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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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gründung dieser geschlossenen deutschen Ansiedlungen erfolgte im 12. und 13.
Jahrhundert; zuerst wahrscheinlich entstand die im Nösnergau, dann die
größte im Hermannstädter Gau, die schon am Beginne des 13. Jahrhunderts
50,000 Höfe zählte, und etwa gleichzeitig, seit 1211, die letzte im Burzen-
lande. Sie bildeten zunächst unter sich kein Ganzes, schieden sich aber
durch ihre deutsche Verfassung und Gemeinfreiheit und durch die damit noth¬
wendig verbundene völlige Exemtion vom Comitat scharf von dem übrigen
Lande, wo es nur Herren und Knechte gab. Der goldene Freibrief K,
Andreas' II. 1224 faßte dann die Ansiedlungen um Hermannstadt von Broos
bis Neys zu einem Gauverbande zusammen, der ein Siegel führte, überließ
den Sachsen das Eigenthum des Grundes und Bodens, bestätigte ihnen das
Wahlrecht ihrer Richter und Pfarrer und behielt sich nur die Ernennung
des Königsgrafen von Hermannstadt vor, der direct unter der Krone stand.
Dafür leisteten die Sachsen den Kriegsdienst mit 300 M. im Reiche. 100
M. außerhalb desselben und zahlten S00 Mark Silbers Zins. Dies Gebiet
zerfiel wieder in 7, oder mit Zurechnung des Hermannstädter in 8 "Stühle"
oder "Gerichte". Dazu gesellten sich abgesondert die "Stühle" von Mediasch
und Schelk, die 1318 einen noch weitergehenden, 1368 jedoch beschränkten
Freibrief erhielten. Aehnliche Freibriefe erwarben die "Bezirke", 1333 das
Burzenland, 1366 das Nösnerland. So bildete sich fern unter den Kar¬
pathen ein deutsches Gemeinwesen so blühend, stattlich, selbstbewußt wie nur
irgend eins im deutschen Reiche, beruhend auf der individuellen Freiheit und
der Selbstverwaltung der Gemeinden. An der Spitze jeder Gemeinde -- zu¬
nächst des Hermannstädter Gaus -- stand, auf ein Jahr gewählt, der "Richter",
neben ihm die "Geschworenen" oder "Aeltesten", berathen von der Gemeinde¬
versammlung. Viermal im Jahre trat die Versammlung des "Stuhles" zu¬
sammen als höherer Gerichtshof und zur Berathung wichtigerer Angelegen¬
heiten, jährlich gewöhnlich einmal die Gauversammlung, der Landtag. Ueber
die Stühle walteten gewählte Richter, über den ganzen Gau der vom König
ernannte Graf (Loach). Allmählich bildete sich aber eine Einheit aller
sächsischen Ansiedlungen aus, zunächst auf dem Gebiete der Rechtspflege durch
Anerkennung des Hermannstädter Gerichts als "Oberhofs" für alle Stühle
und Bezirke. Später führte die Noth der Zeit, der Andrang der türkischer.
Macht zu gemeinschaftlichen Berathungen und schon 1446 traten die Sachsen
als "Ilmversitas", als Gesammtheit auf, 1454 wurden die 7 (8) und die 2
"Stühle" gemeinsam zum Landtage berufen, 1485 fand der erste allgemeine
Landtag aller Sachsen statt. So vollzog sich die Entwicklung zur Einheit,
gleichzeitig aber auch die zu größerer Unabhängigkeit: seit 1464 wurde
der Hermannstädter Graf durch freie Wahl der sächsischen Nation erhoben,
1477 die aufkommende Erblichkeit in der Richterwürde der 7 Stühle beseitigt,


gründung dieser geschlossenen deutschen Ansiedlungen erfolgte im 12. und 13.
Jahrhundert; zuerst wahrscheinlich entstand die im Nösnergau, dann die
größte im Hermannstädter Gau, die schon am Beginne des 13. Jahrhunderts
50,000 Höfe zählte, und etwa gleichzeitig, seit 1211, die letzte im Burzen-
lande. Sie bildeten zunächst unter sich kein Ganzes, schieden sich aber
durch ihre deutsche Verfassung und Gemeinfreiheit und durch die damit noth¬
wendig verbundene völlige Exemtion vom Comitat scharf von dem übrigen
Lande, wo es nur Herren und Knechte gab. Der goldene Freibrief K,
Andreas' II. 1224 faßte dann die Ansiedlungen um Hermannstadt von Broos
bis Neys zu einem Gauverbande zusammen, der ein Siegel führte, überließ
den Sachsen das Eigenthum des Grundes und Bodens, bestätigte ihnen das
Wahlrecht ihrer Richter und Pfarrer und behielt sich nur die Ernennung
des Königsgrafen von Hermannstadt vor, der direct unter der Krone stand.
Dafür leisteten die Sachsen den Kriegsdienst mit 300 M. im Reiche. 100
M. außerhalb desselben und zahlten S00 Mark Silbers Zins. Dies Gebiet
zerfiel wieder in 7, oder mit Zurechnung des Hermannstädter in 8 „Stühle"
oder „Gerichte". Dazu gesellten sich abgesondert die „Stühle" von Mediasch
und Schelk, die 1318 einen noch weitergehenden, 1368 jedoch beschränkten
Freibrief erhielten. Aehnliche Freibriefe erwarben die „Bezirke", 1333 das
Burzenland, 1366 das Nösnerland. So bildete sich fern unter den Kar¬
pathen ein deutsches Gemeinwesen so blühend, stattlich, selbstbewußt wie nur
irgend eins im deutschen Reiche, beruhend auf der individuellen Freiheit und
der Selbstverwaltung der Gemeinden. An der Spitze jeder Gemeinde — zu¬
nächst des Hermannstädter Gaus — stand, auf ein Jahr gewählt, der „Richter",
neben ihm die „Geschworenen" oder „Aeltesten", berathen von der Gemeinde¬
versammlung. Viermal im Jahre trat die Versammlung des „Stuhles" zu¬
sammen als höherer Gerichtshof und zur Berathung wichtigerer Angelegen¬
heiten, jährlich gewöhnlich einmal die Gauversammlung, der Landtag. Ueber
die Stühle walteten gewählte Richter, über den ganzen Gau der vom König
ernannte Graf (Loach). Allmählich bildete sich aber eine Einheit aller
sächsischen Ansiedlungen aus, zunächst auf dem Gebiete der Rechtspflege durch
Anerkennung des Hermannstädter Gerichts als „Oberhofs" für alle Stühle
und Bezirke. Später führte die Noth der Zeit, der Andrang der türkischer.
Macht zu gemeinschaftlichen Berathungen und schon 1446 traten die Sachsen
als „Ilmversitas", als Gesammtheit auf, 1454 wurden die 7 (8) und die 2
„Stühle" gemeinsam zum Landtage berufen, 1485 fand der erste allgemeine
Landtag aller Sachsen statt. So vollzog sich die Entwicklung zur Einheit,
gleichzeitig aber auch die zu größerer Unabhängigkeit: seit 1464 wurde
der Hermannstädter Graf durch freie Wahl der sächsischen Nation erhoben,
1477 die aufkommende Erblichkeit in der Richterwürde der 7 Stühle beseitigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/490>, abgerufen am 01.05.2024.