kameraden zum Theater berufen hat, daß er die aus-
gebreitetesten Kenntnisse besitzt und, wenn er dem Wege treu bleibt, den er
betreten hat, unfehlbar einer der ersten Schauspieler Deutschlands werden wird."

Unterdessen ging die Angelegenheit ihren Weg; die Engagements der
Gothaischen Künstler verwirklichten sich, und es handelte sich darum, dieselben
glücklich nach Mannheim zu schaffen. Da sie theilweise ungeheuer verschuldet
waren, so hatte dies Schwierigkeiten, und abermals war es der gutmüthige



*) Bürgerliches Trauerspiel in !" Auszügen von Götter; eine Nachbildung der "Melanie"
des de la Harpe.

Treten wir nunmehr in die (wenn auch nicht unverkürzte) Wiedergabe dieser
Briefe ein, deren erster aus Gotha vom 12. Juni 1799 lautet:

„Ein Theater, das unter Euer Hochwohlgeb. Schutze errichtet wird, be¬
rechtiget alles, was in Deutschland mit dem Schicksale des Schauspiels nur
einige Verbindung hat, zu den größten Hoffnungen. Wie sollten sich dessen
nicht vor andern die dramatischen Dichter und Dichterlinge freuen? Auch
ohne Ihre so schmeichelhafte Aufforderung, würde ich mich glücklich geschätzt
haben, durch meine künftigen Arbeiten etwas zur Beförderung Ihrer rühm¬
lichen Absichten beytragen zu können. Ob ich dem Vertrauen, dessen Sie mich
würdigen, entsprechen werde, steht dahin. Aber wenigstens habe ich den besten
Willen. Die Unausführbarkeit der Mariane *) liegt wohl in gewissen Gegen¬
den nicht allein an der Erscheinung des Geistlichen. Das Sujet selbst
ist Contrebande, und wenn das ist, gestehe ich Euer Hochwohlgeb. auf¬
richtig, daß ich die Möglichkeit einer Abänderung nicht einsehe.

Daß Ihr Theater von hier aus einige nicht gemeine, und meistens sehr
brauchbare Subjekte bekömmt, kann ich Euer Hochwohlgeb. nach dem geringen
Umfange meiner Kenntnisse vom Schauspielwesen versichern. Aber ihr eigent¬
liches Talentenmaaß und Verhältniß unter einander zu bestimmen, ist ein
um so schwereres Geschäfte, je verwirrter die Rollenfächer bey uns Deutschen
sind. Ohnehin werden die Herren und Damen selbst sorgen, daß sich Jedes
im vortheilhaftesten Lichte ankündige. Denn wie ich höre, fängt man jetzt
schon an, über den wichtigen Gegenstand der Debüts zu rathschlagen.

Ob ich aber gleich die Charakteristik der hiesigen Rekruten überhaupt
unterthänig verbitten muß, so wage ich es doch Euer Hochwohlgeb, bey dieser
Gelegenheit den jungen Island zu gnädiger Aufnahme und besondern:
Schutze in voraus zu empfehlen. Zwar darf ich Ihnen nicht verschweigen,
daß ich in Ansehung seiner kein ganz unpartheiischer Zeuge bin. Ich habe
an seiner Bildung von jeher zu viel Theil genommen, als daß sich nicht
Selbstliebe in mein Urtheil mischen sollte. So viel getraue ich mir indessen
vor dem Richterstuhle der Wahrheit selbst zu behaupten, daß ihn die Natur
mehr als einen seiner Kameraden zum Theater berufen hat, daß er die aus-
gebreitetesten Kenntnisse besitzt und, wenn er dem Wege treu bleibt, den er
betreten hat, unfehlbar einer der ersten Schauspieler Deutschlands werden wird."

Unterdessen ging die Angelegenheit ihren Weg; die Engagements der
Gothaischen Künstler verwirklichten sich, und es handelte sich darum, dieselben
glücklich nach Mannheim zu schaffen. Da sie theilweise ungeheuer verschuldet
waren, so hatte dies Schwierigkeiten, und abermals war es der gutmüthige



*) Bürgerliches Trauerspiel in !» Auszügen von Götter; eine Nachbildung der „Melanie"
des de la Harpe.
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[0046] Treten wir nunmehr in die (wenn auch nicht unverkürzte) Wiedergabe dieser Briefe ein, deren erster aus Gotha vom 12. Juni 1799 lautet: „Ein Theater, das unter Euer Hochwohlgeb. Schutze errichtet wird, be¬ rechtiget alles, was in Deutschland mit dem Schicksale des Schauspiels nur einige Verbindung hat, zu den größten Hoffnungen. Wie sollten sich dessen nicht vor andern die dramatischen Dichter und Dichterlinge freuen? Auch ohne Ihre so schmeichelhafte Aufforderung, würde ich mich glücklich geschätzt haben, durch meine künftigen Arbeiten etwas zur Beförderung Ihrer rühm¬ lichen Absichten beytragen zu können. Ob ich dem Vertrauen, dessen Sie mich würdigen, entsprechen werde, steht dahin. Aber wenigstens habe ich den besten Willen. Die Unausführbarkeit der Mariane *) liegt wohl in gewissen Gegen¬ den nicht allein an der Erscheinung des Geistlichen. Das Sujet selbst ist Contrebande, und wenn das ist, gestehe ich Euer Hochwohlgeb. auf¬ richtig, daß ich die Möglichkeit einer Abänderung nicht einsehe. Daß Ihr Theater von hier aus einige nicht gemeine, und meistens sehr brauchbare Subjekte bekömmt, kann ich Euer Hochwohlgeb. nach dem geringen Umfange meiner Kenntnisse vom Schauspielwesen versichern. Aber ihr eigent¬ liches Talentenmaaß und Verhältniß unter einander zu bestimmen, ist ein um so schwereres Geschäfte, je verwirrter die Rollenfächer bey uns Deutschen sind. Ohnehin werden die Herren und Damen selbst sorgen, daß sich Jedes im vortheilhaftesten Lichte ankündige. Denn wie ich höre, fängt man jetzt schon an, über den wichtigen Gegenstand der Debüts zu rathschlagen. Ob ich aber gleich die Charakteristik der hiesigen Rekruten überhaupt unterthänig verbitten muß, so wage ich es doch Euer Hochwohlgeb, bey dieser Gelegenheit den jungen Island zu gnädiger Aufnahme und besondern: Schutze in voraus zu empfehlen. Zwar darf ich Ihnen nicht verschweigen, daß ich in Ansehung seiner kein ganz unpartheiischer Zeuge bin. Ich habe an seiner Bildung von jeher zu viel Theil genommen, als daß sich nicht Selbstliebe in mein Urtheil mischen sollte. So viel getraue ich mir indessen vor dem Richterstuhle der Wahrheit selbst zu behaupten, daß ihn die Natur mehr als einen seiner Kameraden zum Theater berufen hat, daß er die aus- gebreitetesten Kenntnisse besitzt und, wenn er dem Wege treu bleibt, den er betreten hat, unfehlbar einer der ersten Schauspieler Deutschlands werden wird." Unterdessen ging die Angelegenheit ihren Weg; die Engagements der Gothaischen Künstler verwirklichten sich, und es handelte sich darum, dieselben glücklich nach Mannheim zu schaffen. Da sie theilweise ungeheuer verschuldet waren, so hatte dies Schwierigkeiten, und abermals war es der gutmüthige *) Bürgerliches Trauerspiel in !» Auszügen von Götter; eine Nachbildung der „Melanie" des de la Harpe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/46>, abgerufen am 28.05.2024.