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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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in Frack und Sutane -- was sie Alle, die der nationale Gedanke zur Seite
geschleudert hat, an Stimmung des Unmuths, des Mißbehagens und der
Verbissenheit in sich tragen, das haben sie dem Fürsten nahezubringen gewußt.
Wir wollen kurz sein: an Stelle der opferfreudigen Hingebung an den natio¬
nalen Gedanken trat eine gewisse Zurückhaltung, ein sorgsames Hüten der
noch gebliebenen Souveränität. Sodann ist es offenkundig, daß am Karls¬
ruher Hof. wie behauptet und geglaubt wird, wesentlich in Folge des Ein¬
flusses der in dieser Hinsicht den Traditionen ihres väterlichen Hauses treu¬
ergebener Großherzogin die kirchlich positive Richtung freundlicheren Blickes
beachtet wird, als die z. Z. dominirende liberale Protestantenvereinspartei.
Die Herrschaft dieser Partei, deren kirchenpolitische Principien sich seit dem
Jahre 1860 immer nachdrücklicher verwirklichten, war nicht absolut beliebt.
Die Wirren, welche der unausgesetzte Kampf mit der Curie zur Folge hatte,
wurden unangenehm empfunden. So kam es, daß die im sog. "Kultur¬
kampf" seit dem Jahr 1860 Landtag für Landtag durch tief einschneidende
gesetzgeberische Acte energisch durchgeführte Verwirklichung freisinnigster Prin¬
cipien nicht mehr genehm war. Es bedarf nur der elementarsten Kenntniß
psychologischer Grundgesetze, um verstehen zu können, wie sich bei solcher
Stimmung eine immer schärfere Antipathie gegen den Mann festsetzen mußte,
der die Seele all' dieser Bestrebungen war, dessen unbeugsame Festigkeit auch
nicht das leiseste Abschwenken von der Bahn des nationalen Gedankens ge¬
stattete, dessen zähe Energie die liberalen Principien in rastlos vorwärts
schreitenden Handeln unerbittlich verwirklichte. Der kühnste Vertreter des
nationalen Gedankens, unter dessen Führung Baden jene opferfreudige natio¬
nale Politik befolgt hatte; der energischste Vorkämpfer der liberalen Prin¬
cipien, der diese, den Ultramontanismus mit scharfer Schneide bis ins innerste
Mark treffend, nachdrücklichst analisirte, war nicht mehr persong, ^rata, war
dies vieleicht niemals völlig gewesen. Ein kleiner Anlaß, und die Stimmung
des Unbehagens konnte zum Durchbruch kommen, namentlich einem Mann
wie Jolly gegenüber, an dessen Wesen Strammheit und Energie das Characte-
ristische ist, während eine gewisse diplomatische und höfische Geschmeidigkeit
und Elasticität fehlt. Der Anlaß stellte sich ein. Es ist bekannt, daß der
Großherzog zu Beginn des letzten Landtags nur nach längerem Zaudern
und unter scrupulöser Bedenken -- schon damals hatte eine Minister¬
krisis geschwebt -- die Genehmigung zur Einbringung des Gesetzent¬
wurfs betr. der konfessionellen Volksschulen in confessionell gemischte er¬
theilt hatte. Und ebenso ist Thatsache, daß er sich nur schwer entschließen
konnte, die das Princip der confessionell gemischten Schule schärfer, als die
Regierungsvorlage zum Ausdruck bringenden Aenderungen, welche die zweite
Kammer an dem Gesetzentwurf vornahm, zu genehmigen. Minder bekannt


in Frack und Sutane — was sie Alle, die der nationale Gedanke zur Seite
geschleudert hat, an Stimmung des Unmuths, des Mißbehagens und der
Verbissenheit in sich tragen, das haben sie dem Fürsten nahezubringen gewußt.
Wir wollen kurz sein: an Stelle der opferfreudigen Hingebung an den natio¬
nalen Gedanken trat eine gewisse Zurückhaltung, ein sorgsames Hüten der
noch gebliebenen Souveränität. Sodann ist es offenkundig, daß am Karls¬
ruher Hof. wie behauptet und geglaubt wird, wesentlich in Folge des Ein¬
flusses der in dieser Hinsicht den Traditionen ihres väterlichen Hauses treu¬
ergebener Großherzogin die kirchlich positive Richtung freundlicheren Blickes
beachtet wird, als die z. Z. dominirende liberale Protestantenvereinspartei.
Die Herrschaft dieser Partei, deren kirchenpolitische Principien sich seit dem
Jahre 1860 immer nachdrücklicher verwirklichten, war nicht absolut beliebt.
Die Wirren, welche der unausgesetzte Kampf mit der Curie zur Folge hatte,
wurden unangenehm empfunden. So kam es, daß die im sog. „Kultur¬
kampf" seit dem Jahr 1860 Landtag für Landtag durch tief einschneidende
gesetzgeberische Acte energisch durchgeführte Verwirklichung freisinnigster Prin¬
cipien nicht mehr genehm war. Es bedarf nur der elementarsten Kenntniß
psychologischer Grundgesetze, um verstehen zu können, wie sich bei solcher
Stimmung eine immer schärfere Antipathie gegen den Mann festsetzen mußte,
der die Seele all' dieser Bestrebungen war, dessen unbeugsame Festigkeit auch
nicht das leiseste Abschwenken von der Bahn des nationalen Gedankens ge¬
stattete, dessen zähe Energie die liberalen Principien in rastlos vorwärts
schreitenden Handeln unerbittlich verwirklichte. Der kühnste Vertreter des
nationalen Gedankens, unter dessen Führung Baden jene opferfreudige natio¬
nale Politik befolgt hatte; der energischste Vorkämpfer der liberalen Prin¬
cipien, der diese, den Ultramontanismus mit scharfer Schneide bis ins innerste
Mark treffend, nachdrücklichst analisirte, war nicht mehr persong, ^rata, war
dies vieleicht niemals völlig gewesen. Ein kleiner Anlaß, und die Stimmung
des Unbehagens konnte zum Durchbruch kommen, namentlich einem Mann
wie Jolly gegenüber, an dessen Wesen Strammheit und Energie das Characte-
ristische ist, während eine gewisse diplomatische und höfische Geschmeidigkeit
und Elasticität fehlt. Der Anlaß stellte sich ein. Es ist bekannt, daß der
Großherzog zu Beginn des letzten Landtags nur nach längerem Zaudern
und unter scrupulöser Bedenken — schon damals hatte eine Minister¬
krisis geschwebt — die Genehmigung zur Einbringung des Gesetzent¬
wurfs betr. der konfessionellen Volksschulen in confessionell gemischte er¬
theilt hatte. Und ebenso ist Thatsache, daß er sich nur schwer entschließen
konnte, die das Princip der confessionell gemischten Schule schärfer, als die
Regierungsvorlage zum Ausdruck bringenden Aenderungen, welche die zweite
Kammer an dem Gesetzentwurf vornahm, zu genehmigen. Minder bekannt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/153>, abgerufen am 20.09.2024.