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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Bedeutung. Kant sagt, das Ich begleitet alle meine Vorstellungen. Lazarus
reißt das Ich aus dem Bedtentenverhältniß heraus und macht das Ich zur
einheitlich wirkenden nach außen sich bethätigenden Kraft zur Jchheit selbst.
Nur in Betreff der Erkennbarkeit des Dings an sich und namentlich Gottes
geht Lazarus nicht über den Standpunkt Kant's hinaus. Dieser Tadel ist
dem Buche Lazarus' nicht zu ersparen.

Noch möchte ich bei der Bedeutung der Schrift von ihrer Sprache reden.
Sie liefert den Beweis, daß auch der Deutsche im Stande ist, abstracte
philosophische Stoffe in schöner Rede und klarer Lebendigkeit zu behandeln.
So licht und klar ist seine Rede, so einfach und bei aller Strenge des Denkens
so zwanglos sind seine philosophischen Folgerungen, daß das Buch verständ¬
lich ist für alle, welche als Gebildete die für Gebildete geschriebenen Bücher
lesen und kaufen. Und wenn Prof. Neuleaux jüngst das schroffe Wort aus¬
sprach: der Deutsche wolle nur schlechte und billige Waare; so möchte ich
Lazarus' Buch als einen anderen Werthmesser achten und sagen: wenn dieses
Buch keine Aufnahme findet, so ist es ein Zeichen, daß der Deutsche nur an
negirenden und zersetzenden Schriften Freude hat. Denn bei der Meister¬
schaft seiner Darstellung und Sprache würde Lazarus' Leben der Seele in 2
Jahren 19 Auflagen erlebt haben, wie jetzt umgekehrt 2 in 19 Jahren, wenn
es in der negirenden Weise jener Männer geschrieben wäre, deren populärer
Ruhm so reich ist, daß ich ihn durch Namennennung nicht zu vermehren
brauche. -- Ich verfolge nun einzelne Abhandlungen des Buches.

Bildung und Wissenschaft. Auf den ersten Anblick erscheint die
Zusammenstellung der einzelnen Capitel von Lazarus' Schrift -- Bildung
und Wissenschaft -- Ehre und Ruhm -- der Humor -- der Einzelne
und das Allgemeine -- eine sehr zusammenhangslose. Aber in dieser
scheinbar zwangslosen Anordnung ist systematischer Fortgang. Bildung
und Wissenschaft führen das Material vor, durch welches und in welcher
Weise die entwicklungsfähige Seele sich zu bilden hat. Ehre und Ruhm
betrachtet die Seele als das Selbst oder Ich, das die Bildung erstrebt.
Der Humor betrachtet die verschiedenen Weltanschauungen, zu denen das Ich
unter den Einflüssen der umgebenden Welt gelangen kann. Im Verhältniß des
Einzelnen zum Allgemeinen wird der Mensch als das Glied der Gesellschaft
betrachtet und damit zugleich der reale Boden der Entwickelung der Seele.

Der Entdecker der Völkerpsychologie versetzt uns in seiner ersten Unter-
suchung sofort in die Anschauungen der Völker. Der Begriff der Bildung,
wie er bei den Deutschen gedacht werde, sei bei den übrigen Nationen nicht
als ein einziger Begriff vorhanden; den älteren, auch den classischen Völ¬
kern habe der Begriff und auch die Sache größtentheils gefehlt (S> 5). Zwar


Bedeutung. Kant sagt, das Ich begleitet alle meine Vorstellungen. Lazarus
reißt das Ich aus dem Bedtentenverhältniß heraus und macht das Ich zur
einheitlich wirkenden nach außen sich bethätigenden Kraft zur Jchheit selbst.
Nur in Betreff der Erkennbarkeit des Dings an sich und namentlich Gottes
geht Lazarus nicht über den Standpunkt Kant's hinaus. Dieser Tadel ist
dem Buche Lazarus' nicht zu ersparen.

Noch möchte ich bei der Bedeutung der Schrift von ihrer Sprache reden.
Sie liefert den Beweis, daß auch der Deutsche im Stande ist, abstracte
philosophische Stoffe in schöner Rede und klarer Lebendigkeit zu behandeln.
So licht und klar ist seine Rede, so einfach und bei aller Strenge des Denkens
so zwanglos sind seine philosophischen Folgerungen, daß das Buch verständ¬
lich ist für alle, welche als Gebildete die für Gebildete geschriebenen Bücher
lesen und kaufen. Und wenn Prof. Neuleaux jüngst das schroffe Wort aus¬
sprach: der Deutsche wolle nur schlechte und billige Waare; so möchte ich
Lazarus' Buch als einen anderen Werthmesser achten und sagen: wenn dieses
Buch keine Aufnahme findet, so ist es ein Zeichen, daß der Deutsche nur an
negirenden und zersetzenden Schriften Freude hat. Denn bei der Meister¬
schaft seiner Darstellung und Sprache würde Lazarus' Leben der Seele in 2
Jahren 19 Auflagen erlebt haben, wie jetzt umgekehrt 2 in 19 Jahren, wenn
es in der negirenden Weise jener Männer geschrieben wäre, deren populärer
Ruhm so reich ist, daß ich ihn durch Namennennung nicht zu vermehren
brauche. — Ich verfolge nun einzelne Abhandlungen des Buches.

Bildung und Wissenschaft. Auf den ersten Anblick erscheint die
Zusammenstellung der einzelnen Capitel von Lazarus' Schrift — Bildung
und Wissenschaft — Ehre und Ruhm — der Humor — der Einzelne
und das Allgemeine — eine sehr zusammenhangslose. Aber in dieser
scheinbar zwangslosen Anordnung ist systematischer Fortgang. Bildung
und Wissenschaft führen das Material vor, durch welches und in welcher
Weise die entwicklungsfähige Seele sich zu bilden hat. Ehre und Ruhm
betrachtet die Seele als das Selbst oder Ich, das die Bildung erstrebt.
Der Humor betrachtet die verschiedenen Weltanschauungen, zu denen das Ich
unter den Einflüssen der umgebenden Welt gelangen kann. Im Verhältniß des
Einzelnen zum Allgemeinen wird der Mensch als das Glied der Gesellschaft
betrachtet und damit zugleich der reale Boden der Entwickelung der Seele.

Der Entdecker der Völkerpsychologie versetzt uns in seiner ersten Unter-
suchung sofort in die Anschauungen der Völker. Der Begriff der Bildung,
wie er bei den Deutschen gedacht werde, sei bei den übrigen Nationen nicht
als ein einziger Begriff vorhanden; den älteren, auch den classischen Völ¬
kern habe der Begriff und auch die Sache größtentheils gefehlt (S> 5). Zwar


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[0194] Bedeutung. Kant sagt, das Ich begleitet alle meine Vorstellungen. Lazarus reißt das Ich aus dem Bedtentenverhältniß heraus und macht das Ich zur einheitlich wirkenden nach außen sich bethätigenden Kraft zur Jchheit selbst. Nur in Betreff der Erkennbarkeit des Dings an sich und namentlich Gottes geht Lazarus nicht über den Standpunkt Kant's hinaus. Dieser Tadel ist dem Buche Lazarus' nicht zu ersparen. Noch möchte ich bei der Bedeutung der Schrift von ihrer Sprache reden. Sie liefert den Beweis, daß auch der Deutsche im Stande ist, abstracte philosophische Stoffe in schöner Rede und klarer Lebendigkeit zu behandeln. So licht und klar ist seine Rede, so einfach und bei aller Strenge des Denkens so zwanglos sind seine philosophischen Folgerungen, daß das Buch verständ¬ lich ist für alle, welche als Gebildete die für Gebildete geschriebenen Bücher lesen und kaufen. Und wenn Prof. Neuleaux jüngst das schroffe Wort aus¬ sprach: der Deutsche wolle nur schlechte und billige Waare; so möchte ich Lazarus' Buch als einen anderen Werthmesser achten und sagen: wenn dieses Buch keine Aufnahme findet, so ist es ein Zeichen, daß der Deutsche nur an negirenden und zersetzenden Schriften Freude hat. Denn bei der Meister¬ schaft seiner Darstellung und Sprache würde Lazarus' Leben der Seele in 2 Jahren 19 Auflagen erlebt haben, wie jetzt umgekehrt 2 in 19 Jahren, wenn es in der negirenden Weise jener Männer geschrieben wäre, deren populärer Ruhm so reich ist, daß ich ihn durch Namennennung nicht zu vermehren brauche. — Ich verfolge nun einzelne Abhandlungen des Buches. Bildung und Wissenschaft. Auf den ersten Anblick erscheint die Zusammenstellung der einzelnen Capitel von Lazarus' Schrift — Bildung und Wissenschaft — Ehre und Ruhm — der Humor — der Einzelne und das Allgemeine — eine sehr zusammenhangslose. Aber in dieser scheinbar zwangslosen Anordnung ist systematischer Fortgang. Bildung und Wissenschaft führen das Material vor, durch welches und in welcher Weise die entwicklungsfähige Seele sich zu bilden hat. Ehre und Ruhm betrachtet die Seele als das Selbst oder Ich, das die Bildung erstrebt. Der Humor betrachtet die verschiedenen Weltanschauungen, zu denen das Ich unter den Einflüssen der umgebenden Welt gelangen kann. Im Verhältniß des Einzelnen zum Allgemeinen wird der Mensch als das Glied der Gesellschaft betrachtet und damit zugleich der reale Boden der Entwickelung der Seele. Der Entdecker der Völkerpsychologie versetzt uns in seiner ersten Unter- suchung sofort in die Anschauungen der Völker. Der Begriff der Bildung, wie er bei den Deutschen gedacht werde, sei bei den übrigen Nationen nicht als ein einziger Begriff vorhanden; den älteren, auch den classischen Völ¬ kern habe der Begriff und auch die Sache größtentheils gefehlt (S> 5). Zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/194>, abgerufen am 05.06.2024.