Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In England herrschte im Mittelalter der Aberglaube, daß die Könige
des Landes Ringe segnen könnten, die gegen tonische Krämpfe und die fallende
Sucht gut seien, welche letztere deshalb "das Uebel des Königs" hieß. Die¬
selben wurden von ihnen am Charfreitage geweiht und bestanden aus dem
Metall der Opfergabe, welche der Monarch an jenem Tage auf den Altar
legte. Die segnende Kraft stammte der Ueberlieferung zufolge von einem
Sapphir in der englischen Krone, der Eduard dem Bekenner gehört hatte.
Die Ceremonie der Weihung, nachweislich noch unter Heinrich dem Vierten
vollzogen, unter Eduard dem Sechsten abgeschafft, später aber von der Königin
Maria wieder geübt, begann mit Absingung des Psalms: "vsus misörLÄtur
u08tri". Dann folgte ein Gebet, welches die Hülfe des heiligen Geistes an¬
rief und darauf die Weihe der in einem Becken liegenden Ringe, aus deren
Worten wir ersehen, daß sie "alles Schlangengift austreiben" sollten, und
bei der unter Anrufung des Gottes Abrahams, Jsaaks und Jakobs ein
Kreuz über sie gemacht wurde, dann kam ein Psalm voll Segensworte und
ein Gebet gegen die Arglist der Teufel, Darauf rieb der König die Ringe
zwischen den Händen, wozu er sagte, die Kraft des heiligen Oeles, mit dem
er gesalbt worden, möge sich in deren Metall ergießen und sie durch Gottes
Gnade wirksam machen. Der Glaube an die Heilkraft derartiger Ringe
war auch unter Vornehmen verbreitet. 1618 erbittet sich Lord Berners, der
britische Gesandte am Hofe Karls des Fünften, von Saragossa aus bei dem
Lordkanzler eine Anzahl Krampfringe, und 1S29 empfängt Gardiner in Rom
einige, um sie unter die Mitglieder der dortigen englischen Gesandtschaft
zu vertheilen."

Weit verbreitet in Deutschland und England ist der Glaube, daß ein
goldner Trauring schlimme Augen und besonders das sogenannte Gersten¬
korn heile, wenn die leidende Stelle damit berührt werde. Ja in Sommer-
setshire heilen Wunden schon, wenn sie nur mit dem Ringfinger bestrichen
werden. In Rußland herrscht die Sitte, den Regen, der während eines Ge¬
witters fällt, in einer Schüssel aufzufangen, auf deren Boden ein Ring ge¬
legt worden ist. Das Wasser erlangt dadurch Heilkraft. Im Gouvernement
Riäsan gilt Wasser, das durch einen Trauring gegossen worden ist, für ein
Waschmittel, welches eine zarte Haut erzeugt. In Kleinrußland giebt bei
Hochzeiten die Braut dem Bräutigam aus einem Glase oder einer Tasse, in
welcher ein Ring liegt, Wein zu trinken.

Ein Trauring, der zerbricht oder verloren geht, bedeutet ein nahes Un¬
glück oder den Tod des andern Gatten. Viele Frauen in Deutschland und
anderwärts trennen sich auch beim Waschen oder andern Gelegenheiten nicht
von ihrem Eheringe, indem sie fürchten, andernfalls ihren Mann zu verlieren.
Bekannt ist, wie oft in deutschen Volksliedern Ringe dadurch, daß sie zer-


In England herrschte im Mittelalter der Aberglaube, daß die Könige
des Landes Ringe segnen könnten, die gegen tonische Krämpfe und die fallende
Sucht gut seien, welche letztere deshalb „das Uebel des Königs" hieß. Die¬
selben wurden von ihnen am Charfreitage geweiht und bestanden aus dem
Metall der Opfergabe, welche der Monarch an jenem Tage auf den Altar
legte. Die segnende Kraft stammte der Ueberlieferung zufolge von einem
Sapphir in der englischen Krone, der Eduard dem Bekenner gehört hatte.
Die Ceremonie der Weihung, nachweislich noch unter Heinrich dem Vierten
vollzogen, unter Eduard dem Sechsten abgeschafft, später aber von der Königin
Maria wieder geübt, begann mit Absingung des Psalms: «vsus misörLÄtur
u08tri". Dann folgte ein Gebet, welches die Hülfe des heiligen Geistes an¬
rief und darauf die Weihe der in einem Becken liegenden Ringe, aus deren
Worten wir ersehen, daß sie „alles Schlangengift austreiben" sollten, und
bei der unter Anrufung des Gottes Abrahams, Jsaaks und Jakobs ein
Kreuz über sie gemacht wurde, dann kam ein Psalm voll Segensworte und
ein Gebet gegen die Arglist der Teufel, Darauf rieb der König die Ringe
zwischen den Händen, wozu er sagte, die Kraft des heiligen Oeles, mit dem
er gesalbt worden, möge sich in deren Metall ergießen und sie durch Gottes
Gnade wirksam machen. Der Glaube an die Heilkraft derartiger Ringe
war auch unter Vornehmen verbreitet. 1618 erbittet sich Lord Berners, der
britische Gesandte am Hofe Karls des Fünften, von Saragossa aus bei dem
Lordkanzler eine Anzahl Krampfringe, und 1S29 empfängt Gardiner in Rom
einige, um sie unter die Mitglieder der dortigen englischen Gesandtschaft
zu vertheilen."

Weit verbreitet in Deutschland und England ist der Glaube, daß ein
goldner Trauring schlimme Augen und besonders das sogenannte Gersten¬
korn heile, wenn die leidende Stelle damit berührt werde. Ja in Sommer-
setshire heilen Wunden schon, wenn sie nur mit dem Ringfinger bestrichen
werden. In Rußland herrscht die Sitte, den Regen, der während eines Ge¬
witters fällt, in einer Schüssel aufzufangen, auf deren Boden ein Ring ge¬
legt worden ist. Das Wasser erlangt dadurch Heilkraft. Im Gouvernement
Riäsan gilt Wasser, das durch einen Trauring gegossen worden ist, für ein
Waschmittel, welches eine zarte Haut erzeugt. In Kleinrußland giebt bei
Hochzeiten die Braut dem Bräutigam aus einem Glase oder einer Tasse, in
welcher ein Ring liegt, Wein zu trinken.

Ein Trauring, der zerbricht oder verloren geht, bedeutet ein nahes Un¬
glück oder den Tod des andern Gatten. Viele Frauen in Deutschland und
anderwärts trennen sich auch beim Waschen oder andern Gelegenheiten nicht
von ihrem Eheringe, indem sie fürchten, andernfalls ihren Mann zu verlieren.
Bekannt ist, wie oft in deutschen Volksliedern Ringe dadurch, daß sie zer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136857"/>
          <p xml:id="ID_595"> In England herrschte im Mittelalter der Aberglaube, daß die Könige<lb/>
des Landes Ringe segnen könnten, die gegen tonische Krämpfe und die fallende<lb/>
Sucht gut seien, welche letztere deshalb &#x201E;das Uebel des Königs" hieß. Die¬<lb/>
selben wurden von ihnen am Charfreitage geweiht und bestanden aus dem<lb/>
Metall der Opfergabe, welche der Monarch an jenem Tage auf den Altar<lb/>
legte. Die segnende Kraft stammte der Ueberlieferung zufolge von einem<lb/>
Sapphir in der englischen Krone, der Eduard dem Bekenner gehört hatte.<lb/>
Die Ceremonie der Weihung, nachweislich noch unter Heinrich dem Vierten<lb/>
vollzogen, unter Eduard dem Sechsten abgeschafft, später aber von der Königin<lb/>
Maria wieder geübt, begann mit Absingung des Psalms: «vsus misörLÄtur<lb/>
u08tri". Dann folgte ein Gebet, welches die Hülfe des heiligen Geistes an¬<lb/>
rief und darauf die Weihe der in einem Becken liegenden Ringe, aus deren<lb/>
Worten wir ersehen, daß sie &#x201E;alles Schlangengift austreiben" sollten, und<lb/>
bei der unter Anrufung des Gottes Abrahams, Jsaaks und Jakobs ein<lb/>
Kreuz über sie gemacht wurde, dann kam ein Psalm voll Segensworte und<lb/>
ein Gebet gegen die Arglist der Teufel, Darauf rieb der König die Ringe<lb/>
zwischen den Händen, wozu er sagte, die Kraft des heiligen Oeles, mit dem<lb/>
er gesalbt worden, möge sich in deren Metall ergießen und sie durch Gottes<lb/>
Gnade wirksam machen. Der Glaube an die Heilkraft derartiger Ringe<lb/>
war auch unter Vornehmen verbreitet. 1618 erbittet sich Lord Berners, der<lb/>
britische Gesandte am Hofe Karls des Fünften, von Saragossa aus bei dem<lb/>
Lordkanzler eine Anzahl Krampfringe, und 1S29 empfängt Gardiner in Rom<lb/>
einige, um sie unter die Mitglieder der dortigen englischen Gesandtschaft<lb/>
zu vertheilen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_596"> Weit verbreitet in Deutschland und England ist der Glaube, daß ein<lb/>
goldner Trauring schlimme Augen und besonders das sogenannte Gersten¬<lb/>
korn heile, wenn die leidende Stelle damit berührt werde. Ja in Sommer-<lb/>
setshire heilen Wunden schon, wenn sie nur mit dem Ringfinger bestrichen<lb/>
werden. In Rußland herrscht die Sitte, den Regen, der während eines Ge¬<lb/>
witters fällt, in einer Schüssel aufzufangen, auf deren Boden ein Ring ge¬<lb/>
legt worden ist. Das Wasser erlangt dadurch Heilkraft. Im Gouvernement<lb/>
Riäsan gilt Wasser, das durch einen Trauring gegossen worden ist, für ein<lb/>
Waschmittel, welches eine zarte Haut erzeugt. In Kleinrußland giebt bei<lb/>
Hochzeiten die Braut dem Bräutigam aus einem Glase oder einer Tasse, in<lb/>
welcher ein Ring liegt, Wein zu trinken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_597" next="#ID_598"> Ein Trauring, der zerbricht oder verloren geht, bedeutet ein nahes Un¬<lb/>
glück oder den Tod des andern Gatten. Viele Frauen in Deutschland und<lb/>
anderwärts trennen sich auch beim Waschen oder andern Gelegenheiten nicht<lb/>
von ihrem Eheringe, indem sie fürchten, andernfalls ihren Mann zu verlieren.<lb/>
Bekannt ist, wie oft in deutschen Volksliedern Ringe dadurch, daß sie zer-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] In England herrschte im Mittelalter der Aberglaube, daß die Könige des Landes Ringe segnen könnten, die gegen tonische Krämpfe und die fallende Sucht gut seien, welche letztere deshalb „das Uebel des Königs" hieß. Die¬ selben wurden von ihnen am Charfreitage geweiht und bestanden aus dem Metall der Opfergabe, welche der Monarch an jenem Tage auf den Altar legte. Die segnende Kraft stammte der Ueberlieferung zufolge von einem Sapphir in der englischen Krone, der Eduard dem Bekenner gehört hatte. Die Ceremonie der Weihung, nachweislich noch unter Heinrich dem Vierten vollzogen, unter Eduard dem Sechsten abgeschafft, später aber von der Königin Maria wieder geübt, begann mit Absingung des Psalms: «vsus misörLÄtur u08tri". Dann folgte ein Gebet, welches die Hülfe des heiligen Geistes an¬ rief und darauf die Weihe der in einem Becken liegenden Ringe, aus deren Worten wir ersehen, daß sie „alles Schlangengift austreiben" sollten, und bei der unter Anrufung des Gottes Abrahams, Jsaaks und Jakobs ein Kreuz über sie gemacht wurde, dann kam ein Psalm voll Segensworte und ein Gebet gegen die Arglist der Teufel, Darauf rieb der König die Ringe zwischen den Händen, wozu er sagte, die Kraft des heiligen Oeles, mit dem er gesalbt worden, möge sich in deren Metall ergießen und sie durch Gottes Gnade wirksam machen. Der Glaube an die Heilkraft derartiger Ringe war auch unter Vornehmen verbreitet. 1618 erbittet sich Lord Berners, der britische Gesandte am Hofe Karls des Fünften, von Saragossa aus bei dem Lordkanzler eine Anzahl Krampfringe, und 1S29 empfängt Gardiner in Rom einige, um sie unter die Mitglieder der dortigen englischen Gesandtschaft zu vertheilen." Weit verbreitet in Deutschland und England ist der Glaube, daß ein goldner Trauring schlimme Augen und besonders das sogenannte Gersten¬ korn heile, wenn die leidende Stelle damit berührt werde. Ja in Sommer- setshire heilen Wunden schon, wenn sie nur mit dem Ringfinger bestrichen werden. In Rußland herrscht die Sitte, den Regen, der während eines Ge¬ witters fällt, in einer Schüssel aufzufangen, auf deren Boden ein Ring ge¬ legt worden ist. Das Wasser erlangt dadurch Heilkraft. Im Gouvernement Riäsan gilt Wasser, das durch einen Trauring gegossen worden ist, für ein Waschmittel, welches eine zarte Haut erzeugt. In Kleinrußland giebt bei Hochzeiten die Braut dem Bräutigam aus einem Glase oder einer Tasse, in welcher ein Ring liegt, Wein zu trinken. Ein Trauring, der zerbricht oder verloren geht, bedeutet ein nahes Un¬ glück oder den Tod des andern Gatten. Viele Frauen in Deutschland und anderwärts trennen sich auch beim Waschen oder andern Gelegenheiten nicht von ihrem Eheringe, indem sie fürchten, andernfalls ihren Mann zu verlieren. Bekannt ist, wie oft in deutschen Volksliedern Ringe dadurch, daß sie zer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/218>, abgerufen am 11.06.2024.