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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Trauringe haben vielleicht ursprünglich amuletartige Bedeutung gehabt, sicher
wenigstens haben sie eine solche Bedeutung in der Volksmeinung hier und da
gewonnen und zum Theil bis jetzt behauptet.

Mehr Gewalt als alle Zauberstabe schloß nach rabbinischen und arabischen
Ueberlieferungen der berühmte Ring Salomos ein. Jene Traditionen erzählen
von ihm, daß er den König zum Beherrscher der gesammten Geisterwelt
machte, daß er ihm den Himmel öffnete, und daß er ihn stets weise und ge¬
rechte Urtheile fällen ließ. Im Talmud aber lesen wir von ihm Folgendes.
Nachdem Salomo Sidon eingenommen und den König dieser Stadt getödtet
hatte, führte er dessen Tochter Jerada hinweg und machte sie zu seinem Kebs¬
weibe. Da sie den Verlust ihres Vaters zu betrauern nicht aufhörte, ließ er
die Dämonen ein Bild von ihm verfertigen, um sie zu trösten, und nachdem
er dasselbe in ihre Kammer gethan, beteten sie und ihre Mägde es nach der
Sitte ihres Landes jeden Morgen und Abend an. Salomo, von Asif, seinem
obersten Rathe, von dieser Götzendieners unter seinem Dache benachrichtigt,
zerbrach das Bild und ging, nachdem er die Weiber bestraft, hinaus in die
Wüste, wo er Gott weinend um Vergebung wegen seiner Nachlässigkeit an¬
rief. Der Herr aber gedachte dieselbe nicht ungeahndet zu lassen. Salomo
hatte die Gewohnheit, wenn er in's Bad ging, seinen Siegelring (auf dem
sich der Sehern Hamphorasch, der unaussprechliche Name Gottes, befand, und
von dem seine ganze Macht abhing) in der Obhut der Jüdin Anima, eines
andern Kebsweibes von ihm, zurückzulassen. Eines Tages kam zu dieser ein
Dämon Namens Sandar, der die Gestalt des Königs angenommen hatte,
und empfing von ihr den Ring, mit dessen Hülfe er nun die Gewalt an sich
riß, während Salomo als unbekannter Bettler das Land durchwanderte.
Endlich, nach Verlauf von vierzig Tagen (so lange hatte auch das götzen¬
dienerische Treiben im Hause des Königs gedauert) flog der Dämon davon
und warf den Ring ins Meer. Hier aber verschlang ihn ein Fisch, der bald
darauf gefangen und Salomo gegeben wurde. In seinem Bauche fand sich
der Ring wieder, mit dessen Besitz der König die Herrschaft wieder erlangte.
Sandar wurde darauf ergriffen, und Salomo band ihm einen großen Stein
an den Hals und versenkte ihn in den See von Tiberias.

Der Lyder Gyges besaß einen Ring mit einem Steine, der ihn un¬
sichtbar machte, und mit dessen Hülfe er den König Kandaules des Thrones
beraubte.

Viel Aufregung rief im Mittelalter in einigen italienischen Städten die
Entdeckung des Trauringes hervor, mit welchem Sanct Joseph sich die Jung'
frau Maria vermählt hatte. Die Legende erzählt: Im Jahre 996 schickte
Judith, die Gemahlin des Markgrafen Hugo von Etrurien, den Goldschmied
Ranerius nach Rom, um Edelsteine für sie einzukaufen. Hier machte dieser


Trauringe haben vielleicht ursprünglich amuletartige Bedeutung gehabt, sicher
wenigstens haben sie eine solche Bedeutung in der Volksmeinung hier und da
gewonnen und zum Theil bis jetzt behauptet.

Mehr Gewalt als alle Zauberstabe schloß nach rabbinischen und arabischen
Ueberlieferungen der berühmte Ring Salomos ein. Jene Traditionen erzählen
von ihm, daß er den König zum Beherrscher der gesammten Geisterwelt
machte, daß er ihm den Himmel öffnete, und daß er ihn stets weise und ge¬
rechte Urtheile fällen ließ. Im Talmud aber lesen wir von ihm Folgendes.
Nachdem Salomo Sidon eingenommen und den König dieser Stadt getödtet
hatte, führte er dessen Tochter Jerada hinweg und machte sie zu seinem Kebs¬
weibe. Da sie den Verlust ihres Vaters zu betrauern nicht aufhörte, ließ er
die Dämonen ein Bild von ihm verfertigen, um sie zu trösten, und nachdem
er dasselbe in ihre Kammer gethan, beteten sie und ihre Mägde es nach der
Sitte ihres Landes jeden Morgen und Abend an. Salomo, von Asif, seinem
obersten Rathe, von dieser Götzendieners unter seinem Dache benachrichtigt,
zerbrach das Bild und ging, nachdem er die Weiber bestraft, hinaus in die
Wüste, wo er Gott weinend um Vergebung wegen seiner Nachlässigkeit an¬
rief. Der Herr aber gedachte dieselbe nicht ungeahndet zu lassen. Salomo
hatte die Gewohnheit, wenn er in's Bad ging, seinen Siegelring (auf dem
sich der Sehern Hamphorasch, der unaussprechliche Name Gottes, befand, und
von dem seine ganze Macht abhing) in der Obhut der Jüdin Anima, eines
andern Kebsweibes von ihm, zurückzulassen. Eines Tages kam zu dieser ein
Dämon Namens Sandar, der die Gestalt des Königs angenommen hatte,
und empfing von ihr den Ring, mit dessen Hülfe er nun die Gewalt an sich
riß, während Salomo als unbekannter Bettler das Land durchwanderte.
Endlich, nach Verlauf von vierzig Tagen (so lange hatte auch das götzen¬
dienerische Treiben im Hause des Königs gedauert) flog der Dämon davon
und warf den Ring ins Meer. Hier aber verschlang ihn ein Fisch, der bald
darauf gefangen und Salomo gegeben wurde. In seinem Bauche fand sich
der Ring wieder, mit dessen Besitz der König die Herrschaft wieder erlangte.
Sandar wurde darauf ergriffen, und Salomo band ihm einen großen Stein
an den Hals und versenkte ihn in den See von Tiberias.

Der Lyder Gyges besaß einen Ring mit einem Steine, der ihn un¬
sichtbar machte, und mit dessen Hülfe er den König Kandaules des Thrones
beraubte.

Viel Aufregung rief im Mittelalter in einigen italienischen Städten die
Entdeckung des Trauringes hervor, mit welchem Sanct Joseph sich die Jung'
frau Maria vermählt hatte. Die Legende erzählt: Im Jahre 996 schickte
Judith, die Gemahlin des Markgrafen Hugo von Etrurien, den Goldschmied
Ranerius nach Rom, um Edelsteine für sie einzukaufen. Hier machte dieser


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[0206] Trauringe haben vielleicht ursprünglich amuletartige Bedeutung gehabt, sicher wenigstens haben sie eine solche Bedeutung in der Volksmeinung hier und da gewonnen und zum Theil bis jetzt behauptet. Mehr Gewalt als alle Zauberstabe schloß nach rabbinischen und arabischen Ueberlieferungen der berühmte Ring Salomos ein. Jene Traditionen erzählen von ihm, daß er den König zum Beherrscher der gesammten Geisterwelt machte, daß er ihm den Himmel öffnete, und daß er ihn stets weise und ge¬ rechte Urtheile fällen ließ. Im Talmud aber lesen wir von ihm Folgendes. Nachdem Salomo Sidon eingenommen und den König dieser Stadt getödtet hatte, führte er dessen Tochter Jerada hinweg und machte sie zu seinem Kebs¬ weibe. Da sie den Verlust ihres Vaters zu betrauern nicht aufhörte, ließ er die Dämonen ein Bild von ihm verfertigen, um sie zu trösten, und nachdem er dasselbe in ihre Kammer gethan, beteten sie und ihre Mägde es nach der Sitte ihres Landes jeden Morgen und Abend an. Salomo, von Asif, seinem obersten Rathe, von dieser Götzendieners unter seinem Dache benachrichtigt, zerbrach das Bild und ging, nachdem er die Weiber bestraft, hinaus in die Wüste, wo er Gott weinend um Vergebung wegen seiner Nachlässigkeit an¬ rief. Der Herr aber gedachte dieselbe nicht ungeahndet zu lassen. Salomo hatte die Gewohnheit, wenn er in's Bad ging, seinen Siegelring (auf dem sich der Sehern Hamphorasch, der unaussprechliche Name Gottes, befand, und von dem seine ganze Macht abhing) in der Obhut der Jüdin Anima, eines andern Kebsweibes von ihm, zurückzulassen. Eines Tages kam zu dieser ein Dämon Namens Sandar, der die Gestalt des Königs angenommen hatte, und empfing von ihr den Ring, mit dessen Hülfe er nun die Gewalt an sich riß, während Salomo als unbekannter Bettler das Land durchwanderte. Endlich, nach Verlauf von vierzig Tagen (so lange hatte auch das götzen¬ dienerische Treiben im Hause des Königs gedauert) flog der Dämon davon und warf den Ring ins Meer. Hier aber verschlang ihn ein Fisch, der bald darauf gefangen und Salomo gegeben wurde. In seinem Bauche fand sich der Ring wieder, mit dessen Besitz der König die Herrschaft wieder erlangte. Sandar wurde darauf ergriffen, und Salomo band ihm einen großen Stein an den Hals und versenkte ihn in den See von Tiberias. Der Lyder Gyges besaß einen Ring mit einem Steine, der ihn un¬ sichtbar machte, und mit dessen Hülfe er den König Kandaules des Thrones beraubte. Viel Aufregung rief im Mittelalter in einigen italienischen Städten die Entdeckung des Trauringes hervor, mit welchem Sanct Joseph sich die Jung' frau Maria vermählt hatte. Die Legende erzählt: Im Jahre 996 schickte Judith, die Gemahlin des Markgrafen Hugo von Etrurien, den Goldschmied Ranerius nach Rom, um Edelsteine für sie einzukaufen. Hier machte dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/206>, abgerufen am 15.05.2024.