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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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eines österreichischen Frontwechsels beschäftigt; sein System und seine Ziele
waren schon damals gegen Napoleon gerichtet; mit großer Vorsicht und mit
noch größerer Gewandtheit lenkte er seinen Staat in die neue Stellung hinüber.
So lange man Metternich als deutschen Staatsmann betrachtet, ist man
in Gefahr ihm Unrecht zu thun, -- damals schon war Oesterreich nicht mehr
ein deutscher Staat, deutschen Interessen und deutscher Gesinnung entfremdet,
oft sogar feindlich der nationalen deutschen Aufgabe entgegengesetzt. Metternich
lebte den spezifisch österreichischen Ideen und Aufgaben: Metternich ebenso
wie Kaunitz und Thugut wird man erst gerecht, ja man versteht sie erst dann,
wenn man der Einbildung von einem deutschen Berufe Oesterreichs sich ent¬
schlage und ausschließlich vom österreichischen Boden aus jene Minister be¬
trachtet und auffaßt. Es ist Oncken gelungen, Metternich's Politik aus diesem
Gesichtspunkte klar und an der Hand von Akten zu entwickeln. Metternich's
und Hardenberg's diplomatische Action seit Dezember 1812 legt er ausführlich,
oft tief ins Detail eingehend, dar; -- die Punkte in denen beider Wege sich
berühren und sich vereinigen, werden ebenso unbefangen und parteilos be¬
leuchtet, als die Stellen, wo sie auseinandergehen, sich trennen und zum
Gegensatze hinleiten.

Es würde zu weit führen, wenn wir hier auf Grund von Duncker's und
Oncken's Ergebnissen eine Darstellung des Anfanges und der Einleitung der
Freiheitskämpfe zu scizziren versuchen wollten. Nur einer Reflexion möchten
wir Ausdruck leihen, die aus den Details dieser Dinge sich uns ergeben hat.
Sehr verschieden war gewiß die Lage Preußens von der Lage Oesterreichs im
Anfang des Jahres 1813, sehr verschieden Persönlichkeiten und Charaktere
der maßgebenden Figuren; der größte Gegensatz aber war doch derjenige, der
zwischen Metternich und Hardenberg bestand. Beide Lebemänner, Genu߬
menschen, beide leichtsinnige Elegants mit einem Anfluge humaner Bildung,
Hardenberg tiefer und besser politisch unterrichtet, modernen Staatsideen
zugänglicher und ergebener, aber Metternich Meister und Virtuose in der
auswärtigen Politik, in welcher Hardenberg's Mängel und Mißgriffe mit
jeder näheren Beleuchtung deutlicher und sichtbarer gemacht werden. Un¬
zweifelhaft und unanfechtbar bleibt allerdings das Ergebniß der Forschung
Duncker's, daß Hardenberg 1810--1812 den preußischen Staat behutsam und
geschickt durch gefahrvolle Klippen hindurchgelenkt, daß er 1812 das französische
Bündniß mit vollem Rechte für nothwendig gehalten und soviel als möglich
unter der Maske des französischen Bündnisses die Erhebung Preußens vor¬
bereitet und eingeleitet hat. Aber eben so sicher scheint uns das weitere
Urtheil, daß seit der kriegerischen Erhebung des Frühjahres 1813, seit dem
Abschlüsse der russischen Allianz die diplomatische Leitung Hardenberg's schwere


eines österreichischen Frontwechsels beschäftigt; sein System und seine Ziele
waren schon damals gegen Napoleon gerichtet; mit großer Vorsicht und mit
noch größerer Gewandtheit lenkte er seinen Staat in die neue Stellung hinüber.
So lange man Metternich als deutschen Staatsmann betrachtet, ist man
in Gefahr ihm Unrecht zu thun, — damals schon war Oesterreich nicht mehr
ein deutscher Staat, deutschen Interessen und deutscher Gesinnung entfremdet,
oft sogar feindlich der nationalen deutschen Aufgabe entgegengesetzt. Metternich
lebte den spezifisch österreichischen Ideen und Aufgaben: Metternich ebenso
wie Kaunitz und Thugut wird man erst gerecht, ja man versteht sie erst dann,
wenn man der Einbildung von einem deutschen Berufe Oesterreichs sich ent¬
schlage und ausschließlich vom österreichischen Boden aus jene Minister be¬
trachtet und auffaßt. Es ist Oncken gelungen, Metternich's Politik aus diesem
Gesichtspunkte klar und an der Hand von Akten zu entwickeln. Metternich's
und Hardenberg's diplomatische Action seit Dezember 1812 legt er ausführlich,
oft tief ins Detail eingehend, dar; — die Punkte in denen beider Wege sich
berühren und sich vereinigen, werden ebenso unbefangen und parteilos be¬
leuchtet, als die Stellen, wo sie auseinandergehen, sich trennen und zum
Gegensatze hinleiten.

Es würde zu weit führen, wenn wir hier auf Grund von Duncker's und
Oncken's Ergebnissen eine Darstellung des Anfanges und der Einleitung der
Freiheitskämpfe zu scizziren versuchen wollten. Nur einer Reflexion möchten
wir Ausdruck leihen, die aus den Details dieser Dinge sich uns ergeben hat.
Sehr verschieden war gewiß die Lage Preußens von der Lage Oesterreichs im
Anfang des Jahres 1813, sehr verschieden Persönlichkeiten und Charaktere
der maßgebenden Figuren; der größte Gegensatz aber war doch derjenige, der
zwischen Metternich und Hardenberg bestand. Beide Lebemänner, Genu߬
menschen, beide leichtsinnige Elegants mit einem Anfluge humaner Bildung,
Hardenberg tiefer und besser politisch unterrichtet, modernen Staatsideen
zugänglicher und ergebener, aber Metternich Meister und Virtuose in der
auswärtigen Politik, in welcher Hardenberg's Mängel und Mißgriffe mit
jeder näheren Beleuchtung deutlicher und sichtbarer gemacht werden. Un¬
zweifelhaft und unanfechtbar bleibt allerdings das Ergebniß der Forschung
Duncker's, daß Hardenberg 1810—1812 den preußischen Staat behutsam und
geschickt durch gefahrvolle Klippen hindurchgelenkt, daß er 1812 das französische
Bündniß mit vollem Rechte für nothwendig gehalten und soviel als möglich
unter der Maske des französischen Bündnisses die Erhebung Preußens vor¬
bereitet und eingeleitet hat. Aber eben so sicher scheint uns das weitere
Urtheil, daß seit der kriegerischen Erhebung des Frühjahres 1813, seit dem
Abschlüsse der russischen Allianz die diplomatische Leitung Hardenberg's schwere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/388>, abgerufen am 29.04.2024.