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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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ein Held und fallend wie ein Held. Keiner der andern Mitspieler greift so
unaufhörlich und so nachdrücklich in die ganze Handlung ein, als er. Er
bildet die Verschwörung der Römer in den Katakomben zum Sturze der
gothischen Herrschaft, er gewinnt trotzdem Amalaswinthas Vertrauen, wird
so Präfect von Rom, bewaffnet die Römer, verdirbt Amalaswintha, indem er
sie zum Morde der drei Gothen treibt, hilft sie dann stürzen, tödtet ihren
Sohn Athalarich, der ihm plötzlich zu selbständig gegenüber tritt. So hat
er die gothische Herrschaft ins Wanken gebracht; aber eben als er die Frucht
seiner Mühe ernten, Rom und Italien zu selbständiger Erhebung gegen die
Gothen fortreißen will, da mißlingt dies: die Byzantiner landen früher als
er erwartet. Trotzdem weiß er sich in dem Besitze eines großen Theils
von Rom und namentlich des Capitols neben Belisar zu behaupten, ja er
reißt sodann den Ruhm der Vertheidigung Roms fast allein an sich. Um
Belisar zu beseitigen, verwickelt er ihn vor Ravenna in die Intrigue gegen
Vitiges, durch welche dieser bewogen wird, Belisar die ostgothische Krone ab¬
zutreten, ohne daß der Byzantiner allerdings die ernste Absicht hätte, sie an-
zunnehmen, verdächtigt ihn dann in Constantinopel, bewirkt seine Abberufung
und seine eigne Ernennung zum Statthalter Italiens. Er scheint am Ziele.
Da kreuzt Totilas Erhebung seinen Plan, er unterliegt im Kampfe um
Rom und entkommt mit Mühe verwundet nach Byzanz. Doch dort erwirkt
er seine Absendung mit einem neuen Heere und beginnt sein Spiel von vorn.
Da findet der Italiener seinen Meister an dem Byzantiner Narses: er sieht
sich unter seinen Befehl gestellt, überwacht, gehemmt, schließlich des Hochver¬
raths an Justinian angeklagt. Gescheitert mit seinen Plänen, verlassen von
Allen, die ihm die liebsten sind, von seinem Adoptivsohne Julius Montanus,
der sich schaudernd von dem düstren, blutbefleckten Manne abgewendet, von
Procop, der dem Jugendfreunde die Freundschaft kündigt, nur noch begleitet
von seinem treuen Sclaven den Mauren Syphar, sucht und findet er den
Tod am Vesuv.

Einen reinen Eindruck bringt freilich dieser Charakter, auf dessen Aus¬
malung Dahn so ganz besondere Sorfalt verwendet, nicht hervor. Man
kann Cethegus bewundern, aber sich nicht für ihn erwärmen, dazu ist er zu
sehr Dämon, sind seine Mittel und Wege zu gewissenlos. Ja man wird
auch Bedenken erheben müssen gegen die Möglichkeit nicht nur einzelner Züge,
sondern des ganzen Charakters in jener Zeit. Man getraut den gesunkenen
Italienern des 6. Jahrhunderts eine solche Natur nicht zu und kann sie ihnen
nicht zutrauen, wie sie denn auch in Wirklichkeit nicht eine entfernt ähnliche
Gestalt aufzuweisen haben.

Auch gegen die Charakteristik der Dahn'schen Helden überhaupt wird sich
von historischen Standpunkte aus gar Manches einwenden lassen. Am wenig-


ein Held und fallend wie ein Held. Keiner der andern Mitspieler greift so
unaufhörlich und so nachdrücklich in die ganze Handlung ein, als er. Er
bildet die Verschwörung der Römer in den Katakomben zum Sturze der
gothischen Herrschaft, er gewinnt trotzdem Amalaswinthas Vertrauen, wird
so Präfect von Rom, bewaffnet die Römer, verdirbt Amalaswintha, indem er
sie zum Morde der drei Gothen treibt, hilft sie dann stürzen, tödtet ihren
Sohn Athalarich, der ihm plötzlich zu selbständig gegenüber tritt. So hat
er die gothische Herrschaft ins Wanken gebracht; aber eben als er die Frucht
seiner Mühe ernten, Rom und Italien zu selbständiger Erhebung gegen die
Gothen fortreißen will, da mißlingt dies: die Byzantiner landen früher als
er erwartet. Trotzdem weiß er sich in dem Besitze eines großen Theils
von Rom und namentlich des Capitols neben Belisar zu behaupten, ja er
reißt sodann den Ruhm der Vertheidigung Roms fast allein an sich. Um
Belisar zu beseitigen, verwickelt er ihn vor Ravenna in die Intrigue gegen
Vitiges, durch welche dieser bewogen wird, Belisar die ostgothische Krone ab¬
zutreten, ohne daß der Byzantiner allerdings die ernste Absicht hätte, sie an-
zunnehmen, verdächtigt ihn dann in Constantinopel, bewirkt seine Abberufung
und seine eigne Ernennung zum Statthalter Italiens. Er scheint am Ziele.
Da kreuzt Totilas Erhebung seinen Plan, er unterliegt im Kampfe um
Rom und entkommt mit Mühe verwundet nach Byzanz. Doch dort erwirkt
er seine Absendung mit einem neuen Heere und beginnt sein Spiel von vorn.
Da findet der Italiener seinen Meister an dem Byzantiner Narses: er sieht
sich unter seinen Befehl gestellt, überwacht, gehemmt, schließlich des Hochver¬
raths an Justinian angeklagt. Gescheitert mit seinen Plänen, verlassen von
Allen, die ihm die liebsten sind, von seinem Adoptivsohne Julius Montanus,
der sich schaudernd von dem düstren, blutbefleckten Manne abgewendet, von
Procop, der dem Jugendfreunde die Freundschaft kündigt, nur noch begleitet
von seinem treuen Sclaven den Mauren Syphar, sucht und findet er den
Tod am Vesuv.

Einen reinen Eindruck bringt freilich dieser Charakter, auf dessen Aus¬
malung Dahn so ganz besondere Sorfalt verwendet, nicht hervor. Man
kann Cethegus bewundern, aber sich nicht für ihn erwärmen, dazu ist er zu
sehr Dämon, sind seine Mittel und Wege zu gewissenlos. Ja man wird
auch Bedenken erheben müssen gegen die Möglichkeit nicht nur einzelner Züge,
sondern des ganzen Charakters in jener Zeit. Man getraut den gesunkenen
Italienern des 6. Jahrhunderts eine solche Natur nicht zu und kann sie ihnen
nicht zutrauen, wie sie denn auch in Wirklichkeit nicht eine entfernt ähnliche
Gestalt aufzuweisen haben.

Auch gegen die Charakteristik der Dahn'schen Helden überhaupt wird sich
von historischen Standpunkte aus gar Manches einwenden lassen. Am wenig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/131>, abgerufen am 31.05.2024.