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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Augen fallende Absicht war, vielleicht und möglicherweise durch Vernichtung
der fünf liberalen Wahlen der Stadt München die klerikale Majorität der
bekannten Zweizahl einstweilen auf die heilige Sieben zu bringen. Dann
sollte Sulzbach, Regensburg, Würzburg und Pirmasenz-Zweibrücken, lauter
Bezirke, in denen man einen ultramontanen Wahlsteg erhoffte, daran kommen.
Mit außerordentlichem Scharfsinn und minutiöser Berechnung ging das Mit¬
glied der Reichsjustizcommission, der Abg. Hauck, als Referent der betreffenden
Abtheilung an die Prüfung der Münchner und bekam alsbald heraus, daß
das Wahlgesetz vom Magistrat München bei Eintheilung der UrWahlbezirke
mit der ausgesprochenen Tendenz, die ultramontane Partei zu schä¬
digen, auf das Unerhörteste und Flagranteste verletzt worden sei, indem weder
die Norm, nicht Wahlbezirke unter 2000 Seelen zu bilden, noch die, nicht
mehr als 3 Wahlmänner in einem Bezirk zu wählen, innegehalten worden
wäre. Vergebens bestritten die Liberalen diese Auffassung des treffenden Ge¬
setzesparagraphen, umsonst wiesen sie nach, daß nach ihr höchstens nur sieben
Abgeordnete in der Kammer als völlig legitimirt angesehen werden könnten
-- thut nichts, der Jude wird verbrannt; dem von Klerikalen wegen seiner
freisinnigen Maßnahmen überaus verhaßten liberalen Magistrat München
mußte eine Lection gegeben werden; einmal mußte man doch die Zwei¬
stimmenmehrheit mit Eclat ausnützen. So geschah es denn: die Münchner
Wahlen wurden cassirt und Neuwahlen angeordnet. Nach München I oder
links der Jsar kam, der einmal beliebten Reihenfolge nach, München II oder
rechts der Jsar an die Prüfung. Hier war der Stadt ein großer, entschieden
ultramontaner Landbezirk zugeschlagen, also auch an den von diesen ent¬
sendeten Abgeordneten nichts auszusetzen. Aber die Neuwahlkreiseintheilung
war hier ganz dieselbe; war sie diesseits der Jsar ungesetzlich gewesen, so
mußte sie es auch jenseits des Flusses sein -- aber jetzt lag wieder die Sache
ganz anders; was wenige Tage zuvor als höchster Frevel ausgeschrieen worden
war, durfte jetzt nicht die geringste Beanstandung abgeben: in München II
war alles aufs beste und Ordentlichste zugegangen, seine Abgeordneten wurden
legitimirt.

Dafür aber zogen die von München I nach wenigen Wochen wieder in
den Sitzungssaal. Der ultramontane Coup war gänzlich mißlungen. Die
bayrische Residenzstadt zeigte, daß die Zeit vorüber, wo man wähnte, sie als
Domäne des Ultramontanismus betrachten zu dürfen, und gewann in dem
ihr aufgedrungenen neuen Wahlkampfe sogar früher von der klerikalen Partei
behauptete Bezirke, so daß die cassirten Abgeordneten mit größerer Majori¬
tät als das erstemal wieder gewählt erschienen.

Die Parteiorgane der liberalen Presse waren streitig, was bei der Ver¬
nichtung der Münchner Wahlen seitens des Ministeriums oder der liberalen


Augen fallende Absicht war, vielleicht und möglicherweise durch Vernichtung
der fünf liberalen Wahlen der Stadt München die klerikale Majorität der
bekannten Zweizahl einstweilen auf die heilige Sieben zu bringen. Dann
sollte Sulzbach, Regensburg, Würzburg und Pirmasenz-Zweibrücken, lauter
Bezirke, in denen man einen ultramontanen Wahlsteg erhoffte, daran kommen.
Mit außerordentlichem Scharfsinn und minutiöser Berechnung ging das Mit¬
glied der Reichsjustizcommission, der Abg. Hauck, als Referent der betreffenden
Abtheilung an die Prüfung der Münchner und bekam alsbald heraus, daß
das Wahlgesetz vom Magistrat München bei Eintheilung der UrWahlbezirke
mit der ausgesprochenen Tendenz, die ultramontane Partei zu schä¬
digen, auf das Unerhörteste und Flagranteste verletzt worden sei, indem weder
die Norm, nicht Wahlbezirke unter 2000 Seelen zu bilden, noch die, nicht
mehr als 3 Wahlmänner in einem Bezirk zu wählen, innegehalten worden
wäre. Vergebens bestritten die Liberalen diese Auffassung des treffenden Ge¬
setzesparagraphen, umsonst wiesen sie nach, daß nach ihr höchstens nur sieben
Abgeordnete in der Kammer als völlig legitimirt angesehen werden könnten
— thut nichts, der Jude wird verbrannt; dem von Klerikalen wegen seiner
freisinnigen Maßnahmen überaus verhaßten liberalen Magistrat München
mußte eine Lection gegeben werden; einmal mußte man doch die Zwei¬
stimmenmehrheit mit Eclat ausnützen. So geschah es denn: die Münchner
Wahlen wurden cassirt und Neuwahlen angeordnet. Nach München I oder
links der Jsar kam, der einmal beliebten Reihenfolge nach, München II oder
rechts der Jsar an die Prüfung. Hier war der Stadt ein großer, entschieden
ultramontaner Landbezirk zugeschlagen, also auch an den von diesen ent¬
sendeten Abgeordneten nichts auszusetzen. Aber die Neuwahlkreiseintheilung
war hier ganz dieselbe; war sie diesseits der Jsar ungesetzlich gewesen, so
mußte sie es auch jenseits des Flusses sein — aber jetzt lag wieder die Sache
ganz anders; was wenige Tage zuvor als höchster Frevel ausgeschrieen worden
war, durfte jetzt nicht die geringste Beanstandung abgeben: in München II
war alles aufs beste und Ordentlichste zugegangen, seine Abgeordneten wurden
legitimirt.

Dafür aber zogen die von München I nach wenigen Wochen wieder in
den Sitzungssaal. Der ultramontane Coup war gänzlich mißlungen. Die
bayrische Residenzstadt zeigte, daß die Zeit vorüber, wo man wähnte, sie als
Domäne des Ultramontanismus betrachten zu dürfen, und gewann in dem
ihr aufgedrungenen neuen Wahlkampfe sogar früher von der klerikalen Partei
behauptete Bezirke, so daß die cassirten Abgeordneten mit größerer Majori¬
tät als das erstemal wieder gewählt erschienen.

Die Parteiorgane der liberalen Presse waren streitig, was bei der Ver¬
nichtung der Münchner Wahlen seitens des Ministeriums oder der liberalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/37>, abgerufen am 29.04.2024.