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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der Art. IV der deutschen Grundrechte handelte von der Preßfreiheit,
welche fernerhin in keinerlei Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich
Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen
der Druckereien oder des Buchhandels, PostVerbote oder andere Hemmungen
des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden sollte.
Zugleich ward ein Reichsgesetz verheißen, welches das Nähere hierüber be¬
stimmen würde. Das neue deutsche Reich hat uns ein solches in der That
gebracht. Zuvor aber hatte schon der Art. 22 der Reichs-(Bundes-)Ver-
fassung bestimmt, daß wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den
öffentlichen Sitzungen des Reichstags von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben
sollten. Sodann hat die Gewerbeordnung das frühere Coneesfionswesen in
Ansehung des Preßgewerbes beseitigt, bis dann das Reichspreßgesetz vom 7.
Mai 1874 mit dem ehemaligen Präventivsystem der deutschen Preßgesetzgebung
vollständig brach und an Stelle desselben das sogenannte Repressivsystem zur
Aus- und Durchführung brachte. Die Freiheit der Presse unterliegt hier¬
nach nur denjenigen Beschränkungen, welche das Gesetz selbst statuirt. Letzteres
beseitigte aber namentlich die Zeitungs- und Kalenderstempelsteuer und die
Abgaben von Inseraten, ferner das Cautionswesen, sowie die Entziehung
der Befugniß zum selbständigen Betrieb eines Preßgewerbes im administra¬
tiven oder richterlichen Wege. Was die noch zulässigen polizeilichen Re¬
pressivmaßregeln anbelangt, so ist davon vielleicht nur die polizeiliche Beschlag¬
nahmen von Druckschriften*) geeignet, Bedenken zu erregen. Allein dieselbe
ist bekanntlich nur in einzelnen bestimmten Fällen, z. B. wegen einer durch
die Presse verübten Majestätsbeleidigung oder wegen einer Aufforderung zu
Hochverräthischen Handlungen, zulässig; sie ist überhaupt nur eine vorläufige,
über deren Bestätigung oder Aufhebung das zuständige Gericht zu verfügen
hat, dessen Entscheidung binnen 24 Stunden nach Anordnung der Beschlag¬
nahme von der Staatsanwaltschaft beantragt und binnen weiteren 24 Stun¬
den nach Empfang dieses Antrags erlassen werden muß. Ob die Maßregel
für die Folgezeit überhaupt entbehrt werden kann, wird zunächst die Erfah¬
rung lehren müssen.

Wenn übrigens der Art. IV noch verordnete, daß Preßvergehen,
welche von Amtswegen verfolgt würden, durch Schwurgerichte abgeur¬
theilt werden sollten, so enthält der vorliegende Entwurf des deutschen Ge¬
richtsverfassungsgesetzes allerdings noch keine derartige Bestimmung, indem
man von der vielleicht nicht unrichtigen Auffassung ausging, daß zu einem
Mißtrauen gegen die Unbefangenheit des Richterstandes in dieser Hinsicht



") Reichspreßgesetz vom 7. Mal 1874 §§. 23 ff.

Der Art. IV der deutschen Grundrechte handelte von der Preßfreiheit,
welche fernerhin in keinerlei Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich
Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen
der Druckereien oder des Buchhandels, PostVerbote oder andere Hemmungen
des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden sollte.
Zugleich ward ein Reichsgesetz verheißen, welches das Nähere hierüber be¬
stimmen würde. Das neue deutsche Reich hat uns ein solches in der That
gebracht. Zuvor aber hatte schon der Art. 22 der Reichs-(Bundes-)Ver-
fassung bestimmt, daß wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den
öffentlichen Sitzungen des Reichstags von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben
sollten. Sodann hat die Gewerbeordnung das frühere Coneesfionswesen in
Ansehung des Preßgewerbes beseitigt, bis dann das Reichspreßgesetz vom 7.
Mai 1874 mit dem ehemaligen Präventivsystem der deutschen Preßgesetzgebung
vollständig brach und an Stelle desselben das sogenannte Repressivsystem zur
Aus- und Durchführung brachte. Die Freiheit der Presse unterliegt hier¬
nach nur denjenigen Beschränkungen, welche das Gesetz selbst statuirt. Letzteres
beseitigte aber namentlich die Zeitungs- und Kalenderstempelsteuer und die
Abgaben von Inseraten, ferner das Cautionswesen, sowie die Entziehung
der Befugniß zum selbständigen Betrieb eines Preßgewerbes im administra¬
tiven oder richterlichen Wege. Was die noch zulässigen polizeilichen Re¬
pressivmaßregeln anbelangt, so ist davon vielleicht nur die polizeiliche Beschlag¬
nahmen von Druckschriften*) geeignet, Bedenken zu erregen. Allein dieselbe
ist bekanntlich nur in einzelnen bestimmten Fällen, z. B. wegen einer durch
die Presse verübten Majestätsbeleidigung oder wegen einer Aufforderung zu
Hochverräthischen Handlungen, zulässig; sie ist überhaupt nur eine vorläufige,
über deren Bestätigung oder Aufhebung das zuständige Gericht zu verfügen
hat, dessen Entscheidung binnen 24 Stunden nach Anordnung der Beschlag¬
nahme von der Staatsanwaltschaft beantragt und binnen weiteren 24 Stun¬
den nach Empfang dieses Antrags erlassen werden muß. Ob die Maßregel
für die Folgezeit überhaupt entbehrt werden kann, wird zunächst die Erfah¬
rung lehren müssen.

Wenn übrigens der Art. IV noch verordnete, daß Preßvergehen,
welche von Amtswegen verfolgt würden, durch Schwurgerichte abgeur¬
theilt werden sollten, so enthält der vorliegende Entwurf des deutschen Ge¬
richtsverfassungsgesetzes allerdings noch keine derartige Bestimmung, indem
man von der vielleicht nicht unrichtigen Auffassung ausging, daß zu einem
Mißtrauen gegen die Unbefangenheit des Richterstandes in dieser Hinsicht



") Reichspreßgesetz vom 7. Mal 1874 §§. 23 ff.
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[0378] Der Art. IV der deutschen Grundrechte handelte von der Preßfreiheit, welche fernerhin in keinerlei Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, PostVerbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden sollte. Zugleich ward ein Reichsgesetz verheißen, welches das Nähere hierüber be¬ stimmen würde. Das neue deutsche Reich hat uns ein solches in der That gebracht. Zuvor aber hatte schon der Art. 22 der Reichs-(Bundes-)Ver- fassung bestimmt, daß wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben sollten. Sodann hat die Gewerbeordnung das frühere Coneesfionswesen in Ansehung des Preßgewerbes beseitigt, bis dann das Reichspreßgesetz vom 7. Mai 1874 mit dem ehemaligen Präventivsystem der deutschen Preßgesetzgebung vollständig brach und an Stelle desselben das sogenannte Repressivsystem zur Aus- und Durchführung brachte. Die Freiheit der Presse unterliegt hier¬ nach nur denjenigen Beschränkungen, welche das Gesetz selbst statuirt. Letzteres beseitigte aber namentlich die Zeitungs- und Kalenderstempelsteuer und die Abgaben von Inseraten, ferner das Cautionswesen, sowie die Entziehung der Befugniß zum selbständigen Betrieb eines Preßgewerbes im administra¬ tiven oder richterlichen Wege. Was die noch zulässigen polizeilichen Re¬ pressivmaßregeln anbelangt, so ist davon vielleicht nur die polizeiliche Beschlag¬ nahmen von Druckschriften*) geeignet, Bedenken zu erregen. Allein dieselbe ist bekanntlich nur in einzelnen bestimmten Fällen, z. B. wegen einer durch die Presse verübten Majestätsbeleidigung oder wegen einer Aufforderung zu Hochverräthischen Handlungen, zulässig; sie ist überhaupt nur eine vorläufige, über deren Bestätigung oder Aufhebung das zuständige Gericht zu verfügen hat, dessen Entscheidung binnen 24 Stunden nach Anordnung der Beschlag¬ nahme von der Staatsanwaltschaft beantragt und binnen weiteren 24 Stun¬ den nach Empfang dieses Antrags erlassen werden muß. Ob die Maßregel für die Folgezeit überhaupt entbehrt werden kann, wird zunächst die Erfah¬ rung lehren müssen. Wenn übrigens der Art. IV noch verordnete, daß Preßvergehen, welche von Amtswegen verfolgt würden, durch Schwurgerichte abgeur¬ theilt werden sollten, so enthält der vorliegende Entwurf des deutschen Ge¬ richtsverfassungsgesetzes allerdings noch keine derartige Bestimmung, indem man von der vielleicht nicht unrichtigen Auffassung ausging, daß zu einem Mißtrauen gegen die Unbefangenheit des Richterstandes in dieser Hinsicht ") Reichspreßgesetz vom 7. Mal 1874 §§. 23 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/378>, abgerufen am 29.05.2024.