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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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zulässige Sache erkannt, dann muß es die fernere Regelung der orientalischen
Angelegenheit im Vereine mit Rußland suchen, und es darf hiervon nur Um¬
gang nehmen, wenn die russischen Absichten zu weit gehen. Denn selbst wenn
Oesterreich sich von Rußland abwenden würde, wie solches auf mancher Seite
verlangt worden ist, so wird dadurch der Auflösungsproceß in der Türkei nicht be¬
seitigt, und es bleibt nach wie vor die eigentliche Frage doch noch zu lösen.
Ob aber im Falle eines über Rußland errungenen Sieges Oesterreich die Kraft
besitzen würde, allein den bunten Knoten zurechtzulegen, steht dahin.

Jene Forderungen nun, welche von Oesterreich als eonüitio sine ^na,
von festgehalten werden müssen, gehen dahin, daß selbst in dem Falle, daß
die slavischen Waffen siegreich sein sollten, dennoch kein größerer Staat an
seiner Grenze sich bilde. Man kann Montenegro mit der Herzegowina ver¬
einigen und demselben, den Weg zur See durch die Abtretung des Pojana-
gebietes -- mit Seutari -- eröffnen, man kann den Serben auf böhmischen
Boden eine Vergrößerung gestatten, aber man kann nicht dulden, daß die
österreichische Küste in Gefahr komme, den steten Gegenstand annerio-
nistischer Sehnsucht zu bilden, und dies wäre in dem eben angedeuteten Falle
ganz unvermeidlich. Selbst um den Preis eines Opfers muß solches ver¬
hindert werden. Und als Opfer würden wir es betrachten, wenn man das
nordwestliche Stück Bosniens der Monarchie einverleiben möchte, um den
Küstensaum auf breite Basis zu stellen und einer möglichen späteren Ent¬
wicklung schon dermalen einem Riegel vorzuschieben. Dieser Landerwerb ist
auch nicht so groß, um jene oben berührten Bedenken in ihrem vollen
Umfange zur Geltung zu bringen. Er bildet aber zugleich ein Hinderniß zur
Vereinigung Serbiens und Montenegros, welcher Vereinigung Oesterreich stets
entgegentreten muß.

Es ist möglich, daß die Türken im Kriege die Oberhand behalten, aber
auch in diesem Falle kann man nicht auf den früheren Stand ganz zu¬
rückgehen, weil man die Gefahr nicht beschränkt, sondern nur vertagt sieht, und
weil der türkische Sieg gar keine Garantie bietet, daß wirklich befriedigende
Reformen auf denselben folgen werden und folgen können. Darum liegt
der Schwerpunkt nicht in dem Ausgang des Krieges; ja man kann sagen,
daß dessen Ergebniß wesentlich jetzt schon escomptirt werden kann. Nur wenn
die Türken ganz unterlagen und in Folge ihrer Niederlage der Aufstand
allwärts um sich griffe, würde man einer größeren Schwierigkeit begegnen,
und es würde sich darum handeln, in wie weit es zweckmäßig sein dürfte, die Zer¬
setzung des osmanischen Reiches schon jetzt über das serbisch-montenegrinische
Programm hinaus zuzulassen. serbische entscheidende Stege würden manches
Gelüste rege machen, nicht nur in Rumänien, wo man sich bereits ein Pro-


zulässige Sache erkannt, dann muß es die fernere Regelung der orientalischen
Angelegenheit im Vereine mit Rußland suchen, und es darf hiervon nur Um¬
gang nehmen, wenn die russischen Absichten zu weit gehen. Denn selbst wenn
Oesterreich sich von Rußland abwenden würde, wie solches auf mancher Seite
verlangt worden ist, so wird dadurch der Auflösungsproceß in der Türkei nicht be¬
seitigt, und es bleibt nach wie vor die eigentliche Frage doch noch zu lösen.
Ob aber im Falle eines über Rußland errungenen Sieges Oesterreich die Kraft
besitzen würde, allein den bunten Knoten zurechtzulegen, steht dahin.

Jene Forderungen nun, welche von Oesterreich als eonüitio sine ^na,
von festgehalten werden müssen, gehen dahin, daß selbst in dem Falle, daß
die slavischen Waffen siegreich sein sollten, dennoch kein größerer Staat an
seiner Grenze sich bilde. Man kann Montenegro mit der Herzegowina ver¬
einigen und demselben, den Weg zur See durch die Abtretung des Pojana-
gebietes — mit Seutari — eröffnen, man kann den Serben auf böhmischen
Boden eine Vergrößerung gestatten, aber man kann nicht dulden, daß die
österreichische Küste in Gefahr komme, den steten Gegenstand annerio-
nistischer Sehnsucht zu bilden, und dies wäre in dem eben angedeuteten Falle
ganz unvermeidlich. Selbst um den Preis eines Opfers muß solches ver¬
hindert werden. Und als Opfer würden wir es betrachten, wenn man das
nordwestliche Stück Bosniens der Monarchie einverleiben möchte, um den
Küstensaum auf breite Basis zu stellen und einer möglichen späteren Ent¬
wicklung schon dermalen einem Riegel vorzuschieben. Dieser Landerwerb ist
auch nicht so groß, um jene oben berührten Bedenken in ihrem vollen
Umfange zur Geltung zu bringen. Er bildet aber zugleich ein Hinderniß zur
Vereinigung Serbiens und Montenegros, welcher Vereinigung Oesterreich stets
entgegentreten muß.

Es ist möglich, daß die Türken im Kriege die Oberhand behalten, aber
auch in diesem Falle kann man nicht auf den früheren Stand ganz zu¬
rückgehen, weil man die Gefahr nicht beschränkt, sondern nur vertagt sieht, und
weil der türkische Sieg gar keine Garantie bietet, daß wirklich befriedigende
Reformen auf denselben folgen werden und folgen können. Darum liegt
der Schwerpunkt nicht in dem Ausgang des Krieges; ja man kann sagen,
daß dessen Ergebniß wesentlich jetzt schon escomptirt werden kann. Nur wenn
die Türken ganz unterlagen und in Folge ihrer Niederlage der Aufstand
allwärts um sich griffe, würde man einer größeren Schwierigkeit begegnen,
und es würde sich darum handeln, in wie weit es zweckmäßig sein dürfte, die Zer¬
setzung des osmanischen Reiches schon jetzt über das serbisch-montenegrinische
Programm hinaus zuzulassen. serbische entscheidende Stege würden manches
Gelüste rege machen, nicht nur in Rumänien, wo man sich bereits ein Pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/383>, abgerufen am 27.04.2024.