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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Senats einem Schreiber dictiren. Dieses Dictiren nahm natürlich soviel Zeit
in Anspruch, daß in irgend erheblichen Sachen mehrere Sitzungen zum Dictiren
nöthig waren. Oft vergingen Jahre, ehe der Referent mit dem Dictiren
fertig war. Denn erst kam es zum Vorlesen der ganzen Relation, So
konnte Häberlin in seinem Handbuche des Deutschen Staatsrechts am
Ende des vorigen Jahrhunderts sagen: "Es ist ein eben solches Glück,
K>cum man ein Urtheil beim Reichskammergericht in einer nicht ganz
vorzüglich privilegirten Sache erhält, als wenn man eine Terre im Lotto
gewinnt."

Natürlich nahmen die Parteien nun zu allen möglichen Hülfsmitteln
ihre Zuflucht, um einen beim Reichskammergericht anhängig gemachten Pro¬
zeß in Gang zu bringen und zu Ende zu führen. Sie wendeten sich an
mächtige Herren, auch angesehene Frauen, damit diese die Beschleunigung
beim Kammerrichter, den Präsidenten der Senate oder den Beisitzern be¬
fürworteten.

Schon als sich das Reichskammergericht noch in Speier befand, hatte
dieses Solicitiren überHand genommen. Nachdem aber die Franzosen Speier
verwüstet hatten, und deshalb das Reichskammergericht auf das rechte Rhein¬
ufer nach Wetzlar verlegt war, wurde das Solicitiren zu einer Nothwendig¬
keit. Zu diesem Zwecke reisten die Parteien entweder selbst nach Wetzlar, oder
wan sendete besondere, möglichst angesehene Leute als Solicitatoren dahin.
Dazu ließ sich z. B. auch Pütter, der angesehenste Staatsrechtslehrer seiner
Zeit, gebrauchen. Doch erschienen, wie Häberlin sagt, Solicitatoren auch zu
dem Zwecke, um die Streitsachen zu verzögern oder ganz ins Stocken und in
Vergessenheit zu bringen. Und das war weniger schwer zu erreichen. Hatte
aber endlich das Reichskammergertcht eine Entscheidung getroffen, so war
diese noch keineswegs endgültig. Dagegen war noch das Rechtsmittel
der Restitution und die Klage wegen unheilbarer Nichtigkeit zulässig. Das
allerschlimmste Rechtsmittel war aber dann noch die Revision. Ueber die
Revision erkannte nämlich diejenige Kommission, welche abgeordnet wurde,
um eine Visitation des Reichskammergerichts vorzunehmen. Solche Visitationen
erfolgten in den Jahren 1556 bis 1588 alljährlich. Dann hörten sie aber
ganz auf. Später wurden wieder außerordentliche Visitationen angeordnet,
sie fanden aber selten statt. Nun hemmte aber früher die Revision auch die
Vollstreckung des vom Reichskammergericht gesprochenen Urtheils. Erst im
Jahr 1665 wurde die Revision auf Prozesse zum Werthe von 2000 Thaler
beschränkt, und der Revision die Kraft benommen, die Vollstreckung der Er¬
kenntnisse zu hindern.

Als letztes Verzögerungsmittel diente endlich aber auch noch der Recurs
an den Reichstag.


Senats einem Schreiber dictiren. Dieses Dictiren nahm natürlich soviel Zeit
in Anspruch, daß in irgend erheblichen Sachen mehrere Sitzungen zum Dictiren
nöthig waren. Oft vergingen Jahre, ehe der Referent mit dem Dictiren
fertig war. Denn erst kam es zum Vorlesen der ganzen Relation, So
konnte Häberlin in seinem Handbuche des Deutschen Staatsrechts am
Ende des vorigen Jahrhunderts sagen: „Es ist ein eben solches Glück,
K>cum man ein Urtheil beim Reichskammergericht in einer nicht ganz
vorzüglich privilegirten Sache erhält, als wenn man eine Terre im Lotto
gewinnt."

Natürlich nahmen die Parteien nun zu allen möglichen Hülfsmitteln
ihre Zuflucht, um einen beim Reichskammergericht anhängig gemachten Pro¬
zeß in Gang zu bringen und zu Ende zu führen. Sie wendeten sich an
mächtige Herren, auch angesehene Frauen, damit diese die Beschleunigung
beim Kammerrichter, den Präsidenten der Senate oder den Beisitzern be¬
fürworteten.

Schon als sich das Reichskammergericht noch in Speier befand, hatte
dieses Solicitiren überHand genommen. Nachdem aber die Franzosen Speier
verwüstet hatten, und deshalb das Reichskammergericht auf das rechte Rhein¬
ufer nach Wetzlar verlegt war, wurde das Solicitiren zu einer Nothwendig¬
keit. Zu diesem Zwecke reisten die Parteien entweder selbst nach Wetzlar, oder
wan sendete besondere, möglichst angesehene Leute als Solicitatoren dahin.
Dazu ließ sich z. B. auch Pütter, der angesehenste Staatsrechtslehrer seiner
Zeit, gebrauchen. Doch erschienen, wie Häberlin sagt, Solicitatoren auch zu
dem Zwecke, um die Streitsachen zu verzögern oder ganz ins Stocken und in
Vergessenheit zu bringen. Und das war weniger schwer zu erreichen. Hatte
aber endlich das Reichskammergertcht eine Entscheidung getroffen, so war
diese noch keineswegs endgültig. Dagegen war noch das Rechtsmittel
der Restitution und die Klage wegen unheilbarer Nichtigkeit zulässig. Das
allerschlimmste Rechtsmittel war aber dann noch die Revision. Ueber die
Revision erkannte nämlich diejenige Kommission, welche abgeordnet wurde,
um eine Visitation des Reichskammergerichts vorzunehmen. Solche Visitationen
erfolgten in den Jahren 1556 bis 1588 alljährlich. Dann hörten sie aber
ganz auf. Später wurden wieder außerordentliche Visitationen angeordnet,
sie fanden aber selten statt. Nun hemmte aber früher die Revision auch die
Vollstreckung des vom Reichskammergericht gesprochenen Urtheils. Erst im
Jahr 1665 wurde die Revision auf Prozesse zum Werthe von 2000 Thaler
beschränkt, und der Revision die Kraft benommen, die Vollstreckung der Er¬
kenntnisse zu hindern.

Als letztes Verzögerungsmittel diente endlich aber auch noch der Recurs
an den Reichstag.


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[0247] Senats einem Schreiber dictiren. Dieses Dictiren nahm natürlich soviel Zeit in Anspruch, daß in irgend erheblichen Sachen mehrere Sitzungen zum Dictiren nöthig waren. Oft vergingen Jahre, ehe der Referent mit dem Dictiren fertig war. Denn erst kam es zum Vorlesen der ganzen Relation, So konnte Häberlin in seinem Handbuche des Deutschen Staatsrechts am Ende des vorigen Jahrhunderts sagen: „Es ist ein eben solches Glück, K>cum man ein Urtheil beim Reichskammergericht in einer nicht ganz vorzüglich privilegirten Sache erhält, als wenn man eine Terre im Lotto gewinnt." Natürlich nahmen die Parteien nun zu allen möglichen Hülfsmitteln ihre Zuflucht, um einen beim Reichskammergericht anhängig gemachten Pro¬ zeß in Gang zu bringen und zu Ende zu führen. Sie wendeten sich an mächtige Herren, auch angesehene Frauen, damit diese die Beschleunigung beim Kammerrichter, den Präsidenten der Senate oder den Beisitzern be¬ fürworteten. Schon als sich das Reichskammergericht noch in Speier befand, hatte dieses Solicitiren überHand genommen. Nachdem aber die Franzosen Speier verwüstet hatten, und deshalb das Reichskammergericht auf das rechte Rhein¬ ufer nach Wetzlar verlegt war, wurde das Solicitiren zu einer Nothwendig¬ keit. Zu diesem Zwecke reisten die Parteien entweder selbst nach Wetzlar, oder wan sendete besondere, möglichst angesehene Leute als Solicitatoren dahin. Dazu ließ sich z. B. auch Pütter, der angesehenste Staatsrechtslehrer seiner Zeit, gebrauchen. Doch erschienen, wie Häberlin sagt, Solicitatoren auch zu dem Zwecke, um die Streitsachen zu verzögern oder ganz ins Stocken und in Vergessenheit zu bringen. Und das war weniger schwer zu erreichen. Hatte aber endlich das Reichskammergertcht eine Entscheidung getroffen, so war diese noch keineswegs endgültig. Dagegen war noch das Rechtsmittel der Restitution und die Klage wegen unheilbarer Nichtigkeit zulässig. Das allerschlimmste Rechtsmittel war aber dann noch die Revision. Ueber die Revision erkannte nämlich diejenige Kommission, welche abgeordnet wurde, um eine Visitation des Reichskammergerichts vorzunehmen. Solche Visitationen erfolgten in den Jahren 1556 bis 1588 alljährlich. Dann hörten sie aber ganz auf. Später wurden wieder außerordentliche Visitationen angeordnet, sie fanden aber selten statt. Nun hemmte aber früher die Revision auch die Vollstreckung des vom Reichskammergericht gesprochenen Urtheils. Erst im Jahr 1665 wurde die Revision auf Prozesse zum Werthe von 2000 Thaler beschränkt, und der Revision die Kraft benommen, die Vollstreckung der Er¬ kenntnisse zu hindern. Als letztes Verzögerungsmittel diente endlich aber auch noch der Recurs an den Reichstag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/247>, abgerufen am 05.06.2024.