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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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den ich dort kennen lernte. Es war ein Neger, Jose Gonsalvez de Azevedo,
der von seinem Vater die Künste des Schreibens und Lesens erlernte und
dann, sich selbst überlassen, sich allein fortbildete. Jahrelang reiste er im Innern
in Handelsinteressen, lernte die Sprachen meistern, Menschen beurtheilen und
sammelte einen Schatz von Erfahrungen über Sitten und Gebräuche ver¬
schiedener Negerstämme. Er ist der einzige gebildete Schwarze, der ein
günstiges Urtheil über seine Brüder fällte, der Einzige von den Manchen,
die ich kenne und die -- eine natürliche Erscheinung -- über ihre Rassen-
Genossen den Stab brechen. Er allein behauptete, daß die Bildungsfähigkeit
des Geistes und des Charakters des Negers ihm unzweifelhaft sei und ent¬
schuldigte viele Schwächen und Laster desselben damit, daß sie häufig von
den "hochstehenden Weißen" mitgebracht seien. "Gehe weiter ins Land,"
sagte er mir einst, "so wirst Du Stämme finden, die weder unmittelbar, noch
mittelbar mit Weißen in Berührung traten; das sind erst Neger, wahr und
original; beurtheile sie und Du wirst günstiger urtheilen. Ihr Weißen wollet
Licht verbreiten durch Missionäre, die sich die Männer Gottes nennen und
es nicht sind! O. wie sie Liebe im Munde haben und unsere Kinder hungern
lassen und schlagen; wie sie Mäßigkeit predigen und in Fülle leben; wie sie
den Rum ein Teufelswerk nennen und den Wein lieben; wie sie gegen unsere
Frauen eifern und -- o! die saueren Trauben und die Füchse!" --

In der That, wo, wie es in ganz Angola der Fall ist, verfeinerte
Cultur und unaffectirte Natürlichkeit nahe zusammentreffen und je schärfer
die Contraste zwischen Civilisation und Ungeschliffenheit hervortreten, da
gewinnt häufiger die Letztere das Wohlwollen des Beobachtenden; am
grellsten treten solche Contraste in der Gestalt des Menschen auf!

Was schmeichelt dem prüfenden Auge mehr, die Figur jenes Weißen,
der seinen Leib in womöglich -- oder meistens! -- unordentliche Kleider ge¬
zwängt, dort etwas gebeugt, mit gelblichem, schlaffen Gesicht und müden,
krankheitsmatten Ausdruck vor sich hinstarrt -- oder jener broncefarbene
Bursche mit dem Gluthblick im schwarzen Auge, der seinen schlanken Körper¬
bau in ein luftig Gewand gehüllt, ein kleines Füßchen und eine schmale
Hand durch die Falten blicken läßt und, reizende Grübchen in den Wangen,
beim Lächeln die herrlichsten Perlenzähne zeigt? --

Wer ringt Dir Achtung ab, jener "Weiße", der sich selbst vergessend, den
vor ihm stehenden Sclaven maßlos zornig mit seinen Fäusten ins Gesicht
schlägt, oder der Bestrafte, der starr, wie erzgegossen, mit Selbstbeherrschung,
ohne Zucken eines Muskels, ohne Thräne ruhig die verdienten oder unver¬
dienten, doch immerhin grausamen Schläge ins Antlitz erhält?




den ich dort kennen lernte. Es war ein Neger, Jose Gonsalvez de Azevedo,
der von seinem Vater die Künste des Schreibens und Lesens erlernte und
dann, sich selbst überlassen, sich allein fortbildete. Jahrelang reiste er im Innern
in Handelsinteressen, lernte die Sprachen meistern, Menschen beurtheilen und
sammelte einen Schatz von Erfahrungen über Sitten und Gebräuche ver¬
schiedener Negerstämme. Er ist der einzige gebildete Schwarze, der ein
günstiges Urtheil über seine Brüder fällte, der Einzige von den Manchen,
die ich kenne und die — eine natürliche Erscheinung — über ihre Rassen-
Genossen den Stab brechen. Er allein behauptete, daß die Bildungsfähigkeit
des Geistes und des Charakters des Negers ihm unzweifelhaft sei und ent¬
schuldigte viele Schwächen und Laster desselben damit, daß sie häufig von
den „hochstehenden Weißen" mitgebracht seien. »Gehe weiter ins Land,"
sagte er mir einst, „so wirst Du Stämme finden, die weder unmittelbar, noch
mittelbar mit Weißen in Berührung traten; das sind erst Neger, wahr und
original; beurtheile sie und Du wirst günstiger urtheilen. Ihr Weißen wollet
Licht verbreiten durch Missionäre, die sich die Männer Gottes nennen und
es nicht sind! O. wie sie Liebe im Munde haben und unsere Kinder hungern
lassen und schlagen; wie sie Mäßigkeit predigen und in Fülle leben; wie sie
den Rum ein Teufelswerk nennen und den Wein lieben; wie sie gegen unsere
Frauen eifern und — o! die saueren Trauben und die Füchse!" —

In der That, wo, wie es in ganz Angola der Fall ist, verfeinerte
Cultur und unaffectirte Natürlichkeit nahe zusammentreffen und je schärfer
die Contraste zwischen Civilisation und Ungeschliffenheit hervortreten, da
gewinnt häufiger die Letztere das Wohlwollen des Beobachtenden; am
grellsten treten solche Contraste in der Gestalt des Menschen auf!

Was schmeichelt dem prüfenden Auge mehr, die Figur jenes Weißen,
der seinen Leib in womöglich — oder meistens! — unordentliche Kleider ge¬
zwängt, dort etwas gebeugt, mit gelblichem, schlaffen Gesicht und müden,
krankheitsmatten Ausdruck vor sich hinstarrt — oder jener broncefarbene
Bursche mit dem Gluthblick im schwarzen Auge, der seinen schlanken Körper¬
bau in ein luftig Gewand gehüllt, ein kleines Füßchen und eine schmale
Hand durch die Falten blicken läßt und, reizende Grübchen in den Wangen,
beim Lächeln die herrlichsten Perlenzähne zeigt? —

Wer ringt Dir Achtung ab, jener „Weiße", der sich selbst vergessend, den
vor ihm stehenden Sclaven maßlos zornig mit seinen Fäusten ins Gesicht
schlägt, oder der Bestrafte, der starr, wie erzgegossen, mit Selbstbeherrschung,
ohne Zucken eines Muskels, ohne Thräne ruhig die verdienten oder unver¬
dienten, doch immerhin grausamen Schläge ins Antlitz erhält?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/110>, abgerufen am 15.05.2024.