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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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uns wie wohlthuende Ruhe an, aber vielleicht war sie Stagnation. Was sie
aber auch war, sie war eine Zeit, wo die Gemüther von dem harten Tage¬
werk ihres Lebens in dieser Welt sehnsüchtig und inbrünstig nach dem Sabbath
der jenseitigen Welt mit seiner seligen Ruhe, wo sie von der Wildniß, den.
Winter, den Entbehrungen Neuenglands nach der Herrlichkeit, dem Frühling,
der Fülle des neuen Jerusalems aufblickten. Wie man dorthin gelangen
könne, war ihre Sorge, ihre Wißbegier, zu diesem Zwecke geschah es, wenn
Mann und Frau sich trennten, wenn der Liebende die Geliebte aufgab, die
Sehnsucht nach dem Himmel war es, welche die Shakerdörfer baute und füllte,
und diese Sehnsucht giebt es eben jetzt nur noch selten. Die große Mehr¬
zahl sieht mit ihrer Strebsamkeit nicht über die Erde hinaus.

Die eigenthümliche Tracht der Shaker erinnert lebhaft an diese jetzt
so seltsam vorkommenden, kaum verständlichen Zeiten, welche die Secte ent¬
stehen sahen. Sie ist kein willkürlich erfundenes und aus irgendwelchem
Grunde angenommenes Costüm, wie etwa das der Samt Simonisten, sondern
es ist die Kleidung des amerikanischen Bauers vor hundert Jahren, und wenn
man das weiß, erscheint einem das Shakerthum nur noch reliquienartiger,
antediluvianischer und fossiler. So hat diese Tracht, zu der im Winter ein
weißer Mantel gehört, einen gewissen eigenthümlichen Reiz, gleichviel, ob sie
von Alt oder Jung getragen wird. Aber auch sonst stehen den älteren
Frauen die Nüchternheit und Bescheidenheit der Farben, in die sie sich kleiden,
die reine steifgestärkte Haube und das über der Brust gekreuzte weiße Tuch
recht gut, und die jungen Mädchen haben in ihren einfachen weißen Sonn¬
tagskleidern eine Tracht, die an jungfräuliche Unbeflecktheit erinnert -- am
Ende doch der beste Schmuck von allen. Die Farben, die ich in der Kirche
sah, waren bei den Mädchen meistentheils weiß, bei den älteren Frauen
bronzebraun, bleigrau oder sandfarben, und die Männer tragen sich ebenso.
Beide Geschlechter haben Hemdkragen, die den ganzen Hals bedecken, aber
keine Halstücher. Einige Brüder erlaubten sich, am untern Ende ihrer Bein¬
kleider die bunten Enden der Saalleiste zu tragen.

Die Shaker pflegten früher allenthalben die Stoffe, die sie trugen, selbst
in spinnen, zu weben und zu färben, da dies aber heutzutage Zeitverschwe¬
dung sein würde, so ist diese Sitte in den meisten Niederlassungen aufgegeben
worden. Man kauft das Alpaca und die Leinwand, aus denen man sich
s^n Sommerzeug macht, und ebenso das dicke Tuch, das man im Winter
t^ge, im Laden der nächsten Stadt. Doch existiren noch Reste ihres früheren
Geschickes und Geschmackes in den hübschen Bettdecken der Office, welche in
^r Familie gesponnen, gefärbt und gewebt worden sind, und die Schwestern
verstehen sich noch auf das Flechten von Hüten aus Palmenblättern und
"uf das altvaterische Häkeln von groben Teppichen. Sonst darf sich der


Grenjboten til. 1876. 25

uns wie wohlthuende Ruhe an, aber vielleicht war sie Stagnation. Was sie
aber auch war, sie war eine Zeit, wo die Gemüther von dem harten Tage¬
werk ihres Lebens in dieser Welt sehnsüchtig und inbrünstig nach dem Sabbath
der jenseitigen Welt mit seiner seligen Ruhe, wo sie von der Wildniß, den.
Winter, den Entbehrungen Neuenglands nach der Herrlichkeit, dem Frühling,
der Fülle des neuen Jerusalems aufblickten. Wie man dorthin gelangen
könne, war ihre Sorge, ihre Wißbegier, zu diesem Zwecke geschah es, wenn
Mann und Frau sich trennten, wenn der Liebende die Geliebte aufgab, die
Sehnsucht nach dem Himmel war es, welche die Shakerdörfer baute und füllte,
und diese Sehnsucht giebt es eben jetzt nur noch selten. Die große Mehr¬
zahl sieht mit ihrer Strebsamkeit nicht über die Erde hinaus.

Die eigenthümliche Tracht der Shaker erinnert lebhaft an diese jetzt
so seltsam vorkommenden, kaum verständlichen Zeiten, welche die Secte ent¬
stehen sahen. Sie ist kein willkürlich erfundenes und aus irgendwelchem
Grunde angenommenes Costüm, wie etwa das der Samt Simonisten, sondern
es ist die Kleidung des amerikanischen Bauers vor hundert Jahren, und wenn
man das weiß, erscheint einem das Shakerthum nur noch reliquienartiger,
antediluvianischer und fossiler. So hat diese Tracht, zu der im Winter ein
weißer Mantel gehört, einen gewissen eigenthümlichen Reiz, gleichviel, ob sie
von Alt oder Jung getragen wird. Aber auch sonst stehen den älteren
Frauen die Nüchternheit und Bescheidenheit der Farben, in die sie sich kleiden,
die reine steifgestärkte Haube und das über der Brust gekreuzte weiße Tuch
recht gut, und die jungen Mädchen haben in ihren einfachen weißen Sonn¬
tagskleidern eine Tracht, die an jungfräuliche Unbeflecktheit erinnert — am
Ende doch der beste Schmuck von allen. Die Farben, die ich in der Kirche
sah, waren bei den Mädchen meistentheils weiß, bei den älteren Frauen
bronzebraun, bleigrau oder sandfarben, und die Männer tragen sich ebenso.
Beide Geschlechter haben Hemdkragen, die den ganzen Hals bedecken, aber
keine Halstücher. Einige Brüder erlaubten sich, am untern Ende ihrer Bein¬
kleider die bunten Enden der Saalleiste zu tragen.

Die Shaker pflegten früher allenthalben die Stoffe, die sie trugen, selbst
in spinnen, zu weben und zu färben, da dies aber heutzutage Zeitverschwe¬
dung sein würde, so ist diese Sitte in den meisten Niederlassungen aufgegeben
worden. Man kauft das Alpaca und die Leinwand, aus denen man sich
s^n Sommerzeug macht, und ebenso das dicke Tuch, das man im Winter
t^ge, im Laden der nächsten Stadt. Doch existiren noch Reste ihres früheren
Geschickes und Geschmackes in den hübschen Bettdecken der Office, welche in
^r Familie gesponnen, gefärbt und gewebt worden sind, und die Schwestern
verstehen sich noch auf das Flechten von Hüten aus Palmenblättern und
"uf das altvaterische Häkeln von groben Teppichen. Sonst darf sich der


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[0201] uns wie wohlthuende Ruhe an, aber vielleicht war sie Stagnation. Was sie aber auch war, sie war eine Zeit, wo die Gemüther von dem harten Tage¬ werk ihres Lebens in dieser Welt sehnsüchtig und inbrünstig nach dem Sabbath der jenseitigen Welt mit seiner seligen Ruhe, wo sie von der Wildniß, den. Winter, den Entbehrungen Neuenglands nach der Herrlichkeit, dem Frühling, der Fülle des neuen Jerusalems aufblickten. Wie man dorthin gelangen könne, war ihre Sorge, ihre Wißbegier, zu diesem Zwecke geschah es, wenn Mann und Frau sich trennten, wenn der Liebende die Geliebte aufgab, die Sehnsucht nach dem Himmel war es, welche die Shakerdörfer baute und füllte, und diese Sehnsucht giebt es eben jetzt nur noch selten. Die große Mehr¬ zahl sieht mit ihrer Strebsamkeit nicht über die Erde hinaus. Die eigenthümliche Tracht der Shaker erinnert lebhaft an diese jetzt so seltsam vorkommenden, kaum verständlichen Zeiten, welche die Secte ent¬ stehen sahen. Sie ist kein willkürlich erfundenes und aus irgendwelchem Grunde angenommenes Costüm, wie etwa das der Samt Simonisten, sondern es ist die Kleidung des amerikanischen Bauers vor hundert Jahren, und wenn man das weiß, erscheint einem das Shakerthum nur noch reliquienartiger, antediluvianischer und fossiler. So hat diese Tracht, zu der im Winter ein weißer Mantel gehört, einen gewissen eigenthümlichen Reiz, gleichviel, ob sie von Alt oder Jung getragen wird. Aber auch sonst stehen den älteren Frauen die Nüchternheit und Bescheidenheit der Farben, in die sie sich kleiden, die reine steifgestärkte Haube und das über der Brust gekreuzte weiße Tuch recht gut, und die jungen Mädchen haben in ihren einfachen weißen Sonn¬ tagskleidern eine Tracht, die an jungfräuliche Unbeflecktheit erinnert — am Ende doch der beste Schmuck von allen. Die Farben, die ich in der Kirche sah, waren bei den Mädchen meistentheils weiß, bei den älteren Frauen bronzebraun, bleigrau oder sandfarben, und die Männer tragen sich ebenso. Beide Geschlechter haben Hemdkragen, die den ganzen Hals bedecken, aber keine Halstücher. Einige Brüder erlaubten sich, am untern Ende ihrer Bein¬ kleider die bunten Enden der Saalleiste zu tragen. Die Shaker pflegten früher allenthalben die Stoffe, die sie trugen, selbst in spinnen, zu weben und zu färben, da dies aber heutzutage Zeitverschwe¬ dung sein würde, so ist diese Sitte in den meisten Niederlassungen aufgegeben worden. Man kauft das Alpaca und die Leinwand, aus denen man sich s^n Sommerzeug macht, und ebenso das dicke Tuch, das man im Winter t^ge, im Laden der nächsten Stadt. Doch existiren noch Reste ihres früheren Geschickes und Geschmackes in den hübschen Bettdecken der Office, welche in ^r Familie gesponnen, gefärbt und gewebt worden sind, und die Schwestern verstehen sich noch auf das Flechten von Hüten aus Palmenblättern und "uf das altvaterische Häkeln von groben Teppichen. Sonst darf sich der Grenjboten til. 1876. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/201>, abgerufen am 09.06.2024.