Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

teressenten zum Zwecke größerer Einwirkung auf den Staat und seine Or¬
gane, auf die Regierung, den Landtag und last not least auch auf die Presse
sich zusammenthun wollen, ist ein natürliches und berechtigtes Verlangen. Lange
Zeit haben Wanderversammlungen deutscher Forst- und Land¬
wirthe existirt; doch stellte sich mehr und mehr heraus, daß durch sie nicht
eigentlich die Landwirthschaft und ihre Interessen dargestellt wurden. So
wurde angeregt, ein neues Organ diesen Bestrebungen zu schaffen. In neuer
Form wurden zu freiwilligem Zusammentritt die norddeutschen Landwirthe
veranlaßt.

Im Februar 1868 tagte in Berlin der erste C on g r e ß norddeutscher
Landwirthe. In ihm war eine richtige und gesunde Interessenvertretung
vorhanden. Die politischen Parteiunterschiede verschwanden oder traten zurück
hinter der Gemeinsamkeit des Berufes und Standes. Es präsidirte Herr von
Sänger, ein Liberaler; im Ausschusse nahmen neben ihm Saucken (Julien¬
felde), Sombart (Ermsleben), von Benda und andere Coryphäen der Land¬
wirthschaft Platz. Einer der Referenten war Lette. Die Verhandlungen be¬
zogen sich auf das landwirthschaftliche Credit - Genossenschafts - Vereinswesen,^
auf die Steuerfrage, soweit sie die landwirtschaftlichen Interessen berührte.
Ein ganz ähnliches Bild zeigte der zweite Kongreß vom Februar 1869,
und wiederum ein ganz ähnliches der dritte Congreß vom Februar
1870. Beide Male leitete von Sänger die Verhandlungen, und beide Male
bewegte die Thätigkeit der Versammlung sich auf dem Gehecke des ländlichen
Genossenschafts-Credit-Versicherungswesens, der Steuerfrage; 1870 berührte
sie auch das Thema der angemessenen Vertretung landwirtschaftlicher In¬
teressen. Der Kronprinz hatte den Congreß am Is. Februar 1870 mit seinem
Besuche beehrt; in der Sitzung des 18. Februar 1870 erschien auch der
Bundeskanzler Graf Bismarck; er theilte am 19. schriftlich dem Congreß^
mit, daß er sich bemühen werde, den^Wunsch des Congresses nach einer Ver¬
tretung der landwirtschaftlichen Interessen im Bundesrathe zur Erfüllung
zu bringen.

Die Ereignisse des Jahres 1870 und ihre Folgen machten auch dem
Landwirthe sich fühlbar. Die sociale Frage und die wirthschaftliche Krisis
übten auf Stellung und Haltung der einzelnen Landwirthe gewaltigen Ein¬
fluß aus 'und brachten eine Verschiebung der Parteien auf diesem Gebiete
zu Stande. Ein doppelter Unterschied, der natürlich immer vorhanden ge¬
wesen, trat mehr wie bisher ins Bewußtsein und an die Oberfläche hervor:
die Verschiedenheit der Interessen der ländlichen Arbeitnehmer und Arbeit¬
geber, und auch unter den letzteren die Sonderung der großen und der
kleineren Grundbesitzer. Und die Bewegung unter den ländlichen Arbeitern
selbst erregte mehr und mehr die Besorgnis? der Besitzer vor Störungen des


teressenten zum Zwecke größerer Einwirkung auf den Staat und seine Or¬
gane, auf die Regierung, den Landtag und last not least auch auf die Presse
sich zusammenthun wollen, ist ein natürliches und berechtigtes Verlangen. Lange
Zeit haben Wanderversammlungen deutscher Forst- und Land¬
wirthe existirt; doch stellte sich mehr und mehr heraus, daß durch sie nicht
eigentlich die Landwirthschaft und ihre Interessen dargestellt wurden. So
wurde angeregt, ein neues Organ diesen Bestrebungen zu schaffen. In neuer
Form wurden zu freiwilligem Zusammentritt die norddeutschen Landwirthe
veranlaßt.

Im Februar 1868 tagte in Berlin der erste C on g r e ß norddeutscher
Landwirthe. In ihm war eine richtige und gesunde Interessenvertretung
vorhanden. Die politischen Parteiunterschiede verschwanden oder traten zurück
hinter der Gemeinsamkeit des Berufes und Standes. Es präsidirte Herr von
Sänger, ein Liberaler; im Ausschusse nahmen neben ihm Saucken (Julien¬
felde), Sombart (Ermsleben), von Benda und andere Coryphäen der Land¬
wirthschaft Platz. Einer der Referenten war Lette. Die Verhandlungen be¬
zogen sich auf das landwirthschaftliche Credit - Genossenschafts - Vereinswesen,^
auf die Steuerfrage, soweit sie die landwirtschaftlichen Interessen berührte.
Ein ganz ähnliches Bild zeigte der zweite Kongreß vom Februar 1869,
und wiederum ein ganz ähnliches der dritte Congreß vom Februar
1870. Beide Male leitete von Sänger die Verhandlungen, und beide Male
bewegte die Thätigkeit der Versammlung sich auf dem Gehecke des ländlichen
Genossenschafts-Credit-Versicherungswesens, der Steuerfrage; 1870 berührte
sie auch das Thema der angemessenen Vertretung landwirtschaftlicher In¬
teressen. Der Kronprinz hatte den Congreß am Is. Februar 1870 mit seinem
Besuche beehrt; in der Sitzung des 18. Februar 1870 erschien auch der
Bundeskanzler Graf Bismarck; er theilte am 19. schriftlich dem Congreß^
mit, daß er sich bemühen werde, den^Wunsch des Congresses nach einer Ver¬
tretung der landwirtschaftlichen Interessen im Bundesrathe zur Erfüllung
zu bringen.

Die Ereignisse des Jahres 1870 und ihre Folgen machten auch dem
Landwirthe sich fühlbar. Die sociale Frage und die wirthschaftliche Krisis
übten auf Stellung und Haltung der einzelnen Landwirthe gewaltigen Ein¬
fluß aus 'und brachten eine Verschiebung der Parteien auf diesem Gebiete
zu Stande. Ein doppelter Unterschied, der natürlich immer vorhanden ge¬
wesen, trat mehr wie bisher ins Bewußtsein und an die Oberfläche hervor:
die Verschiedenheit der Interessen der ländlichen Arbeitnehmer und Arbeit¬
geber, und auch unter den letzteren die Sonderung der großen und der
kleineren Grundbesitzer. Und die Bewegung unter den ländlichen Arbeitern
selbst erregte mehr und mehr die Besorgnis? der Besitzer vor Störungen des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136561"/>
          <p xml:id="ID_1159" prev="#ID_1158"> teressenten zum Zwecke größerer Einwirkung auf den Staat und seine Or¬<lb/>
gane, auf die Regierung, den Landtag und last not least auch auf die Presse<lb/>
sich zusammenthun wollen, ist ein natürliches und berechtigtes Verlangen. Lange<lb/>
Zeit haben Wanderversammlungen deutscher Forst- und Land¬<lb/>
wirthe existirt; doch stellte sich mehr und mehr heraus, daß durch sie nicht<lb/>
eigentlich die Landwirthschaft und ihre Interessen dargestellt wurden. So<lb/>
wurde angeregt, ein neues Organ diesen Bestrebungen zu schaffen. In neuer<lb/>
Form wurden zu freiwilligem Zusammentritt die norddeutschen Landwirthe<lb/>
veranlaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1160"> Im Februar 1868 tagte in Berlin der erste C on g r e ß norddeutscher<lb/>
Landwirthe. In ihm war eine richtige und gesunde Interessenvertretung<lb/>
vorhanden. Die politischen Parteiunterschiede verschwanden oder traten zurück<lb/>
hinter der Gemeinsamkeit des Berufes und Standes. Es präsidirte Herr von<lb/>
Sänger, ein Liberaler; im Ausschusse nahmen neben ihm Saucken (Julien¬<lb/>
felde), Sombart (Ermsleben), von Benda und andere Coryphäen der Land¬<lb/>
wirthschaft Platz. Einer der Referenten war Lette. Die Verhandlungen be¬<lb/>
zogen sich auf das landwirthschaftliche Credit - Genossenschafts - Vereinswesen,^<lb/>
auf die Steuerfrage, soweit sie die landwirtschaftlichen Interessen berührte.<lb/>
Ein ganz ähnliches Bild zeigte der zweite Kongreß vom Februar 1869,<lb/>
und wiederum ein ganz ähnliches der dritte Congreß vom Februar<lb/>
1870. Beide Male leitete von Sänger die Verhandlungen, und beide Male<lb/>
bewegte die Thätigkeit der Versammlung sich auf dem Gehecke des ländlichen<lb/>
Genossenschafts-Credit-Versicherungswesens, der Steuerfrage; 1870 berührte<lb/>
sie auch das Thema der angemessenen Vertretung landwirtschaftlicher In¬<lb/>
teressen. Der Kronprinz hatte den Congreß am Is. Februar 1870 mit seinem<lb/>
Besuche beehrt; in der Sitzung des 18. Februar 1870 erschien auch der<lb/>
Bundeskanzler Graf Bismarck; er theilte am 19. schriftlich dem Congreß^<lb/>
mit, daß er sich bemühen werde, den^Wunsch des Congresses nach einer Ver¬<lb/>
tretung der landwirtschaftlichen Interessen im Bundesrathe zur Erfüllung<lb/>
zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1161" next="#ID_1162"> Die Ereignisse des Jahres 1870 und ihre Folgen machten auch dem<lb/>
Landwirthe sich fühlbar. Die sociale Frage und die wirthschaftliche Krisis<lb/>
übten auf Stellung und Haltung der einzelnen Landwirthe gewaltigen Ein¬<lb/>
fluß aus 'und brachten eine Verschiebung der Parteien auf diesem Gebiete<lb/>
zu Stande. Ein doppelter Unterschied, der natürlich immer vorhanden ge¬<lb/>
wesen, trat mehr wie bisher ins Bewußtsein und an die Oberfläche hervor:<lb/>
die Verschiedenheit der Interessen der ländlichen Arbeitnehmer und Arbeit¬<lb/>
geber, und auch unter den letzteren die Sonderung der großen und der<lb/>
kleineren Grundbesitzer. Und die Bewegung unter den ländlichen Arbeitern<lb/>
selbst erregte mehr und mehr die Besorgnis? der Besitzer vor Störungen des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] teressenten zum Zwecke größerer Einwirkung auf den Staat und seine Or¬ gane, auf die Regierung, den Landtag und last not least auch auf die Presse sich zusammenthun wollen, ist ein natürliches und berechtigtes Verlangen. Lange Zeit haben Wanderversammlungen deutscher Forst- und Land¬ wirthe existirt; doch stellte sich mehr und mehr heraus, daß durch sie nicht eigentlich die Landwirthschaft und ihre Interessen dargestellt wurden. So wurde angeregt, ein neues Organ diesen Bestrebungen zu schaffen. In neuer Form wurden zu freiwilligem Zusammentritt die norddeutschen Landwirthe veranlaßt. Im Februar 1868 tagte in Berlin der erste C on g r e ß norddeutscher Landwirthe. In ihm war eine richtige und gesunde Interessenvertretung vorhanden. Die politischen Parteiunterschiede verschwanden oder traten zurück hinter der Gemeinsamkeit des Berufes und Standes. Es präsidirte Herr von Sänger, ein Liberaler; im Ausschusse nahmen neben ihm Saucken (Julien¬ felde), Sombart (Ermsleben), von Benda und andere Coryphäen der Land¬ wirthschaft Platz. Einer der Referenten war Lette. Die Verhandlungen be¬ zogen sich auf das landwirthschaftliche Credit - Genossenschafts - Vereinswesen,^ auf die Steuerfrage, soweit sie die landwirtschaftlichen Interessen berührte. Ein ganz ähnliches Bild zeigte der zweite Kongreß vom Februar 1869, und wiederum ein ganz ähnliches der dritte Congreß vom Februar 1870. Beide Male leitete von Sänger die Verhandlungen, und beide Male bewegte die Thätigkeit der Versammlung sich auf dem Gehecke des ländlichen Genossenschafts-Credit-Versicherungswesens, der Steuerfrage; 1870 berührte sie auch das Thema der angemessenen Vertretung landwirtschaftlicher In¬ teressen. Der Kronprinz hatte den Congreß am Is. Februar 1870 mit seinem Besuche beehrt; in der Sitzung des 18. Februar 1870 erschien auch der Bundeskanzler Graf Bismarck; er theilte am 19. schriftlich dem Congreß^ mit, daß er sich bemühen werde, den^Wunsch des Congresses nach einer Ver¬ tretung der landwirtschaftlichen Interessen im Bundesrathe zur Erfüllung zu bringen. Die Ereignisse des Jahres 1870 und ihre Folgen machten auch dem Landwirthe sich fühlbar. Die sociale Frage und die wirthschaftliche Krisis übten auf Stellung und Haltung der einzelnen Landwirthe gewaltigen Ein¬ fluß aus 'und brachten eine Verschiebung der Parteien auf diesem Gebiete zu Stande. Ein doppelter Unterschied, der natürlich immer vorhanden ge¬ wesen, trat mehr wie bisher ins Bewußtsein und an die Oberfläche hervor: die Verschiedenheit der Interessen der ländlichen Arbeitnehmer und Arbeit¬ geber, und auch unter den letzteren die Sonderung der großen und der kleineren Grundbesitzer. Und die Bewegung unter den ländlichen Arbeitern selbst erregte mehr und mehr die Besorgnis? der Besitzer vor Störungen des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/450>, abgerufen am 04.05.2024.