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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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von Seiten des deutschen Publicums. In den vierziger Jahren machte Herr
von Haxthausen die Kreise der moskauer Slavophilen, die von der russischen
Weltherrschaft träumten und nur noch nach dem neuen Princip, der neuen
Idee suchten, deren Träger der zu jener berufene Stamm nach Hegel sein
mußte, mit der Entdeckung bekannt, daß diese Idee in Rußland bereits in
dem Gemeinbesitz der Bauern gefunden sei. 1848 wurde die Lehre von der
welterlösenden Kraft des Gemeindebesitzes und seiner Bedeutung für die
künftige slavische Weltherrschaft von Alexander Herzen als "neue Formel der
Civilisation" verkündet. Sie sollte "das belebende Princip des russischen
Volkslebens" und die Grundform der russischen Gesellschaft sein. Die Lehre
von dem gleichem Anspruch Aller an den Grund und Boden, von der Noth¬
wendigkeit einer Verwandlung des persönlichen in das Gemeindeeigenthum
sollte das Zeichen sein, unter dem der russische Stamm zu streiten und über
das zu unterwerfende westliche Europn zu siegen berufen wäre. Tausende
und aber Tausende glaubten das. Der Verfasser aber weist nach, daß die
Einrichtung des Gemeindebesitzes, an der das Emancipationsgesetz von 1861
nichts geändert hat, indem die Volksgewohnheit die ihr gebotene Möglichkeit,
die Dorfmark zu zerschlagen und den Einzelnen als Erbbesitz zuzutheilen,
unbenutzt gelassen hat, erstens nicht sehr alt ist und zweitens keineswegs
die vortheilhafte Wirkung auf das Volk hat oder gehabt hat, die Haxthausen
ihr nachrühmt. Im Gegentheil, die russische Regierung hat. gestützt aus
zahlreiche übereinstimmende Gutachten, dieses System, das noch vor wenigen
Jahren als nationales Palladium verherrlicht wurde, uneingeschränkt ver"
urtheilt, und das Gewicht der practischen Erfahrungen, auf welche dieses
Urtheil sich stützte, war so groß, daß die Vorkämpfer des Communesystems
wenigstens für den Augenblick zu schweigen für gerathen hielten. Der Wahn,
daß das Institut des ungeteilten Gemeindebesitzes eine universale, für die
Zukunft des gesammten Europa und seine Civilisation in Betracht kommende
Bedeutung habe, daß der ursprüngliche Zustand der russischen Ackerbauer sich
mit den letzten Zielen der ökonomischen Entwickelung Westeuropas berühre,
und daß die Russen von der Nothwendigkeit des persönlichen Eigenthums,
der' sich jedes nach voller Entfaltung seiner wirthschaftlichen Kräfte ringende
Volk zu unterwerfen hat. ausgenommen seien -- alle diese Wahnvorstellungen
sind zernichtet.




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hrrvig in Leipzig, - DniF von Hiithel " Hrrrmnnn in Leipzig.

von Seiten des deutschen Publicums. In den vierziger Jahren machte Herr
von Haxthausen die Kreise der moskauer Slavophilen, die von der russischen
Weltherrschaft träumten und nur noch nach dem neuen Princip, der neuen
Idee suchten, deren Träger der zu jener berufene Stamm nach Hegel sein
mußte, mit der Entdeckung bekannt, daß diese Idee in Rußland bereits in
dem Gemeinbesitz der Bauern gefunden sei. 1848 wurde die Lehre von der
welterlösenden Kraft des Gemeindebesitzes und seiner Bedeutung für die
künftige slavische Weltherrschaft von Alexander Herzen als „neue Formel der
Civilisation" verkündet. Sie sollte „das belebende Princip des russischen
Volkslebens" und die Grundform der russischen Gesellschaft sein. Die Lehre
von dem gleichem Anspruch Aller an den Grund und Boden, von der Noth¬
wendigkeit einer Verwandlung des persönlichen in das Gemeindeeigenthum
sollte das Zeichen sein, unter dem der russische Stamm zu streiten und über
das zu unterwerfende westliche Europn zu siegen berufen wäre. Tausende
und aber Tausende glaubten das. Der Verfasser aber weist nach, daß die
Einrichtung des Gemeindebesitzes, an der das Emancipationsgesetz von 1861
nichts geändert hat, indem die Volksgewohnheit die ihr gebotene Möglichkeit,
die Dorfmark zu zerschlagen und den Einzelnen als Erbbesitz zuzutheilen,
unbenutzt gelassen hat, erstens nicht sehr alt ist und zweitens keineswegs
die vortheilhafte Wirkung auf das Volk hat oder gehabt hat, die Haxthausen
ihr nachrühmt. Im Gegentheil, die russische Regierung hat. gestützt aus
zahlreiche übereinstimmende Gutachten, dieses System, das noch vor wenigen
Jahren als nationales Palladium verherrlicht wurde, uneingeschränkt ver«
urtheilt, und das Gewicht der practischen Erfahrungen, auf welche dieses
Urtheil sich stützte, war so groß, daß die Vorkämpfer des Communesystems
wenigstens für den Augenblick zu schweigen für gerathen hielten. Der Wahn,
daß das Institut des ungeteilten Gemeindebesitzes eine universale, für die
Zukunft des gesammten Europa und seine Civilisation in Betracht kommende
Bedeutung habe, daß der ursprüngliche Zustand der russischen Ackerbauer sich
mit den letzten Zielen der ökonomischen Entwickelung Westeuropas berühre,
und daß die Russen von der Nothwendigkeit des persönlichen Eigenthums,
der' sich jedes nach voller Entfaltung seiner wirthschaftlichen Kräfte ringende
Volk zu unterwerfen hat. ausgenommen seien — alle diese Wahnvorstellungen
sind zernichtet.




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hrrvig in Leipzig, - DniF von Hiithel » Hrrrmnnn in Leipzig.
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[0124] von Seiten des deutschen Publicums. In den vierziger Jahren machte Herr von Haxthausen die Kreise der moskauer Slavophilen, die von der russischen Weltherrschaft träumten und nur noch nach dem neuen Princip, der neuen Idee suchten, deren Träger der zu jener berufene Stamm nach Hegel sein mußte, mit der Entdeckung bekannt, daß diese Idee in Rußland bereits in dem Gemeinbesitz der Bauern gefunden sei. 1848 wurde die Lehre von der welterlösenden Kraft des Gemeindebesitzes und seiner Bedeutung für die künftige slavische Weltherrschaft von Alexander Herzen als „neue Formel der Civilisation" verkündet. Sie sollte „das belebende Princip des russischen Volkslebens" und die Grundform der russischen Gesellschaft sein. Die Lehre von dem gleichem Anspruch Aller an den Grund und Boden, von der Noth¬ wendigkeit einer Verwandlung des persönlichen in das Gemeindeeigenthum sollte das Zeichen sein, unter dem der russische Stamm zu streiten und über das zu unterwerfende westliche Europn zu siegen berufen wäre. Tausende und aber Tausende glaubten das. Der Verfasser aber weist nach, daß die Einrichtung des Gemeindebesitzes, an der das Emancipationsgesetz von 1861 nichts geändert hat, indem die Volksgewohnheit die ihr gebotene Möglichkeit, die Dorfmark zu zerschlagen und den Einzelnen als Erbbesitz zuzutheilen, unbenutzt gelassen hat, erstens nicht sehr alt ist und zweitens keineswegs die vortheilhafte Wirkung auf das Volk hat oder gehabt hat, die Haxthausen ihr nachrühmt. Im Gegentheil, die russische Regierung hat. gestützt aus zahlreiche übereinstimmende Gutachten, dieses System, das noch vor wenigen Jahren als nationales Palladium verherrlicht wurde, uneingeschränkt ver« urtheilt, und das Gewicht der practischen Erfahrungen, auf welche dieses Urtheil sich stützte, war so groß, daß die Vorkämpfer des Communesystems wenigstens für den Augenblick zu schweigen für gerathen hielten. Der Wahn, daß das Institut des ungeteilten Gemeindebesitzes eine universale, für die Zukunft des gesammten Europa und seine Civilisation in Betracht kommende Bedeutung habe, daß der ursprüngliche Zustand der russischen Ackerbauer sich mit den letzten Zielen der ökonomischen Entwickelung Westeuropas berühre, und daß die Russen von der Nothwendigkeit des persönlichen Eigenthums, der' sich jedes nach voller Entfaltung seiner wirthschaftlichen Kräfte ringende Volk zu unterwerfen hat. ausgenommen seien — alle diese Wahnvorstellungen sind zernichtet. Verantwortlicher Redakteur: Dr. Haus Blum in Leipzig. Verlag von K. L. Hrrvig in Leipzig, - DniF von Hiithel » Hrrrmnnn in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/124>, abgerufen am 15.05.2024.