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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Herr von Räzüns und Graf Hans von Hohensar, und nachdem dieser
Schematismus durch Chroniken, Denkmäler, Schauspiele und Lieder dem
Volke zum politischen Glaubenssätze gemacht war, bildete ihn dasselbe weiter
aus und parodirte ihn zu revolutionären Zwecken. Im Bauernkriege von
1663 stellte sich das gegen Luzern empörte Entlebuch unter drei eingeborne
Bauernobersten und nannte sie als Vorkämpfer und Rächer des gekränkten
Volksrechtes die drei Teilen, Diese waren: Hans Emmenegger von Schüpf-
heim, Christen Schybi von Escholzmatt und Kaspar Steiner, Sigrist zu
Eumen in der Grafschaft Rothenburg. Auch das aargauer Freienamt hatte
an jenem Aufstande theilgenommen und zwar unter drei Führern, die bei
ihren Leuten die Telle, bei den Gegnern aber die Regentensresser hießen.

Im Hintergrunde aller dieser Dreiheiten steht der alte Heidenglaube an
die Fortdauer seiner mythischen Volkshelden, welcher meint, daß dieselben in
einen Berg entrückt und in Zauberschlaf versunken, hülfreich wiederkehren
werden, wenn das Vaterland in Noth ist. Im Seelisberg dicht hinter dem
Rutte schlafen nach dem Volksglauben seit Jahrhunderten die drei Telle, um
in Zukunft die Freiheit noch einmal zu retten. Im Axenberg sitzt der
Schütze Tell, von dem der Volksglaube Aehnliches erwartet. Um luzernisch
Dietwtl an der Reuß heißt es, wenn man in den Bergen Rothhorn und
Enzifluh ein dumpfes Donnern, Kanonenschüssen ähnlich, vernimmt, Prinz
Karli exercire darin mit seiner Armee und werde, sobald der Antichrist erscheine,
herauskommen und ihn schlagen, wobei Gelehrte und Belesene an Karl
den Großen denken; während das Volk vielmehr den Erzherzog Karl, den
aus der Kriegsgeschichte der neunziger Jahre noch immer erinnerlichen Gegner
Napoleons, im Sinne hat, durch dessen momentan glückliche Operationen die
damalige Schweiz, früher französisch gesinnt, schnell gut österreichisch geworden
war. In Tirol verbreitete sich 1848 auf die Nachricht hin, daß die Oester¬
reicher in Italien eine Niederlage erlitten hätten, das Gerücht, der Sandwirth
Hofer lebe im Berge zu Jlsingen oder in der Sarner Scharte und werde das
Volk abermals aufbieten. Verwandte Sagen finden wir unter allen ger¬
manischen Völkern und ebenso unter den Slaven. Wir erinnern an den
Kyffhäuser und an den Untersberg, sowie an den Berg Blanik, in welchem
der Czechenheld Zdenko von Zasnink auf einer Steinbank schläft, um einst
wiederzukommen. Die Erklärung dieser Erzählungen ist nach Rochholz ein¬
fach folgende. In der Urzeit wohnten die Menschen in den Höhlen der
Berge, und in solchen bestatteten sie auch ihre Todten. Daher die alte Redens¬
art, in den Berg, in den Hügel gehen für Sterben. Die verstorbenen
Stammväter, Helden und Fürsten sitzen oder liegen daher nach der Volks¬
vorstellung im Berge. Den ältesten Germanen wohnten selbst die Götter
in den Bergen, wovon wir in dem "Alten" des Tannhäuserliedes, der offen-


Herr von Räzüns und Graf Hans von Hohensar, und nachdem dieser
Schematismus durch Chroniken, Denkmäler, Schauspiele und Lieder dem
Volke zum politischen Glaubenssätze gemacht war, bildete ihn dasselbe weiter
aus und parodirte ihn zu revolutionären Zwecken. Im Bauernkriege von
1663 stellte sich das gegen Luzern empörte Entlebuch unter drei eingeborne
Bauernobersten und nannte sie als Vorkämpfer und Rächer des gekränkten
Volksrechtes die drei Teilen, Diese waren: Hans Emmenegger von Schüpf-
heim, Christen Schybi von Escholzmatt und Kaspar Steiner, Sigrist zu
Eumen in der Grafschaft Rothenburg. Auch das aargauer Freienamt hatte
an jenem Aufstande theilgenommen und zwar unter drei Führern, die bei
ihren Leuten die Telle, bei den Gegnern aber die Regentensresser hießen.

Im Hintergrunde aller dieser Dreiheiten steht der alte Heidenglaube an
die Fortdauer seiner mythischen Volkshelden, welcher meint, daß dieselben in
einen Berg entrückt und in Zauberschlaf versunken, hülfreich wiederkehren
werden, wenn das Vaterland in Noth ist. Im Seelisberg dicht hinter dem
Rutte schlafen nach dem Volksglauben seit Jahrhunderten die drei Telle, um
in Zukunft die Freiheit noch einmal zu retten. Im Axenberg sitzt der
Schütze Tell, von dem der Volksglaube Aehnliches erwartet. Um luzernisch
Dietwtl an der Reuß heißt es, wenn man in den Bergen Rothhorn und
Enzifluh ein dumpfes Donnern, Kanonenschüssen ähnlich, vernimmt, Prinz
Karli exercire darin mit seiner Armee und werde, sobald der Antichrist erscheine,
herauskommen und ihn schlagen, wobei Gelehrte und Belesene an Karl
den Großen denken; während das Volk vielmehr den Erzherzog Karl, den
aus der Kriegsgeschichte der neunziger Jahre noch immer erinnerlichen Gegner
Napoleons, im Sinne hat, durch dessen momentan glückliche Operationen die
damalige Schweiz, früher französisch gesinnt, schnell gut österreichisch geworden
war. In Tirol verbreitete sich 1848 auf die Nachricht hin, daß die Oester¬
reicher in Italien eine Niederlage erlitten hätten, das Gerücht, der Sandwirth
Hofer lebe im Berge zu Jlsingen oder in der Sarner Scharte und werde das
Volk abermals aufbieten. Verwandte Sagen finden wir unter allen ger¬
manischen Völkern und ebenso unter den Slaven. Wir erinnern an den
Kyffhäuser und an den Untersberg, sowie an den Berg Blanik, in welchem
der Czechenheld Zdenko von Zasnink auf einer Steinbank schläft, um einst
wiederzukommen. Die Erklärung dieser Erzählungen ist nach Rochholz ein¬
fach folgende. In der Urzeit wohnten die Menschen in den Höhlen der
Berge, und in solchen bestatteten sie auch ihre Todten. Daher die alte Redens¬
art, in den Berg, in den Hügel gehen für Sterben. Die verstorbenen
Stammväter, Helden und Fürsten sitzen oder liegen daher nach der Volks¬
vorstellung im Berge. Den ältesten Germanen wohnten selbst die Götter
in den Bergen, wovon wir in dem „Alten" des Tannhäuserliedes, der offen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/138>, abgerufen am 31.05.2024.