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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Demselben gehört ein großer Theil des Grundes und Bodens, auf dem die
Häuser stehen, welche der hohe Adel während eines Theils des Jahres in
London bewohnt. Die Verpachtung dieser Häuser war in den letzten zwanzig
Jahren großentheils verfallen, und sie wurden dem Marquis of Westminster
zu fabelhaft hohen Preisen wieder auf neunundneunzig Jahre abgemiethet.
Seitdem ist aber auch in Neuyork der Werth des Grundeigenthums außer¬
ordentlich gestiegen, und da Astor einer der größten Grundbesitzer in jener
Weltstadt war, und das ihm von seinem Vater hinterlassene Vermögen sich
in seinen geschickten Händen mindestens verdoppelt hatte, so wär er bei seinem
Ableben sicher der reichste Mann in Amerika und wahrscheinlich der zweit¬
reichste in der Welt; denn man muß sich erinnern, daß der kolossale Reich¬
thum der Rothschilds sich über mehrere Glieder einer Familie vertheilt,
während Wilhelm B. Astor der alleinige Besitzer des Vermögens war, welches
sein Vater hinterlassen hatte. Befänden sich aber auch alle die Hunderte von
Millionen des Geldes der Rothschilds in einer Hand, so würden wir den
Betreffenden immer noch mit den Worten der Ueberschrift bezeichnen dürfen,
da die Rothschilds keine Deutschen, sondern Juden sind. Die Astors aber
sind, obwohl jetzt in Amerika lebend, echte Deutsche.

Der Gründer der Familie Astor führte die Vornamen Johann Jacob,
stammte aus dem badischen Oertchen Walldorf bei Heidelberg, wurde am 17.
Juli 1763 geboren und war der jüngste von vier Brüdern. Sein Vater,
Jacob Astor, lebte vom Betriebe eines kleinen Bauerngutes und zugleich vom
Fleischergewerbe. Der älteste Sohn desselben, Georg Peter Astor, verließ
schon in jungen Jahren das väterliche Haus und ging nach London, wo er
in dem Geschäfte eines Oheims, der mit Musikinstrumenten handelte. Beschäf¬
tigung fand und zuletzt Theilhaber an dessen Firma wurde, die noch jetzt
besteht und zu den größten Pianofortefabriken Englands zählt. Der zweite
Sohn, Heinrich Astor, 17S4 geboren, war der Erste von der Familie, der
nach Amerika auswanderte. Er soll als Gehülfe des Zahlmeisters auf dem
englischen Kriegsschiff "Belle Poule" nach Neuyork gekommen sein und zwar
während des Revolutionskrieges. Er verließ das Fahrzeug, arbeitete eine
Zeit lang als Gesell bei einem Fleischer und machte sich dann in diesem Ge¬
werbe selbständig, worauf er lange Zeit auf dem Flymarket einen Fleischer¬
stand inne hatte. Er hetrathete 1783 die Tochter eines Handwerksgenossen
John Pesstnger und kommt in alten Urkunden der städtischen Verwaltung
bald als Henrich Ashdoor oder Ashdore bald als Henry Astor vor.

Johann Jacob Astor war unter den Brüdern der letzte, welcher die
Heimath verließ. 1779, als Meyer Amschel Rothschild, damals sechsund-
dreißig Jahre alt, in Frankfurt durch die bekannten Speculationen mit dem
hessischen Blutgelde den Grund zu seinem späteren Reichthum legte, begab sich


Demselben gehört ein großer Theil des Grundes und Bodens, auf dem die
Häuser stehen, welche der hohe Adel während eines Theils des Jahres in
London bewohnt. Die Verpachtung dieser Häuser war in den letzten zwanzig
Jahren großentheils verfallen, und sie wurden dem Marquis of Westminster
zu fabelhaft hohen Preisen wieder auf neunundneunzig Jahre abgemiethet.
Seitdem ist aber auch in Neuyork der Werth des Grundeigenthums außer¬
ordentlich gestiegen, und da Astor einer der größten Grundbesitzer in jener
Weltstadt war, und das ihm von seinem Vater hinterlassene Vermögen sich
in seinen geschickten Händen mindestens verdoppelt hatte, so wär er bei seinem
Ableben sicher der reichste Mann in Amerika und wahrscheinlich der zweit¬
reichste in der Welt; denn man muß sich erinnern, daß der kolossale Reich¬
thum der Rothschilds sich über mehrere Glieder einer Familie vertheilt,
während Wilhelm B. Astor der alleinige Besitzer des Vermögens war, welches
sein Vater hinterlassen hatte. Befänden sich aber auch alle die Hunderte von
Millionen des Geldes der Rothschilds in einer Hand, so würden wir den
Betreffenden immer noch mit den Worten der Ueberschrift bezeichnen dürfen,
da die Rothschilds keine Deutschen, sondern Juden sind. Die Astors aber
sind, obwohl jetzt in Amerika lebend, echte Deutsche.

Der Gründer der Familie Astor führte die Vornamen Johann Jacob,
stammte aus dem badischen Oertchen Walldorf bei Heidelberg, wurde am 17.
Juli 1763 geboren und war der jüngste von vier Brüdern. Sein Vater,
Jacob Astor, lebte vom Betriebe eines kleinen Bauerngutes und zugleich vom
Fleischergewerbe. Der älteste Sohn desselben, Georg Peter Astor, verließ
schon in jungen Jahren das väterliche Haus und ging nach London, wo er
in dem Geschäfte eines Oheims, der mit Musikinstrumenten handelte. Beschäf¬
tigung fand und zuletzt Theilhaber an dessen Firma wurde, die noch jetzt
besteht und zu den größten Pianofortefabriken Englands zählt. Der zweite
Sohn, Heinrich Astor, 17S4 geboren, war der Erste von der Familie, der
nach Amerika auswanderte. Er soll als Gehülfe des Zahlmeisters auf dem
englischen Kriegsschiff „Belle Poule" nach Neuyork gekommen sein und zwar
während des Revolutionskrieges. Er verließ das Fahrzeug, arbeitete eine
Zeit lang als Gesell bei einem Fleischer und machte sich dann in diesem Ge¬
werbe selbständig, worauf er lange Zeit auf dem Flymarket einen Fleischer¬
stand inne hatte. Er hetrathete 1783 die Tochter eines Handwerksgenossen
John Pesstnger und kommt in alten Urkunden der städtischen Verwaltung
bald als Henrich Ashdoor oder Ashdore bald als Henry Astor vor.

Johann Jacob Astor war unter den Brüdern der letzte, welcher die
Heimath verließ. 1779, als Meyer Amschel Rothschild, damals sechsund-
dreißig Jahre alt, in Frankfurt durch die bekannten Speculationen mit dem
hessischen Blutgelde den Grund zu seinem späteren Reichthum legte, begab sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/390>, abgerufen am 29.04.2024.