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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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bösen Sy-rß hinausgehen würde. Mit Grund nimmt er an, daß außer der
Disposition, Spuk zu machen, auch eine Disposition Spuk wahrzunehmen,
bei einzelnen Individuen anzunehmen sei. Wir nehmen an, daß ganz besonders
das Wirken der Imagination in Betracht kommt, und daß innerhalb der
somnambulen Vorgänge unter der allgemeineren Form des Schlafwandelns
auch eine speziellere Form des Schlafhandelns anzunehmen sei. Was aber die
mitwirkende Macht der Sympathie anlangt, so ist es bekannt, daß öfter in
Mädchen-Pensionen die auffallendsten Ansteckungen zu Anstiftungen vor¬
kommen, gemeinsame Krämpfe, gemeinsame. Gesichte und dergleichen. Görres
in seiner Mystik hat die Spukereien immer auf Rechnung von Geistern ge¬
setzt. Damit hat er allerdings seine Wundersagen von ekstatischen heiligen
Weibern, namentlich von engelartig fliegenden Weibern, nach Kräften einge¬
friedigt. Seine Heiligengeschichten liegen aber mit den Spukgeschichten hin¬
sichtlich der psychologischen Grundlage auf einer Linie. Auch ist es in Bezug
auf diese Grundlage ganz gleich, ob etwa ein Mädchen von einem unlauteren
Magnetismus zu einem sensitiven Wunderkinde, von einem Meister im Tisch¬
rücken zu einem sogenannten Medium oder von einem religiösen Fanatiker
zu einer pathologischen Darstellerin der Passionsgeschichte gemacht wird. Durch¬
weg ist das subtilste Nervenleben, die sublimste Art des poetisch visionären
Schaums mit im Spiel. Das Spiel wird aber immer wieder verunreinigt
durch das immer stärkere Mitspielen der Eitelkeit und eines tendenziösen
Bewußtseins. Daher ist es auch sehr erklärlich, daß in der gegenwärtigen
Zeit des Kulturkampfes die Zahl der Msionärinnen, selbst der Stigmatisirten
in bedeutendem Maaße zunimmt. Nicht minder aber ist es naturgemäß, daß
auch die Kritik mit verhältnißmäßigen Beleuchtungen hervortritt. So ist man
denn auch neuerdings wieder auf einen der eklatantesten Fälle, die Geschichte
der Dülmener Nonne Catharina Emmerich zurückgekommen. Der west¬
fälische Landrath C. von Bönnighausen hat in seiner Schrift. "Geschichten
und vorläufige Resultate der Untersuchung über die Erscheinungen der ehe¬
maligen Nonne A. C. Emmerich zu Dülmen. Hamm 1819". gestützt auf die
Ermittelungen einer großen Untersuchungskommission, erklärt: daß die Nonne
eine Betrügerin sei, sei auf unzweideutige Thatsachen gegründet. Es sei aber
gewiß, sagt der weitere Bericht in der westfälischen Provinzialzeitung
(August 1874), daß die Jungfrau Emmerich wenigstens nicht ohne Mit¬
helfer gewesen.

Die Nutzanwendung auf unsere Zeiterscheinungen liegt nahe. Doch wird
die moderne Philosophie des Unbewußten hier einigermaßen am Platz sein.
Uebrigens bemerken wir. daß hier nur von dem spezifischen Spuk die Rede
sein soll ohne weitere Consequenzen, nicht einmal gegen die Möglichkeit von
Geistererscheinungen. Zudem ist hervorzuheben, daß eine gewisse Abschattung


Grenzboten 1876. 4

bösen Sy-rß hinausgehen würde. Mit Grund nimmt er an, daß außer der
Disposition, Spuk zu machen, auch eine Disposition Spuk wahrzunehmen,
bei einzelnen Individuen anzunehmen sei. Wir nehmen an, daß ganz besonders
das Wirken der Imagination in Betracht kommt, und daß innerhalb der
somnambulen Vorgänge unter der allgemeineren Form des Schlafwandelns
auch eine speziellere Form des Schlafhandelns anzunehmen sei. Was aber die
mitwirkende Macht der Sympathie anlangt, so ist es bekannt, daß öfter in
Mädchen-Pensionen die auffallendsten Ansteckungen zu Anstiftungen vor¬
kommen, gemeinsame Krämpfe, gemeinsame. Gesichte und dergleichen. Görres
in seiner Mystik hat die Spukereien immer auf Rechnung von Geistern ge¬
setzt. Damit hat er allerdings seine Wundersagen von ekstatischen heiligen
Weibern, namentlich von engelartig fliegenden Weibern, nach Kräften einge¬
friedigt. Seine Heiligengeschichten liegen aber mit den Spukgeschichten hin¬
sichtlich der psychologischen Grundlage auf einer Linie. Auch ist es in Bezug
auf diese Grundlage ganz gleich, ob etwa ein Mädchen von einem unlauteren
Magnetismus zu einem sensitiven Wunderkinde, von einem Meister im Tisch¬
rücken zu einem sogenannten Medium oder von einem religiösen Fanatiker
zu einer pathologischen Darstellerin der Passionsgeschichte gemacht wird. Durch¬
weg ist das subtilste Nervenleben, die sublimste Art des poetisch visionären
Schaums mit im Spiel. Das Spiel wird aber immer wieder verunreinigt
durch das immer stärkere Mitspielen der Eitelkeit und eines tendenziösen
Bewußtseins. Daher ist es auch sehr erklärlich, daß in der gegenwärtigen
Zeit des Kulturkampfes die Zahl der Msionärinnen, selbst der Stigmatisirten
in bedeutendem Maaße zunimmt. Nicht minder aber ist es naturgemäß, daß
auch die Kritik mit verhältnißmäßigen Beleuchtungen hervortritt. So ist man
denn auch neuerdings wieder auf einen der eklatantesten Fälle, die Geschichte
der Dülmener Nonne Catharina Emmerich zurückgekommen. Der west¬
fälische Landrath C. von Bönnighausen hat in seiner Schrift. „Geschichten
und vorläufige Resultate der Untersuchung über die Erscheinungen der ehe¬
maligen Nonne A. C. Emmerich zu Dülmen. Hamm 1819". gestützt auf die
Ermittelungen einer großen Untersuchungskommission, erklärt: daß die Nonne
eine Betrügerin sei, sei auf unzweideutige Thatsachen gegründet. Es sei aber
gewiß, sagt der weitere Bericht in der westfälischen Provinzialzeitung
(August 1874), daß die Jungfrau Emmerich wenigstens nicht ohne Mit¬
helfer gewesen.

Die Nutzanwendung auf unsere Zeiterscheinungen liegt nahe. Doch wird
die moderne Philosophie des Unbewußten hier einigermaßen am Platz sein.
Uebrigens bemerken wir. daß hier nur von dem spezifischen Spuk die Rede
sein soll ohne weitere Consequenzen, nicht einmal gegen die Möglichkeit von
Geistererscheinungen. Zudem ist hervorzuheben, daß eine gewisse Abschattung


Grenzboten 1876. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/33>, abgerufen am 02.05.2024.