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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Wer sich an einer Parlamentsrede wahrhaft erfreuen will, der lese in Treve--
lyan's Buche*) die glänzende Vertheidigung des jungen Whig gegen den
Iren-Apostel O'Connell, als dieser der liberalen Partei Englands ungefähr
dieselben unbegründeten Vorwürfe entgegenschleuderte, wie sie heute in Deutsch¬
land von der ultramontanen Partei erhoben werden. Kein Wunder, daß
die Regierung auf ihn hingewiesen wurde und ihn für sich zu gewinnen
suchte. Ein bloßer Mos-man zu werden und für eine einträgliche Stelle
dem Kabinet seine Stimme und seine Meinung zu verkaufen, dazu dachte
Macaulay zu hoch von sich und dem Berufe des Schriftstellers. Erst den
dringenden Bitten seiner auf ihn angewiesenen Angehörigen gelang es, ihn
zur Annahme der durchaus unabhängigen Stelle im Lupröiue Oouveil ot Inäia
zu bewegen. Die finanzielle Seite der neuen Stellung war mehr als glänzend
selbst nach englischen Begriffen; 12000 Pfund Sterling jährlich mußten wohl
hinreichen, um den anspruchslosen Mann in wenigen Jahren zum reichen
Mann zu machen.

Während der Ueberfahrt nach Kalkutta lernt Macaulay portugiesisch,
liest vom Morgen bis zum Abend in der sorgfältigst ausgewählten Bibliothek,
die er an Bord genommen, darunter seine Leiblectüre Voltaire, Gibbon,
Stsmondi, Ariosto, Cervantes, Homer, Horaz und -- Richardson. Nebenbei
treibt er hindostanisch und persisch, um sich auf seinen Beruf in Indien
vorzubereiten, schreibt Aufsätze für das Edinburgh-Review, correspondirt mit
Freunden und Anverwandten, ist der aufmerksamste Gesellschafter seiner ihn
begleitenden Schwester, -- kurz, ruht und rastet nicht. Macaulay's Thätigkeit
in Indien gehört der Spezialgeschichte des Landes an. Interessant dürfte
es sein, zu erfahren, daß der dort noch heutigen Tages gültige Strafgesetz-
eodex zum größten Theile ihm seine Entstehung und Redaction verdankt.
In Indien traf ihn die Nachricht von dem Tode einer in England ver-
heiratheten Schwester, Margaret, und beugte ihn so darnieder, daß er auf
Monate hinaus zu jeder Beschäftigung unfähig war. Von den größten
Geistern ist Macaulay jedenfalls derjenige, der die Kindespflicht, die Ge¬
schwisterliebe zu einem Cultus von seltener Innigkeit für sich machte. der
"die sanften Bande, womit die Mitgebornen fest und fester sich an einander
knüpfen" in seines Herzens tiefstem Grund verankert hatte. -- Macaulay's
Zweite Schwester, Nancy. die Mutter von George Trevelyan, verheirathete
sich in Indien mit einem strebsamen jungen Beamten der Indischen Com¬
pany, und so sah sich Macaulay "ganz verwaist", wie er sich nannte. Der
Brief vom 7. Dezember 1834 an seine Schwester in England, die er noch
am Leben glaubte, über seine nahe bevorstehende Trennung von Nancy ist



") Band ii. S. 4g.
Mrenzboten III. 1876.22

Wer sich an einer Parlamentsrede wahrhaft erfreuen will, der lese in Treve--
lyan's Buche*) die glänzende Vertheidigung des jungen Whig gegen den
Iren-Apostel O'Connell, als dieser der liberalen Partei Englands ungefähr
dieselben unbegründeten Vorwürfe entgegenschleuderte, wie sie heute in Deutsch¬
land von der ultramontanen Partei erhoben werden. Kein Wunder, daß
die Regierung auf ihn hingewiesen wurde und ihn für sich zu gewinnen
suchte. Ein bloßer Mos-man zu werden und für eine einträgliche Stelle
dem Kabinet seine Stimme und seine Meinung zu verkaufen, dazu dachte
Macaulay zu hoch von sich und dem Berufe des Schriftstellers. Erst den
dringenden Bitten seiner auf ihn angewiesenen Angehörigen gelang es, ihn
zur Annahme der durchaus unabhängigen Stelle im Lupröiue Oouveil ot Inäia
zu bewegen. Die finanzielle Seite der neuen Stellung war mehr als glänzend
selbst nach englischen Begriffen; 12000 Pfund Sterling jährlich mußten wohl
hinreichen, um den anspruchslosen Mann in wenigen Jahren zum reichen
Mann zu machen.

Während der Ueberfahrt nach Kalkutta lernt Macaulay portugiesisch,
liest vom Morgen bis zum Abend in der sorgfältigst ausgewählten Bibliothek,
die er an Bord genommen, darunter seine Leiblectüre Voltaire, Gibbon,
Stsmondi, Ariosto, Cervantes, Homer, Horaz und — Richardson. Nebenbei
treibt er hindostanisch und persisch, um sich auf seinen Beruf in Indien
vorzubereiten, schreibt Aufsätze für das Edinburgh-Review, correspondirt mit
Freunden und Anverwandten, ist der aufmerksamste Gesellschafter seiner ihn
begleitenden Schwester, — kurz, ruht und rastet nicht. Macaulay's Thätigkeit
in Indien gehört der Spezialgeschichte des Landes an. Interessant dürfte
es sein, zu erfahren, daß der dort noch heutigen Tages gültige Strafgesetz-
eodex zum größten Theile ihm seine Entstehung und Redaction verdankt.
In Indien traf ihn die Nachricht von dem Tode einer in England ver-
heiratheten Schwester, Margaret, und beugte ihn so darnieder, daß er auf
Monate hinaus zu jeder Beschäftigung unfähig war. Von den größten
Geistern ist Macaulay jedenfalls derjenige, der die Kindespflicht, die Ge¬
schwisterliebe zu einem Cultus von seltener Innigkeit für sich machte. der
„die sanften Bande, womit die Mitgebornen fest und fester sich an einander
knüpfen" in seines Herzens tiefstem Grund verankert hatte. — Macaulay's
Zweite Schwester, Nancy. die Mutter von George Trevelyan, verheirathete
sich in Indien mit einem strebsamen jungen Beamten der Indischen Com¬
pany, und so sah sich Macaulay „ganz verwaist", wie er sich nannte. Der
Brief vom 7. Dezember 1834 an seine Schwester in England, die er noch
am Leben glaubte, über seine nahe bevorstehende Trennung von Nancy ist



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Mrenzboten III. 1876.22
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[0177] Wer sich an einer Parlamentsrede wahrhaft erfreuen will, der lese in Treve-- lyan's Buche*) die glänzende Vertheidigung des jungen Whig gegen den Iren-Apostel O'Connell, als dieser der liberalen Partei Englands ungefähr dieselben unbegründeten Vorwürfe entgegenschleuderte, wie sie heute in Deutsch¬ land von der ultramontanen Partei erhoben werden. Kein Wunder, daß die Regierung auf ihn hingewiesen wurde und ihn für sich zu gewinnen suchte. Ein bloßer Mos-man zu werden und für eine einträgliche Stelle dem Kabinet seine Stimme und seine Meinung zu verkaufen, dazu dachte Macaulay zu hoch von sich und dem Berufe des Schriftstellers. Erst den dringenden Bitten seiner auf ihn angewiesenen Angehörigen gelang es, ihn zur Annahme der durchaus unabhängigen Stelle im Lupröiue Oouveil ot Inäia zu bewegen. Die finanzielle Seite der neuen Stellung war mehr als glänzend selbst nach englischen Begriffen; 12000 Pfund Sterling jährlich mußten wohl hinreichen, um den anspruchslosen Mann in wenigen Jahren zum reichen Mann zu machen. Während der Ueberfahrt nach Kalkutta lernt Macaulay portugiesisch, liest vom Morgen bis zum Abend in der sorgfältigst ausgewählten Bibliothek, die er an Bord genommen, darunter seine Leiblectüre Voltaire, Gibbon, Stsmondi, Ariosto, Cervantes, Homer, Horaz und — Richardson. Nebenbei treibt er hindostanisch und persisch, um sich auf seinen Beruf in Indien vorzubereiten, schreibt Aufsätze für das Edinburgh-Review, correspondirt mit Freunden und Anverwandten, ist der aufmerksamste Gesellschafter seiner ihn begleitenden Schwester, — kurz, ruht und rastet nicht. Macaulay's Thätigkeit in Indien gehört der Spezialgeschichte des Landes an. Interessant dürfte es sein, zu erfahren, daß der dort noch heutigen Tages gültige Strafgesetz- eodex zum größten Theile ihm seine Entstehung und Redaction verdankt. In Indien traf ihn die Nachricht von dem Tode einer in England ver- heiratheten Schwester, Margaret, und beugte ihn so darnieder, daß er auf Monate hinaus zu jeder Beschäftigung unfähig war. Von den größten Geistern ist Macaulay jedenfalls derjenige, der die Kindespflicht, die Ge¬ schwisterliebe zu einem Cultus von seltener Innigkeit für sich machte. der „die sanften Bande, womit die Mitgebornen fest und fester sich an einander knüpfen" in seines Herzens tiefstem Grund verankert hatte. — Macaulay's Zweite Schwester, Nancy. die Mutter von George Trevelyan, verheirathete sich in Indien mit einem strebsamen jungen Beamten der Indischen Com¬ pany, und so sah sich Macaulay „ganz verwaist", wie er sich nannte. Der Brief vom 7. Dezember 1834 an seine Schwester in England, die er noch am Leben glaubte, über seine nahe bevorstehende Trennung von Nancy ist ") Band ii. S. 4g. Mrenzboten III. 1876.22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/177>, abgerufen am 19.05.2024.