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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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dessen man jeden beliebigen einzelnen Ton, wie jeden Accord für wünschens-
werthe Zeit fixiren und fortkommt aushalten kann. Die Sache nimmt sich
in der Beschreibung viel complicirter aus, als sie in Wirklichkeit ist, während
man sich von der unvergleichlich köstlichen, ja zauberhaften Wirkung des
Prolongements kaum eine vollkommene Vorstellung machen kann. Der
Apparat, ein niedriger, einreihiger Mechanismus, gleicht einer über der ersten
Dämpfung angebrachten zweiten, die jedoch nicht den Zweck hat ebenfalls zu
dämpfen, sondern im Gegentheile die Wirkung der ersteren aufzuheben, indem
sie einzelne der Dämpfer abfängt und je nach dem Willen des Spielers
schwebend über den Saiten hält. Auf die bisherigen Dämpfer ist nämlich
ein leichter Draht in L-Form senkrecht aufgesetzt. Der obere Apparat greift,
wenn in Bewegung gebracht, sich senkend in diese Häkchen ein und verhindert
dadurch das Niederfallen der einzelnen Dämpfer. Der ganze Mechanismus
läßt sich mühelos durch ein, neben der gewöhnlichen Dämpfung und Ver¬
schiebung (die in ihren Wirkungen nicht alterirt werden) angebrachtes Pedal
lenken und in kürzester Zeit erlernen. Diejenigen Töne, welche fortklingend
erhalten bleiben sollen, können, wie durch ein Blasinstrument angegeben,
orgelarng oder wie die gehaltenen Accorde der Blasharmonie des Orchesters
weiterklingen, während Läufe, Figuren und Melodien darüber hin nur, ohne sich
in einander zu verwirren und ohne in einander zu verschwimmen, ausgeführt
werden können. Die Werke von Chopin und Schumann werden jetzt erst,
nachdem das Klavier zu höchster Leistungsfähigkeit gebracht ist, ihre volle
Wirkung erreichen können und ebenso viele der unsterblichen Tonsätze von
Beethoven, Schubert und Weber in Folge dieser neuen Erfindung durch
manche bisher ungeahnte Schönheiten und überraschende Effekte den Hörer
in Erstaunen zu setzen vermögen. Für das moderne virtuose Klavierspiel
aber, wie für das Arrangement von Orchesterwerken, das nun von ganz
neuen Gesichtspunkten aus unternommen werden kann, bietet dieselbe unbe¬
rechenbare Vortheile und, worauf es hier nur zu oft ankommt, Klangeffekte,
deren bestrickender Reiz überall Bewunderung und Entzücken hervorrufen
muß. Der glückliche Erfinder dieses mechanischen Meisterwerkes hat nicht
nur einen nach Ton und Bauart ganz vorzüglichen, Aufsehen erregenden
Flügel seines Fabrikats mit hierhergebracht, sondern auch in Herrn Kreu¬
ser, Chormeister des Wiener Männergesangvereins, einen eminenten Klavier¬
spieler gewonnen, der die neue wichtige Erfindung ebenso geschickt zu be¬
handeln, als eingehend zu erklären weiß. Binnen zehn Jahren dürfte es kein
Klavierinstrument mehr geben, dem dieselbe nicht beigefügt und keinen
Pianisten, dem sie nicht unentbehrlich geworden wäre.


H. M. sah leite rer.


dessen man jeden beliebigen einzelnen Ton, wie jeden Accord für wünschens-
werthe Zeit fixiren und fortkommt aushalten kann. Die Sache nimmt sich
in der Beschreibung viel complicirter aus, als sie in Wirklichkeit ist, während
man sich von der unvergleichlich köstlichen, ja zauberhaften Wirkung des
Prolongements kaum eine vollkommene Vorstellung machen kann. Der
Apparat, ein niedriger, einreihiger Mechanismus, gleicht einer über der ersten
Dämpfung angebrachten zweiten, die jedoch nicht den Zweck hat ebenfalls zu
dämpfen, sondern im Gegentheile die Wirkung der ersteren aufzuheben, indem
sie einzelne der Dämpfer abfängt und je nach dem Willen des Spielers
schwebend über den Saiten hält. Auf die bisherigen Dämpfer ist nämlich
ein leichter Draht in L-Form senkrecht aufgesetzt. Der obere Apparat greift,
wenn in Bewegung gebracht, sich senkend in diese Häkchen ein und verhindert
dadurch das Niederfallen der einzelnen Dämpfer. Der ganze Mechanismus
läßt sich mühelos durch ein, neben der gewöhnlichen Dämpfung und Ver¬
schiebung (die in ihren Wirkungen nicht alterirt werden) angebrachtes Pedal
lenken und in kürzester Zeit erlernen. Diejenigen Töne, welche fortklingend
erhalten bleiben sollen, können, wie durch ein Blasinstrument angegeben,
orgelarng oder wie die gehaltenen Accorde der Blasharmonie des Orchesters
weiterklingen, während Läufe, Figuren und Melodien darüber hin nur, ohne sich
in einander zu verwirren und ohne in einander zu verschwimmen, ausgeführt
werden können. Die Werke von Chopin und Schumann werden jetzt erst,
nachdem das Klavier zu höchster Leistungsfähigkeit gebracht ist, ihre volle
Wirkung erreichen können und ebenso viele der unsterblichen Tonsätze von
Beethoven, Schubert und Weber in Folge dieser neuen Erfindung durch
manche bisher ungeahnte Schönheiten und überraschende Effekte den Hörer
in Erstaunen zu setzen vermögen. Für das moderne virtuose Klavierspiel
aber, wie für das Arrangement von Orchesterwerken, das nun von ganz
neuen Gesichtspunkten aus unternommen werden kann, bietet dieselbe unbe¬
rechenbare Vortheile und, worauf es hier nur zu oft ankommt, Klangeffekte,
deren bestrickender Reiz überall Bewunderung und Entzücken hervorrufen
muß. Der glückliche Erfinder dieses mechanischen Meisterwerkes hat nicht
nur einen nach Ton und Bauart ganz vorzüglichen, Aufsehen erregenden
Flügel seines Fabrikats mit hierhergebracht, sondern auch in Herrn Kreu¬
ser, Chormeister des Wiener Männergesangvereins, einen eminenten Klavier¬
spieler gewonnen, der die neue wichtige Erfindung ebenso geschickt zu be¬
handeln, als eingehend zu erklären weiß. Binnen zehn Jahren dürfte es kein
Klavierinstrument mehr geben, dem dieselbe nicht beigefügt und keinen
Pianisten, dem sie nicht unentbehrlich geworden wäre.


H. M. sah leite rer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/82>, abgerufen am 27.04.2024.