Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zuzueilen, aber es kommt Besuch. Die gute Lebensart verlangt, daß nichts
in unseren Zügen irgend welchen Verdruß über die Vereitelung unsrer Absicht
verrathe. Wir müssen, ohne daß man es merkt, zu Gunsten dessen, den wir
einen ungelegener Besuch zu nennen geneigt sind, das uns in Aussicht
stehende Vergnügen opfern. Egoisten mögen das eine Lüge, eine Verstellung
nennen, bei ihnen ist das möglich. weil bei ihnen die besten Empfindungen
entarten, aber die Grundlage dieses Gebrauchs ist und bleibt ein Gefühl der
Barmherzigkeit. Der so ungelegen Kommende hat, um uns zu besuchen auf
einen andern Gebrauch seiner Zeit verzichtet, er versprach sich ein Vergnügen
von einem Geplauder mit uns. er hat uns vielleicht eine Neuigkeit mitzu¬
theilen oder uns ein Anliegen vorzutragen, es würde eine Enttäuschung für
ihn sein, wenn er darauf verzichten müßte, und es ist unsrerseits Herzens¬
güte, wenn wir selbst, um ihm diese Enttäuschung zu ersparen, auf Pläne
verzichten, die uns Vergnügen versprechen. Je mehr uns das kostet und je
wehr wir verbergen, daß es uns etwas kostet, desto verdienstlicher ist unser
Verhalten."

"An seinem Empfangstage auszugehen, heißt sich der größten UnHöflich¬
keit gegen seine Bekannten schuldig machen. Man muß verstehen, an diesem
Teige seinen Verdruß, seine Un aufgelegtheit und vor Allem seine üble Laune
niederzuhalten und seine Vergnügungen seinethalben zu vertagen. Nur ein
Todesfall oder eine schwere Krankheit in der Familie gestatten und gebieten
eine Ausnahme hiervon." . . Ein junges Mädchen kann in Gemeinschaft
mit einer Erzieherin oder einer älteren Verwandten am Empfangstage des
Hauses ihre Mutter, die unwohl ist, vertreten. Doch werden die Besuchenden,
namentlich die Herren, dann ihren Besuch abkürzen und sich nach einigen allge¬
meinen Redensarten zurückziehen. . ."

"Welche von zwei in einem dritten Hause sich vorgestellten Personen
hat der andern zuerst ihren Besuch zu machen? Man macht wegen einer
bloßen Vorstellung einander keinen Besuch. Diese berechtigt nur dazu, daß
Man sich grüßt oder höchstens, daß man ein paar Worte mit einander spricht,
wenn man sich an einem öffentlichen Orte oder in einem Salon begegnet.
Sehr oft führen Vorstellungen Personen zusammen, die wenig Neigung haben,
wie einander in Beziehung zu treten. Sehr oft ist auch das Gegentheil der
Fall; dann ladet man sich gegenseitig ein, und der erste Einladende empfängt
herauf auch den ersten Besuch. Selbstverständlich hat man, wo die Lebens¬
stellungen nicht gleich sind, abzuwarten, daß die höherstehende Persönlichkeit
^e erste Einladung ausspricht. Wenn man sich näher zu treten wünscht,
wuß man sich beeilen, in der auf die Vorstellung folgenden Woche seinen
desund zu machen. Indem man zu sich einladet, fügt man hinzu: "Ich
°wpfange an dem oder dem Tage." Wenn man seine Karte bei Jemand


zuzueilen, aber es kommt Besuch. Die gute Lebensart verlangt, daß nichts
in unseren Zügen irgend welchen Verdruß über die Vereitelung unsrer Absicht
verrathe. Wir müssen, ohne daß man es merkt, zu Gunsten dessen, den wir
einen ungelegener Besuch zu nennen geneigt sind, das uns in Aussicht
stehende Vergnügen opfern. Egoisten mögen das eine Lüge, eine Verstellung
nennen, bei ihnen ist das möglich. weil bei ihnen die besten Empfindungen
entarten, aber die Grundlage dieses Gebrauchs ist und bleibt ein Gefühl der
Barmherzigkeit. Der so ungelegen Kommende hat, um uns zu besuchen auf
einen andern Gebrauch seiner Zeit verzichtet, er versprach sich ein Vergnügen
von einem Geplauder mit uns. er hat uns vielleicht eine Neuigkeit mitzu¬
theilen oder uns ein Anliegen vorzutragen, es würde eine Enttäuschung für
ihn sein, wenn er darauf verzichten müßte, und es ist unsrerseits Herzens¬
güte, wenn wir selbst, um ihm diese Enttäuschung zu ersparen, auf Pläne
verzichten, die uns Vergnügen versprechen. Je mehr uns das kostet und je
wehr wir verbergen, daß es uns etwas kostet, desto verdienstlicher ist unser
Verhalten."

„An seinem Empfangstage auszugehen, heißt sich der größten UnHöflich¬
keit gegen seine Bekannten schuldig machen. Man muß verstehen, an diesem
Teige seinen Verdruß, seine Un aufgelegtheit und vor Allem seine üble Laune
niederzuhalten und seine Vergnügungen seinethalben zu vertagen. Nur ein
Todesfall oder eine schwere Krankheit in der Familie gestatten und gebieten
eine Ausnahme hiervon." . . Ein junges Mädchen kann in Gemeinschaft
mit einer Erzieherin oder einer älteren Verwandten am Empfangstage des
Hauses ihre Mutter, die unwohl ist, vertreten. Doch werden die Besuchenden,
namentlich die Herren, dann ihren Besuch abkürzen und sich nach einigen allge¬
meinen Redensarten zurückziehen. . ."

„Welche von zwei in einem dritten Hause sich vorgestellten Personen
hat der andern zuerst ihren Besuch zu machen? Man macht wegen einer
bloßen Vorstellung einander keinen Besuch. Diese berechtigt nur dazu, daß
Man sich grüßt oder höchstens, daß man ein paar Worte mit einander spricht,
wenn man sich an einem öffentlichen Orte oder in einem Salon begegnet.
Sehr oft führen Vorstellungen Personen zusammen, die wenig Neigung haben,
wie einander in Beziehung zu treten. Sehr oft ist auch das Gegentheil der
Fall; dann ladet man sich gegenseitig ein, und der erste Einladende empfängt
herauf auch den ersten Besuch. Selbstverständlich hat man, wo die Lebens¬
stellungen nicht gleich sind, abzuwarten, daß die höherstehende Persönlichkeit
^e erste Einladung ausspricht. Wenn man sich näher zu treten wünscht,
wuß man sich beeilen, in der auf die Vorstellung folgenden Woche seinen
desund zu machen. Indem man zu sich einladet, fügt man hinzu: „Ich
°wpfange an dem oder dem Tage." Wenn man seine Karte bei Jemand


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136822"/>
          <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> zuzueilen, aber es kommt Besuch. Die gute Lebensart verlangt, daß nichts<lb/>
in unseren Zügen irgend welchen Verdruß über die Vereitelung unsrer Absicht<lb/>
verrathe. Wir müssen, ohne daß man es merkt, zu Gunsten dessen, den wir<lb/>
einen ungelegener Besuch zu nennen geneigt sind, das uns in Aussicht<lb/>
stehende Vergnügen opfern. Egoisten mögen das eine Lüge, eine Verstellung<lb/>
nennen, bei ihnen ist das möglich. weil bei ihnen die besten Empfindungen<lb/>
entarten, aber die Grundlage dieses Gebrauchs ist und bleibt ein Gefühl der<lb/>
Barmherzigkeit. Der so ungelegen Kommende hat, um uns zu besuchen auf<lb/>
einen andern Gebrauch seiner Zeit verzichtet, er versprach sich ein Vergnügen<lb/>
von einem Geplauder mit uns. er hat uns vielleicht eine Neuigkeit mitzu¬<lb/>
theilen oder uns ein Anliegen vorzutragen, es würde eine Enttäuschung für<lb/>
ihn sein, wenn er darauf verzichten müßte, und es ist unsrerseits Herzens¬<lb/>
güte, wenn wir selbst, um ihm diese Enttäuschung zu ersparen, auf Pläne<lb/>
verzichten, die uns Vergnügen versprechen. Je mehr uns das kostet und je<lb/>
wehr wir verbergen, daß es uns etwas kostet, desto verdienstlicher ist unser<lb/>
Verhalten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> &#x201E;An seinem Empfangstage auszugehen, heißt sich der größten UnHöflich¬<lb/>
keit gegen seine Bekannten schuldig machen. Man muß verstehen, an diesem<lb/>
Teige seinen Verdruß, seine Un aufgelegtheit und vor Allem seine üble Laune<lb/>
niederzuhalten und seine Vergnügungen seinethalben zu vertagen. Nur ein<lb/>
Todesfall oder eine schwere Krankheit in der Familie gestatten und gebieten<lb/>
eine Ausnahme hiervon." . . Ein junges Mädchen kann in Gemeinschaft<lb/>
mit einer Erzieherin oder einer älteren Verwandten am Empfangstage des<lb/>
Hauses ihre Mutter, die unwohl ist, vertreten. Doch werden die Besuchenden,<lb/>
namentlich die Herren, dann ihren Besuch abkürzen und sich nach einigen allge¬<lb/>
meinen Redensarten zurückziehen. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> &#x201E;Welche von zwei in einem dritten Hause sich vorgestellten Personen<lb/>
hat der andern zuerst ihren Besuch zu machen? Man macht wegen einer<lb/>
bloßen Vorstellung einander keinen Besuch. Diese berechtigt nur dazu, daß<lb/>
Man sich grüßt oder höchstens, daß man ein paar Worte mit einander spricht,<lb/>
wenn man sich an einem öffentlichen Orte oder in einem Salon begegnet.<lb/>
Sehr oft führen Vorstellungen Personen zusammen, die wenig Neigung haben,<lb/>
wie einander in Beziehung zu treten. Sehr oft ist auch das Gegentheil der<lb/>
Fall; dann ladet man sich gegenseitig ein, und der erste Einladende empfängt<lb/>
herauf auch den ersten Besuch. Selbstverständlich hat man, wo die Lebens¬<lb/>
stellungen nicht gleich sind, abzuwarten, daß die höherstehende Persönlichkeit<lb/>
^e erste Einladung ausspricht. Wenn man sich näher zu treten wünscht,<lb/>
wuß man sich beeilen, in der auf die Vorstellung folgenden Woche seinen<lb/>
desund zu machen. Indem man zu sich einladet, fügt man hinzu: &#x201E;Ich<lb/>
°wpfange an dem oder dem Tage." Wenn man seine Karte bei Jemand</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] zuzueilen, aber es kommt Besuch. Die gute Lebensart verlangt, daß nichts in unseren Zügen irgend welchen Verdruß über die Vereitelung unsrer Absicht verrathe. Wir müssen, ohne daß man es merkt, zu Gunsten dessen, den wir einen ungelegener Besuch zu nennen geneigt sind, das uns in Aussicht stehende Vergnügen opfern. Egoisten mögen das eine Lüge, eine Verstellung nennen, bei ihnen ist das möglich. weil bei ihnen die besten Empfindungen entarten, aber die Grundlage dieses Gebrauchs ist und bleibt ein Gefühl der Barmherzigkeit. Der so ungelegen Kommende hat, um uns zu besuchen auf einen andern Gebrauch seiner Zeit verzichtet, er versprach sich ein Vergnügen von einem Geplauder mit uns. er hat uns vielleicht eine Neuigkeit mitzu¬ theilen oder uns ein Anliegen vorzutragen, es würde eine Enttäuschung für ihn sein, wenn er darauf verzichten müßte, und es ist unsrerseits Herzens¬ güte, wenn wir selbst, um ihm diese Enttäuschung zu ersparen, auf Pläne verzichten, die uns Vergnügen versprechen. Je mehr uns das kostet und je wehr wir verbergen, daß es uns etwas kostet, desto verdienstlicher ist unser Verhalten." „An seinem Empfangstage auszugehen, heißt sich der größten UnHöflich¬ keit gegen seine Bekannten schuldig machen. Man muß verstehen, an diesem Teige seinen Verdruß, seine Un aufgelegtheit und vor Allem seine üble Laune niederzuhalten und seine Vergnügungen seinethalben zu vertagen. Nur ein Todesfall oder eine schwere Krankheit in der Familie gestatten und gebieten eine Ausnahme hiervon." . . Ein junges Mädchen kann in Gemeinschaft mit einer Erzieherin oder einer älteren Verwandten am Empfangstage des Hauses ihre Mutter, die unwohl ist, vertreten. Doch werden die Besuchenden, namentlich die Herren, dann ihren Besuch abkürzen und sich nach einigen allge¬ meinen Redensarten zurückziehen. . ." „Welche von zwei in einem dritten Hause sich vorgestellten Personen hat der andern zuerst ihren Besuch zu machen? Man macht wegen einer bloßen Vorstellung einander keinen Besuch. Diese berechtigt nur dazu, daß Man sich grüßt oder höchstens, daß man ein paar Worte mit einander spricht, wenn man sich an einem öffentlichen Orte oder in einem Salon begegnet. Sehr oft führen Vorstellungen Personen zusammen, die wenig Neigung haben, wie einander in Beziehung zu treten. Sehr oft ist auch das Gegentheil der Fall; dann ladet man sich gegenseitig ein, und der erste Einladende empfängt herauf auch den ersten Besuch. Selbstverständlich hat man, wo die Lebens¬ stellungen nicht gleich sind, abzuwarten, daß die höherstehende Persönlichkeit ^e erste Einladung ausspricht. Wenn man sich näher zu treten wünscht, wuß man sich beeilen, in der auf die Vorstellung folgenden Woche seinen desund zu machen. Indem man zu sich einladet, fügt man hinzu: „Ich °wpfange an dem oder dem Tage." Wenn man seine Karte bei Jemand

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/183>, abgerufen am 15.05.2024.