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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sagen aus dem Säuseln der Wipfel Gebrauch war. Schlange und Baum
stehen also beide mit der Magie in Verbindung.

Wenn nach dem Sündenfall die Schlange bestraft wird, so ist damit
nicht ausgesprochen, daß der Gedanke, den sie dem Menschen eingab und der,
von diesen angenommen und befolgt, zur Sünde wurde, auch für das Thier
Sünde geworden sei. Dasselbe ist also kein sittlich böses Wesen oder die
Vertreterin eines solchen. Noch einfacher erklärt sich jene Erzählung durch
die Annahme, daß die Semiten gleich den Ariern sich die dunkeln Natur¬
mächte, die Wolken, das ungeordnete Chaos als Schlange oder Drachen vor¬
stellten, der im Kampfe mit den Göttern bezwungen wird -- eine Annahme,
die mit der im Buche Hiob vorliegenden Darstellung der Wolke als eines
das Himmelslicht befehdenden Drachen übereinstimmt. Dann wäre in der
Paradiesesgeschichte dieser Kampf zweier Naturmächte in eine sittliche Auf¬
fassung übertragen, welche das wider die Gottheit Ankämpfende sich nur als
Sünde denken kann; aber Verkörperung einer übermenschlichen bösen Macht
wäre die Schlange auch dann noch nicht. Der Assyriolog Smith theilt ein
babylonisches Siegel mit, auf dem zwei menschliche Figuren neben einem
fruchttragenden Baume dargestellt sind, beide strecken die Hand nach den
Früchten aus, und hinter der einen steht aufgerichtet eine Schlange. Dieses
Bild erinnert sehr stark an die alttestamentische Geschichte vom Sündenfalle,
aber es kann auch noch vieles Andere bedeuten sollen als diesen, auch könnte
eine Entlehnung aus dem Hebraismus stattgefunden haben, und mit vollem
Rechte bemerkt der Verfasser, daß "diese neugefundenen, sehr unsicheren Angaben
einstweilen noch nicht zu dem Schlüsse berechtigen, daß bet den Assyrern die
Schlange als das böse Princip galt." Dagegen konnte die Erzählung von der
Paradiesesschlange, mag sie nun den Assyrern mit den Jsraeliten gemeinsam
oder nur den letzteren eigen sein, sehr leicht aus jener von Smith ange¬
nommenen Auffassung des Chaos als Schlange oder Drache hervorgehen.
"Jedenfalls läßt sich behaupten, daß, was im Alten Testamente von der
Schlange ausgesagt wird, der Herleitung aus semitischen Vorstellungen in
keinem Punkte bedarf, am wenigsten die Paradiesesschlange der Herbetziehung
der sehr verschiedenen persischen Erzählung von dem in Schlangengestalt
aus dem Himmel gefallenen Ahriman. Die Vorstellung der Schlange als
eines mit Klugheit begabten Thieres ist durch die Uebereinstimmung aller
Nachrichten über ihre Auffassung bei den verschiedenen asiatischen Völkern als echt
semitisch gesichert. Ebenso finden wir nicht nur im Alten Testamente, sondern
ähnlich bei den Arabern und wahrscheinlich auch bet den Assyrern, daß man
sie bald als heilbringendes, bald als Schauder erweckendes Thier ansah, was
auch da, wo in der Schlange eine Gottheit erkannt wurde, neben einander
bestehen konnte, da im Semitismus wohlthätige und schädliche Wirkungen


sagen aus dem Säuseln der Wipfel Gebrauch war. Schlange und Baum
stehen also beide mit der Magie in Verbindung.

Wenn nach dem Sündenfall die Schlange bestraft wird, so ist damit
nicht ausgesprochen, daß der Gedanke, den sie dem Menschen eingab und der,
von diesen angenommen und befolgt, zur Sünde wurde, auch für das Thier
Sünde geworden sei. Dasselbe ist also kein sittlich böses Wesen oder die
Vertreterin eines solchen. Noch einfacher erklärt sich jene Erzählung durch
die Annahme, daß die Semiten gleich den Ariern sich die dunkeln Natur¬
mächte, die Wolken, das ungeordnete Chaos als Schlange oder Drachen vor¬
stellten, der im Kampfe mit den Göttern bezwungen wird — eine Annahme,
die mit der im Buche Hiob vorliegenden Darstellung der Wolke als eines
das Himmelslicht befehdenden Drachen übereinstimmt. Dann wäre in der
Paradiesesgeschichte dieser Kampf zweier Naturmächte in eine sittliche Auf¬
fassung übertragen, welche das wider die Gottheit Ankämpfende sich nur als
Sünde denken kann; aber Verkörperung einer übermenschlichen bösen Macht
wäre die Schlange auch dann noch nicht. Der Assyriolog Smith theilt ein
babylonisches Siegel mit, auf dem zwei menschliche Figuren neben einem
fruchttragenden Baume dargestellt sind, beide strecken die Hand nach den
Früchten aus, und hinter der einen steht aufgerichtet eine Schlange. Dieses
Bild erinnert sehr stark an die alttestamentische Geschichte vom Sündenfalle,
aber es kann auch noch vieles Andere bedeuten sollen als diesen, auch könnte
eine Entlehnung aus dem Hebraismus stattgefunden haben, und mit vollem
Rechte bemerkt der Verfasser, daß „diese neugefundenen, sehr unsicheren Angaben
einstweilen noch nicht zu dem Schlüsse berechtigen, daß bet den Assyrern die
Schlange als das böse Princip galt." Dagegen konnte die Erzählung von der
Paradiesesschlange, mag sie nun den Assyrern mit den Jsraeliten gemeinsam
oder nur den letzteren eigen sein, sehr leicht aus jener von Smith ange¬
nommenen Auffassung des Chaos als Schlange oder Drache hervorgehen.
„Jedenfalls läßt sich behaupten, daß, was im Alten Testamente von der
Schlange ausgesagt wird, der Herleitung aus semitischen Vorstellungen in
keinem Punkte bedarf, am wenigsten die Paradiesesschlange der Herbetziehung
der sehr verschiedenen persischen Erzählung von dem in Schlangengestalt
aus dem Himmel gefallenen Ahriman. Die Vorstellung der Schlange als
eines mit Klugheit begabten Thieres ist durch die Uebereinstimmung aller
Nachrichten über ihre Auffassung bei den verschiedenen asiatischen Völkern als echt
semitisch gesichert. Ebenso finden wir nicht nur im Alten Testamente, sondern
ähnlich bei den Arabern und wahrscheinlich auch bet den Assyrern, daß man
sie bald als heilbringendes, bald als Schauder erweckendes Thier ansah, was
auch da, wo in der Schlange eine Gottheit erkannt wurde, neben einander
bestehen konnte, da im Semitismus wohlthätige und schädliche Wirkungen


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[0406] sagen aus dem Säuseln der Wipfel Gebrauch war. Schlange und Baum stehen also beide mit der Magie in Verbindung. Wenn nach dem Sündenfall die Schlange bestraft wird, so ist damit nicht ausgesprochen, daß der Gedanke, den sie dem Menschen eingab und der, von diesen angenommen und befolgt, zur Sünde wurde, auch für das Thier Sünde geworden sei. Dasselbe ist also kein sittlich böses Wesen oder die Vertreterin eines solchen. Noch einfacher erklärt sich jene Erzählung durch die Annahme, daß die Semiten gleich den Ariern sich die dunkeln Natur¬ mächte, die Wolken, das ungeordnete Chaos als Schlange oder Drachen vor¬ stellten, der im Kampfe mit den Göttern bezwungen wird — eine Annahme, die mit der im Buche Hiob vorliegenden Darstellung der Wolke als eines das Himmelslicht befehdenden Drachen übereinstimmt. Dann wäre in der Paradiesesgeschichte dieser Kampf zweier Naturmächte in eine sittliche Auf¬ fassung übertragen, welche das wider die Gottheit Ankämpfende sich nur als Sünde denken kann; aber Verkörperung einer übermenschlichen bösen Macht wäre die Schlange auch dann noch nicht. Der Assyriolog Smith theilt ein babylonisches Siegel mit, auf dem zwei menschliche Figuren neben einem fruchttragenden Baume dargestellt sind, beide strecken die Hand nach den Früchten aus, und hinter der einen steht aufgerichtet eine Schlange. Dieses Bild erinnert sehr stark an die alttestamentische Geschichte vom Sündenfalle, aber es kann auch noch vieles Andere bedeuten sollen als diesen, auch könnte eine Entlehnung aus dem Hebraismus stattgefunden haben, und mit vollem Rechte bemerkt der Verfasser, daß „diese neugefundenen, sehr unsicheren Angaben einstweilen noch nicht zu dem Schlüsse berechtigen, daß bet den Assyrern die Schlange als das böse Princip galt." Dagegen konnte die Erzählung von der Paradiesesschlange, mag sie nun den Assyrern mit den Jsraeliten gemeinsam oder nur den letzteren eigen sein, sehr leicht aus jener von Smith ange¬ nommenen Auffassung des Chaos als Schlange oder Drache hervorgehen. „Jedenfalls läßt sich behaupten, daß, was im Alten Testamente von der Schlange ausgesagt wird, der Herleitung aus semitischen Vorstellungen in keinem Punkte bedarf, am wenigsten die Paradiesesschlange der Herbetziehung der sehr verschiedenen persischen Erzählung von dem in Schlangengestalt aus dem Himmel gefallenen Ahriman. Die Vorstellung der Schlange als eines mit Klugheit begabten Thieres ist durch die Uebereinstimmung aller Nachrichten über ihre Auffassung bei den verschiedenen asiatischen Völkern als echt semitisch gesichert. Ebenso finden wir nicht nur im Alten Testamente, sondern ähnlich bei den Arabern und wahrscheinlich auch bet den Assyrern, daß man sie bald als heilbringendes, bald als Schauder erweckendes Thier ansah, was auch da, wo in der Schlange eine Gottheit erkannt wurde, neben einander bestehen konnte, da im Semitismus wohlthätige und schädliche Wirkungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/406>, abgerufen am 29.04.2024.