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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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trefflichen, sittlich ernsten Bemerkungen über das Duell, indem ich hierbei auf
die Schrift selbst verweise, ich gehe weiter mit der Familten-Namen-National-
Künstler-Standesehre, worin Lazarus die Stufe der objectiven Ehre be¬
spricht.

In all diesen Verhältnissen (186) bezieht sich das Selbstgefühl nicht auf
das eigne Selbst nach seinem individuellen Inhalt, seiner Bildung, Leistung.
Stellung, sondern es faßt sich als ein Glied einer dieser Gesammtheiten auf,
seine Ehre ist die der Gesammtheit und umgekehrt. Die Schranke der Nation
aber wird durchbrochen von der Verbindung der Menschen durch die Religion
(190); es giebt eine Ehre des Christen, Juden. Muselmanns, Buddisten;
aber die höchste Ehre ist die der Menschheit.

Hier nun möchte ich ergänzend hinzufügen, die Ehre des Christen,
Juden u. s. w. ist die Ehre der Confessionen, als der Gemeinschaften, von
welchen religiöse Ideen in einer mehr oder weniger vollkommenen Bestimmt¬
heit und Darstellung, als ihre Verwirklichung angenommen und bekannt
werden. Die höchste Ehre, die der Menschheit, aber wurzelt ebenfalls in
der religiösen Idee, und zwar in der höchsten, in der Gottesidee. Nicht die
Griechen haben den Gedanken der Ehre der Menschheit erdacht; durch ihre
Localgötter geschieden kannten sie nichts höheres als die Ehre der Nation,
die ihre Gottheit verherrlichte. Erst der Gedanke der Kindschaft Gottes, daß
Gott der Vater aller Menschen sei. von denen keiner verloren gehen solle,
daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen sei. läßt die Vorstellung
reifen, daß die Ehre der Menschheit zu erringen sei, daß es genüge, Mensch
zu sein. Aber freilich, man möchte sagen, daß auch hier noch der morpho¬
logische Gesichtspunkt, der Blick auf den Wirbelthiertypus, das Vorher¬
herrschende sei. Noch ahnt man kaum, daß in der geistigen Kraft
die Ebenbildlichkeit mit Gott liegt, daß die allseitige Entfaltung des
geistigen Vermögens die Verwirklichung^des menschlichen Wesens ist. Mit
Recht sagt Lazarus 190: "Dies ist die wunderbare und eben darin heilige
Natur des Menschen, daß er auf der untersten Stufe seines Daseins und
seiner Entwicklung schon Mensch ist und sein muß. um zur Entfaltung
gelangen zu können, und daß er auf der höchsten wieder nur Mensch sein
kann und soll: Mensch zu sein ist das niedrigste, was man von Jedem
fordern, das Höchste was Einer leisten kann, die geringste Ehre, die er an¬
sprechen, die höchste, die er ansprechen kann."

Diese objective Ehre des Standes, der Familie, der Menschheit u. s. w.
erbt oder erwirbt (190) der Einzelne; die höchste objective Ehre aber ist die.
welche der Einzelne sich schafft, indem er der Gesammtheit den Character
und die Vorzüge erst selbst verleiht.


trefflichen, sittlich ernsten Bemerkungen über das Duell, indem ich hierbei auf
die Schrift selbst verweise, ich gehe weiter mit der Familten-Namen-National-
Künstler-Standesehre, worin Lazarus die Stufe der objectiven Ehre be¬
spricht.

In all diesen Verhältnissen (186) bezieht sich das Selbstgefühl nicht auf
das eigne Selbst nach seinem individuellen Inhalt, seiner Bildung, Leistung.
Stellung, sondern es faßt sich als ein Glied einer dieser Gesammtheiten auf,
seine Ehre ist die der Gesammtheit und umgekehrt. Die Schranke der Nation
aber wird durchbrochen von der Verbindung der Menschen durch die Religion
(190); es giebt eine Ehre des Christen, Juden. Muselmanns, Buddisten;
aber die höchste Ehre ist die der Menschheit.

Hier nun möchte ich ergänzend hinzufügen, die Ehre des Christen,
Juden u. s. w. ist die Ehre der Confessionen, als der Gemeinschaften, von
welchen religiöse Ideen in einer mehr oder weniger vollkommenen Bestimmt¬
heit und Darstellung, als ihre Verwirklichung angenommen und bekannt
werden. Die höchste Ehre, die der Menschheit, aber wurzelt ebenfalls in
der religiösen Idee, und zwar in der höchsten, in der Gottesidee. Nicht die
Griechen haben den Gedanken der Ehre der Menschheit erdacht; durch ihre
Localgötter geschieden kannten sie nichts höheres als die Ehre der Nation,
die ihre Gottheit verherrlichte. Erst der Gedanke der Kindschaft Gottes, daß
Gott der Vater aller Menschen sei. von denen keiner verloren gehen solle,
daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen sei. läßt die Vorstellung
reifen, daß die Ehre der Menschheit zu erringen sei, daß es genüge, Mensch
zu sein. Aber freilich, man möchte sagen, daß auch hier noch der morpho¬
logische Gesichtspunkt, der Blick auf den Wirbelthiertypus, das Vorher¬
herrschende sei. Noch ahnt man kaum, daß in der geistigen Kraft
die Ebenbildlichkeit mit Gott liegt, daß die allseitige Entfaltung des
geistigen Vermögens die Verwirklichung^des menschlichen Wesens ist. Mit
Recht sagt Lazarus 190: „Dies ist die wunderbare und eben darin heilige
Natur des Menschen, daß er auf der untersten Stufe seines Daseins und
seiner Entwicklung schon Mensch ist und sein muß. um zur Entfaltung
gelangen zu können, und daß er auf der höchsten wieder nur Mensch sein
kann und soll: Mensch zu sein ist das niedrigste, was man von Jedem
fordern, das Höchste was Einer leisten kann, die geringste Ehre, die er an¬
sprechen, die höchste, die er ansprechen kann."

Diese objective Ehre des Standes, der Familie, der Menschheit u. s. w.
erbt oder erwirbt (190) der Einzelne; die höchste objective Ehre aber ist die.
welche der Einzelne sich schafft, indem er der Gesammtheit den Character
und die Vorzüge erst selbst verleiht.


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[0233] trefflichen, sittlich ernsten Bemerkungen über das Duell, indem ich hierbei auf die Schrift selbst verweise, ich gehe weiter mit der Familten-Namen-National- Künstler-Standesehre, worin Lazarus die Stufe der objectiven Ehre be¬ spricht. In all diesen Verhältnissen (186) bezieht sich das Selbstgefühl nicht auf das eigne Selbst nach seinem individuellen Inhalt, seiner Bildung, Leistung. Stellung, sondern es faßt sich als ein Glied einer dieser Gesammtheiten auf, seine Ehre ist die der Gesammtheit und umgekehrt. Die Schranke der Nation aber wird durchbrochen von der Verbindung der Menschen durch die Religion (190); es giebt eine Ehre des Christen, Juden. Muselmanns, Buddisten; aber die höchste Ehre ist die der Menschheit. Hier nun möchte ich ergänzend hinzufügen, die Ehre des Christen, Juden u. s. w. ist die Ehre der Confessionen, als der Gemeinschaften, von welchen religiöse Ideen in einer mehr oder weniger vollkommenen Bestimmt¬ heit und Darstellung, als ihre Verwirklichung angenommen und bekannt werden. Die höchste Ehre, die der Menschheit, aber wurzelt ebenfalls in der religiösen Idee, und zwar in der höchsten, in der Gottesidee. Nicht die Griechen haben den Gedanken der Ehre der Menschheit erdacht; durch ihre Localgötter geschieden kannten sie nichts höheres als die Ehre der Nation, die ihre Gottheit verherrlichte. Erst der Gedanke der Kindschaft Gottes, daß Gott der Vater aller Menschen sei. von denen keiner verloren gehen solle, daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen sei. läßt die Vorstellung reifen, daß die Ehre der Menschheit zu erringen sei, daß es genüge, Mensch zu sein. Aber freilich, man möchte sagen, daß auch hier noch der morpho¬ logische Gesichtspunkt, der Blick auf den Wirbelthiertypus, das Vorher¬ herrschende sei. Noch ahnt man kaum, daß in der geistigen Kraft die Ebenbildlichkeit mit Gott liegt, daß die allseitige Entfaltung des geistigen Vermögens die Verwirklichung^des menschlichen Wesens ist. Mit Recht sagt Lazarus 190: „Dies ist die wunderbare und eben darin heilige Natur des Menschen, daß er auf der untersten Stufe seines Daseins und seiner Entwicklung schon Mensch ist und sein muß. um zur Entfaltung gelangen zu können, und daß er auf der höchsten wieder nur Mensch sein kann und soll: Mensch zu sein ist das niedrigste, was man von Jedem fordern, das Höchste was Einer leisten kann, die geringste Ehre, die er an¬ sprechen, die höchste, die er ansprechen kann." Diese objective Ehre des Standes, der Familie, der Menschheit u. s. w. erbt oder erwirbt (190) der Einzelne; die höchste objective Ehre aber ist die. welche der Einzelne sich schafft, indem er der Gesammtheit den Character und die Vorzüge erst selbst verleiht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/233>, abgerufen am 05.06.2024.