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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Wenn wir nun die Ursachen des stattgehabten Ministerwechsels darzu¬
legen suchen, so wird man nach dem, was wir bereits oben ausgeführt
haben, nicht erwarten, daß wir mit minutiösen Eifer irgend einen Einzel¬
vorgang aufstöbern, welcher die Krisis herbeigeführt habe. Was über solche
Einzelvorgänge von der Presse berichtet wurde, gehört doch insgesammt mehr
oder minder in das Gebiet der vagen Vermuthungen und Gerüchte. Abgesehen
jedoch hiervon, würde jeder Einzelvorgang, der den Rücktritt Jolly's zur
Folge gehabt, nur den Moment anzeigen, in welchem der schon lange an¬
gehäufte Zündstoff explodirte. Wir wollen keineswegs einen solchen Einzel¬
vorgang als die nächste, äußerlich greifbare Ursache der Krisis von vorn¬
herein ablehnen, werden vielmehr in unsern betreffenden Ausführungen selbst
einen Einzelvorgang in Anspruch nehmen. Allein derselbe muß auf alle Fälle
der Art sein, daß er sich organisch in den Zusammenhang der die Gesammt-
lage gestaltenden, nicht erst seit gestern bestehenden politischen Stimmungs¬
momente einreihen läßt, und er muß ferner so schwer in die Wagschaale
fallen, daß er für hinreichend befunden wird, ein Ereigniß von weittragenden
Folgen, wie das der Rücktritt eines Ministeriums unter allen Umständen
ist, in Scene zu setzen. Die Sache unter diesen Gesichtspunkt gerückt, ist
nun wohl klar, daß -- wir greifen nur diese zwei Punkte heraus -- weder
die von dem Großherzog gewünschte Ernennung einer dem Fürsten nahe¬
stehenden Persönlichkeit zum Mitglied des Staatsministeriums, welcher Er-
nennung der Staatsminister widersprochen habe, noch auch Differenzen zwischen
letzterem und dem Großherzog bezüglich der Besetzung der Präsidentenstelle
der Oberrechnungskammer als Einzelvorgänge die Krisis heraufbeschworen haben.

Wie gehen weiter und sehen uns nach einer konstitutionellen Noth¬
wendigkeit oder Veranlassung zum Rücktritt des Ministeriums Jolly um.
Sie liegt nicht vor. Zwar ist es kein Geheimniß, daß zwischen dem Mini¬
sterium Jolly und den Führern der national-liberalen Landtagspartei, des
zur Zeit absolut ausschlaggebenden parlamentarischen Factors unseres
Staatslebens, ein inneres, herzliches Einvernehmen schon seit längerer Zeit
nicht mehr bestand, ja, man kann sagen, nie bestanden hat. Die sog. Offen¬
burger Bewegung, welche zu Ende des Jahres 1868 mit direct gegen Jolly
gerichteter Spitze ihre Wogen warf, brachte eine von Beginn der Re¬
gierungsthätigkeit Jolly's an zwischen ihm und den Führern der national¬
liberalen Partei bestehende Mißstimmung zum Ausdruck, und wenn auch
die Mißstimmung allmählig ihren acuten Character verlor, so blieb sie doch
bestehen. Es möge hier unerörtert bleiben, worin dieselbe ihren Grund hatte.
Jolly's eminente staatsmännische Befähigung wird nirgends angezweifelt,
seine energische Hingabe an den nationalen Gedanken, sein consequentes Fest¬
halten der liberalen Pricipien lassen keine Bemäntelung zu. Persönliche


Wenn wir nun die Ursachen des stattgehabten Ministerwechsels darzu¬
legen suchen, so wird man nach dem, was wir bereits oben ausgeführt
haben, nicht erwarten, daß wir mit minutiösen Eifer irgend einen Einzel¬
vorgang aufstöbern, welcher die Krisis herbeigeführt habe. Was über solche
Einzelvorgänge von der Presse berichtet wurde, gehört doch insgesammt mehr
oder minder in das Gebiet der vagen Vermuthungen und Gerüchte. Abgesehen
jedoch hiervon, würde jeder Einzelvorgang, der den Rücktritt Jolly's zur
Folge gehabt, nur den Moment anzeigen, in welchem der schon lange an¬
gehäufte Zündstoff explodirte. Wir wollen keineswegs einen solchen Einzel¬
vorgang als die nächste, äußerlich greifbare Ursache der Krisis von vorn¬
herein ablehnen, werden vielmehr in unsern betreffenden Ausführungen selbst
einen Einzelvorgang in Anspruch nehmen. Allein derselbe muß auf alle Fälle
der Art sein, daß er sich organisch in den Zusammenhang der die Gesammt-
lage gestaltenden, nicht erst seit gestern bestehenden politischen Stimmungs¬
momente einreihen läßt, und er muß ferner so schwer in die Wagschaale
fallen, daß er für hinreichend befunden wird, ein Ereigniß von weittragenden
Folgen, wie das der Rücktritt eines Ministeriums unter allen Umständen
ist, in Scene zu setzen. Die Sache unter diesen Gesichtspunkt gerückt, ist
nun wohl klar, daß — wir greifen nur diese zwei Punkte heraus — weder
die von dem Großherzog gewünschte Ernennung einer dem Fürsten nahe¬
stehenden Persönlichkeit zum Mitglied des Staatsministeriums, welcher Er-
nennung der Staatsminister widersprochen habe, noch auch Differenzen zwischen
letzterem und dem Großherzog bezüglich der Besetzung der Präsidentenstelle
der Oberrechnungskammer als Einzelvorgänge die Krisis heraufbeschworen haben.

Wie gehen weiter und sehen uns nach einer konstitutionellen Noth¬
wendigkeit oder Veranlassung zum Rücktritt des Ministeriums Jolly um.
Sie liegt nicht vor. Zwar ist es kein Geheimniß, daß zwischen dem Mini¬
sterium Jolly und den Führern der national-liberalen Landtagspartei, des
zur Zeit absolut ausschlaggebenden parlamentarischen Factors unseres
Staatslebens, ein inneres, herzliches Einvernehmen schon seit längerer Zeit
nicht mehr bestand, ja, man kann sagen, nie bestanden hat. Die sog. Offen¬
burger Bewegung, welche zu Ende des Jahres 1868 mit direct gegen Jolly
gerichteter Spitze ihre Wogen warf, brachte eine von Beginn der Re¬
gierungsthätigkeit Jolly's an zwischen ihm und den Führern der national¬
liberalen Partei bestehende Mißstimmung zum Ausdruck, und wenn auch
die Mißstimmung allmählig ihren acuten Character verlor, so blieb sie doch
bestehen. Es möge hier unerörtert bleiben, worin dieselbe ihren Grund hatte.
Jolly's eminente staatsmännische Befähigung wird nirgends angezweifelt,
seine energische Hingabe an den nationalen Gedanken, sein consequentes Fest¬
halten der liberalen Pricipien lassen keine Bemäntelung zu. Persönliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/150>, abgerufen am 31.05.2024.