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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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will. Man steckt sie dann in die Tasche. Wenn man Leute sie an Wirths¬
tafeln in ein Glas legen sieht, so verstößt das entschieden gegen das Her¬
kommen und den guten Geschmack. Man darf auch die Handschuhe nicht
sofort, nachdem man mit dem Essen des Desserts zu Ende ist, wieder anlegen,
weil das aussähe, als wollte man die Frau vom Hause drängen, das Zeichen
zum Aufstehen zu geben. Aber man zieht sie an, sobald man in den Salon
zurückgekehrt ist. Ein junges Mädchen, welches ein Musikstück vorzutragen
im Begriff ist, legt die Handschuhe ab, sobald sie sich an das Instrument gesetzt
hat, und zieht sie wieder an, wenn sie auf ihren Platz zurückgekehrt ist. Beim
Thee behält man die Handschuhe an. desgleichen bei einem kalten Frühstück oder
Abendbrod. Unter keinem Vorwand darf man ohne Handschuhe tanzen,
auch nicht die eine Hand entblößt; das ist weder Damen noch Herren ge¬
stattet. Dagegen dürfen letztere die linke Hand entblößen, wenn geraucht
wird. Ganz aus der Mode gekommen ist, daß die Damen ihr Taschentuch
in der Hand halten, wenn sie zu Besuch oder sonst in Gesellschaft sind." . .

.Ich hörte einmal eine Dame, die Grund hatte, sich für eine vornehme
Persönlichkeit zu halten, die Aeußerung thun, daß sie die Gabe besitze, ganz
genau den Gruß zu erwidern, der ihr zu Theil werde; d. h. wenn man
sie durch Neigen des Kopfes grüßte, so erwiderte sie dieß mit einem Kopf¬
nicken, wenn man ihr eine Verbeugung machte, so bekam man auch von ihr
eine solche. Es liegt etwas Richtiges in diesem Gedanken, dennoch aber muß
er modificirt werden. Unsere Würde verlangt, daß wir dem. der uns beim
Begegnen eine hochmüthige, kalte oder geringschätzige Miene oder Geberde
zeigt, nicht demüthig oder freundschaftlich begrüßen, und von diesem Gesichts-
punkte aus muß man seinen Gruß nach dem einrichten, der uns geboten
wird. Aber man braucht den Gruß des Andern nicht zu copiren und des¬
halb, weil jemand sich gemein beträgt oder die gute Sitte nicht kennt, es ihm
nachzuthun. Im Gegentheil, man gebe ihm eine Lection, indem man selbst
edler und vornehmer bleibt als er.

Die Art, wie jemand grüßt, giebt seine vornehme oder ordinäre Denk¬
weise viel deutlicher kund als Worte; die Art, wie jemand uns die Hand
drückt, ist häusig das Barometer des Herzens. Obwohl es auf Seiten von
Leuten, die der feinen Welt angehören wollen, eine Ziererei ist, wenn sie die
ihnen entgegengestreckte Hand kaum streifen, so liegt darin auch eine solche
Kälte, eine Gleichgültigkeit oder eine so eisige Zurückhaltung, daß ich meines-
theils vorziehe, die Hand gar nicht zu berühren, als sie so zu berühren oder
vielmehr mich so berühren zu lassen. Wenn man so vertraut mit einander
ist, daß man sich mit einem Händedrucke begrüßt, so empfindet man eben
genug Freundschaft für einander, um es mit Herzlichkeit zu thun. Wenigstens


will. Man steckt sie dann in die Tasche. Wenn man Leute sie an Wirths¬
tafeln in ein Glas legen sieht, so verstößt das entschieden gegen das Her¬
kommen und den guten Geschmack. Man darf auch die Handschuhe nicht
sofort, nachdem man mit dem Essen des Desserts zu Ende ist, wieder anlegen,
weil das aussähe, als wollte man die Frau vom Hause drängen, das Zeichen
zum Aufstehen zu geben. Aber man zieht sie an, sobald man in den Salon
zurückgekehrt ist. Ein junges Mädchen, welches ein Musikstück vorzutragen
im Begriff ist, legt die Handschuhe ab, sobald sie sich an das Instrument gesetzt
hat, und zieht sie wieder an, wenn sie auf ihren Platz zurückgekehrt ist. Beim
Thee behält man die Handschuhe an. desgleichen bei einem kalten Frühstück oder
Abendbrod. Unter keinem Vorwand darf man ohne Handschuhe tanzen,
auch nicht die eine Hand entblößt; das ist weder Damen noch Herren ge¬
stattet. Dagegen dürfen letztere die linke Hand entblößen, wenn geraucht
wird. Ganz aus der Mode gekommen ist, daß die Damen ihr Taschentuch
in der Hand halten, wenn sie zu Besuch oder sonst in Gesellschaft sind." . .

.Ich hörte einmal eine Dame, die Grund hatte, sich für eine vornehme
Persönlichkeit zu halten, die Aeußerung thun, daß sie die Gabe besitze, ganz
genau den Gruß zu erwidern, der ihr zu Theil werde; d. h. wenn man
sie durch Neigen des Kopfes grüßte, so erwiderte sie dieß mit einem Kopf¬
nicken, wenn man ihr eine Verbeugung machte, so bekam man auch von ihr
eine solche. Es liegt etwas Richtiges in diesem Gedanken, dennoch aber muß
er modificirt werden. Unsere Würde verlangt, daß wir dem. der uns beim
Begegnen eine hochmüthige, kalte oder geringschätzige Miene oder Geberde
zeigt, nicht demüthig oder freundschaftlich begrüßen, und von diesem Gesichts-
punkte aus muß man seinen Gruß nach dem einrichten, der uns geboten
wird. Aber man braucht den Gruß des Andern nicht zu copiren und des¬
halb, weil jemand sich gemein beträgt oder die gute Sitte nicht kennt, es ihm
nachzuthun. Im Gegentheil, man gebe ihm eine Lection, indem man selbst
edler und vornehmer bleibt als er.

Die Art, wie jemand grüßt, giebt seine vornehme oder ordinäre Denk¬
weise viel deutlicher kund als Worte; die Art, wie jemand uns die Hand
drückt, ist häusig das Barometer des Herzens. Obwohl es auf Seiten von
Leuten, die der feinen Welt angehören wollen, eine Ziererei ist, wenn sie die
ihnen entgegengestreckte Hand kaum streifen, so liegt darin auch eine solche
Kälte, eine Gleichgültigkeit oder eine so eisige Zurückhaltung, daß ich meines-
theils vorziehe, die Hand gar nicht zu berühren, als sie so zu berühren oder
vielmehr mich so berühren zu lassen. Wenn man so vertraut mit einander
ist, daß man sich mit einem Händedrucke begrüßt, so empfindet man eben
genug Freundschaft für einander, um es mit Herzlichkeit zu thun. Wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/185>, abgerufen am 15.05.2024.