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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Formen, glücklich war der theokratische Hebräer in seinen anthropomorphischen
religiösen Gegenständen, während der Jndier nach der Seite des Großen hin
auf das Gigantische verfiel, der Chinese nach der Seite des Kleinen hin auf
puppige Gebilde.

Wenn man aber zu allen Zeiten einen Charakterzug gesunder Cultur¬
blüthe darin erkennen konnte, daß ein Volk sich der centralen Erfassung des
idealen, zum Organ des göttlichen bestimmten Menschenbildes zuwandte,
daß es nicht, um noch einmal auf die nordische Mythologie zu kommen, in
den Jötünen oder Thuesen, sondern in den Asen und Asinnen seine Ideale
des Unendlichen sah, so ist es auch wohl zu allen Zeiten das Symptom einer
bedenklichen Krankheit der Geistesrichtungen gewesen, wenn die Vorliebe für
ungeheuerliche Größen, für Monstrositäten, welche übermenschlich sein wollten,
aber ins Unmenschliche verfielen, hervortrat und immer mehr überHand nahm.

An dem Bau des babylonischen Thurmes ging die Einheit der alten
Menschheit zu Grabe, die Zerstreuung ihrer Stämme in ihre verschiedenen
Heidenthümer begann. Als der Herodianische Tempel, wie ein weißes Marmor-
gebirg über Stadt und Land schimmernd emporragte, hatte die jüdische Theo-
kcatie sich ausgelebt und die Zerstörung der Stadt war nahe. An den Bau
der Petersktrche in Rom knüpft sich das Ende des Mittelalters, der Anfang
der Reformation. Vielfach hatten auch die Riesengebilde selber in der
menschlichen Welt nur einen kurzen Bestand. Der rhodische Kolossus stand
nur etwa ein halbes Jahrhundert; das Colosseum erhob sich in seiner Pracht
über den Niedergang der Herrlichkeit des alten kaiserlichen Rom.

Trotz der Warnungen der Geschichte aber scheint ein krankhafter Hang
nach übermenschlichen Größen eben auch eine Signatur unserer Zeit werden
zu wollen. Vernehmen wir darüber die Expektoration eines geistreichen,
ernstgesinnten und humoristischen Mannes von großer Weltbildung in der
Schrift, hypochondrische Plaudereien (von Gerhard von Amyntor, Elberfeld,
Lukas) unter der Rubrik Maaslos (Maßlos) S. 134: "Die jetzige Zeit
krankt an einem Zuge nach dem Ungeheuerlichen, an einer Vorliebe für das
Gigantische. Das Associationswesen hat sich so entwickelt und hier und da
auch so großartige Erfolge erreicht, daß sich der Alltagsmensch in seiner in¬
dividuellen, streng begrenzten Existenz nicht mehr genügt; er wird Mitglied
eines oder mehrerer Vereine, und imponirt sich nun selbst, indem er ein Recht
zu haben wähnt, die etwaige Bedeutung und Leistung der Vereinsmenge
seiner eignen Persönlichkeit zu vindiciren." Der Verfasser weist nun hin auf
die Weltausstellungen der letzten Decennien, die Gründung der Aktiengesell¬
schaften, die hohe Zahl der Gänge und der Gläser bei festlichen Mahlzeiten,
die Monstre-Concerte, die sechsbändigen Romane, und überläßt sich nun einem
Spiel des Humors, welcher Romane von 24 Bändern in Aussicht stellt; er be-


Formen, glücklich war der theokratische Hebräer in seinen anthropomorphischen
religiösen Gegenständen, während der Jndier nach der Seite des Großen hin
auf das Gigantische verfiel, der Chinese nach der Seite des Kleinen hin auf
puppige Gebilde.

Wenn man aber zu allen Zeiten einen Charakterzug gesunder Cultur¬
blüthe darin erkennen konnte, daß ein Volk sich der centralen Erfassung des
idealen, zum Organ des göttlichen bestimmten Menschenbildes zuwandte,
daß es nicht, um noch einmal auf die nordische Mythologie zu kommen, in
den Jötünen oder Thuesen, sondern in den Asen und Asinnen seine Ideale
des Unendlichen sah, so ist es auch wohl zu allen Zeiten das Symptom einer
bedenklichen Krankheit der Geistesrichtungen gewesen, wenn die Vorliebe für
ungeheuerliche Größen, für Monstrositäten, welche übermenschlich sein wollten,
aber ins Unmenschliche verfielen, hervortrat und immer mehr überHand nahm.

An dem Bau des babylonischen Thurmes ging die Einheit der alten
Menschheit zu Grabe, die Zerstreuung ihrer Stämme in ihre verschiedenen
Heidenthümer begann. Als der Herodianische Tempel, wie ein weißes Marmor-
gebirg über Stadt und Land schimmernd emporragte, hatte die jüdische Theo-
kcatie sich ausgelebt und die Zerstörung der Stadt war nahe. An den Bau
der Petersktrche in Rom knüpft sich das Ende des Mittelalters, der Anfang
der Reformation. Vielfach hatten auch die Riesengebilde selber in der
menschlichen Welt nur einen kurzen Bestand. Der rhodische Kolossus stand
nur etwa ein halbes Jahrhundert; das Colosseum erhob sich in seiner Pracht
über den Niedergang der Herrlichkeit des alten kaiserlichen Rom.

Trotz der Warnungen der Geschichte aber scheint ein krankhafter Hang
nach übermenschlichen Größen eben auch eine Signatur unserer Zeit werden
zu wollen. Vernehmen wir darüber die Expektoration eines geistreichen,
ernstgesinnten und humoristischen Mannes von großer Weltbildung in der
Schrift, hypochondrische Plaudereien (von Gerhard von Amyntor, Elberfeld,
Lukas) unter der Rubrik Maaslos (Maßlos) S. 134: „Die jetzige Zeit
krankt an einem Zuge nach dem Ungeheuerlichen, an einer Vorliebe für das
Gigantische. Das Associationswesen hat sich so entwickelt und hier und da
auch so großartige Erfolge erreicht, daß sich der Alltagsmensch in seiner in¬
dividuellen, streng begrenzten Existenz nicht mehr genügt; er wird Mitglied
eines oder mehrerer Vereine, und imponirt sich nun selbst, indem er ein Recht
zu haben wähnt, die etwaige Bedeutung und Leistung der Vereinsmenge
seiner eignen Persönlichkeit zu vindiciren." Der Verfasser weist nun hin auf
die Weltausstellungen der letzten Decennien, die Gründung der Aktiengesell¬
schaften, die hohe Zahl der Gänge und der Gläser bei festlichen Mahlzeiten,
die Monstre-Concerte, die sechsbändigen Romane, und überläßt sich nun einem
Spiel des Humors, welcher Romane von 24 Bändern in Aussicht stellt; er be-


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[0084] Formen, glücklich war der theokratische Hebräer in seinen anthropomorphischen religiösen Gegenständen, während der Jndier nach der Seite des Großen hin auf das Gigantische verfiel, der Chinese nach der Seite des Kleinen hin auf puppige Gebilde. Wenn man aber zu allen Zeiten einen Charakterzug gesunder Cultur¬ blüthe darin erkennen konnte, daß ein Volk sich der centralen Erfassung des idealen, zum Organ des göttlichen bestimmten Menschenbildes zuwandte, daß es nicht, um noch einmal auf die nordische Mythologie zu kommen, in den Jötünen oder Thuesen, sondern in den Asen und Asinnen seine Ideale des Unendlichen sah, so ist es auch wohl zu allen Zeiten das Symptom einer bedenklichen Krankheit der Geistesrichtungen gewesen, wenn die Vorliebe für ungeheuerliche Größen, für Monstrositäten, welche übermenschlich sein wollten, aber ins Unmenschliche verfielen, hervortrat und immer mehr überHand nahm. An dem Bau des babylonischen Thurmes ging die Einheit der alten Menschheit zu Grabe, die Zerstreuung ihrer Stämme in ihre verschiedenen Heidenthümer begann. Als der Herodianische Tempel, wie ein weißes Marmor- gebirg über Stadt und Land schimmernd emporragte, hatte die jüdische Theo- kcatie sich ausgelebt und die Zerstörung der Stadt war nahe. An den Bau der Petersktrche in Rom knüpft sich das Ende des Mittelalters, der Anfang der Reformation. Vielfach hatten auch die Riesengebilde selber in der menschlichen Welt nur einen kurzen Bestand. Der rhodische Kolossus stand nur etwa ein halbes Jahrhundert; das Colosseum erhob sich in seiner Pracht über den Niedergang der Herrlichkeit des alten kaiserlichen Rom. Trotz der Warnungen der Geschichte aber scheint ein krankhafter Hang nach übermenschlichen Größen eben auch eine Signatur unserer Zeit werden zu wollen. Vernehmen wir darüber die Expektoration eines geistreichen, ernstgesinnten und humoristischen Mannes von großer Weltbildung in der Schrift, hypochondrische Plaudereien (von Gerhard von Amyntor, Elberfeld, Lukas) unter der Rubrik Maaslos (Maßlos) S. 134: „Die jetzige Zeit krankt an einem Zuge nach dem Ungeheuerlichen, an einer Vorliebe für das Gigantische. Das Associationswesen hat sich so entwickelt und hier und da auch so großartige Erfolge erreicht, daß sich der Alltagsmensch in seiner in¬ dividuellen, streng begrenzten Existenz nicht mehr genügt; er wird Mitglied eines oder mehrerer Vereine, und imponirt sich nun selbst, indem er ein Recht zu haben wähnt, die etwaige Bedeutung und Leistung der Vereinsmenge seiner eignen Persönlichkeit zu vindiciren." Der Verfasser weist nun hin auf die Weltausstellungen der letzten Decennien, die Gründung der Aktiengesell¬ schaften, die hohe Zahl der Gänge und der Gläser bei festlichen Mahlzeiten, die Monstre-Concerte, die sechsbändigen Romane, und überläßt sich nun einem Spiel des Humors, welcher Romane von 24 Bändern in Aussicht stellt; er be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/84>, abgerufen am 28.04.2024.